Politik

Italiens andere Populisten Fünf Sterne quält Aufmerksamkeitsdefizit

Partner wider Willen - Luigi di Maio von den Sternen und Matteo Salvini von der Lega (r.).

Partner wider Willen - Luigi di Maio von den Sternen und Matteo Salvini von der Lega (r.).

(Foto: AP)

Seit 100 Tagen ist Italiens populistische Regierung im Amt. Und an Schlagzeilen fehlt es ihr nicht. Der fremdenfeindliche Innenminister Salvini ist omnipräsent. Allerdings nur er. Das passt dem Koalitionspartner nicht.

Matteo Salvini nennt Migranten "Menschenfleisch". Der italienische Innenminister blockiert Häfen, damit Hilfsorganisationen mit Flüchtlingen an Bord nicht anlegen können. Salvini versteht es als "Verdienstorden", dass die italienische Justiz wegen seines rabiaten Umgangs mit Zuwanderern ermittelt. Salvini trifft Ungarns Regierungschef Viktor Orban und plant mit dem Hardliner aus dem Osten eine Allianz der Migrations-Gegner. Salvini, Salvini, Salvini.

Der Minister der fremdenfeindlichen Lega hat das Thema Migration besetzt und ist damit omnipräsent. Und unfassbar erfolgreich. In Umfragen ist seine Lega mit 32 Prozent Zustimmung mittlerweile die stärkste Kraft des Landes. Bei den Wahlen im März kam sie nur auf 17 Prozent. Nach 100 Tagen im Amt ist aus dem Junior- der Seniorpartner in der populistischen Koalition in Rom geworden. Der Fünf-Sterne-Bewegung, der zweiten Hälfte dieses Bündnisses, passt das überhaupt nicht.

"Wir sind nicht wie die Lega", sagt Sergio Battelli, Fünf-Sterne-Politker und Vorsitzender des Europaausschusses. Wenn die Partei Salvinis sich nicht an den Koalitionsvertrag halte, schließe er auch einen Austritt aus der Regierung  nicht aus. Einen konkreten Streitpunkt, bei dem diese Gefahr tatsächlich droht, benennt Battelli allerdings nicht. Battelli ist in Berlin und macht wohl das, was man als Werbetour bezeichnet. Die Fünf-Sterne-Bewegung leidet unter einem Aufmerksamkeitsdefizit. Sie liegt in Umfragen zwar nur knapp hinter der Lega, sie dringt mit ihren Positionen aber nicht im ausreichenden Maße durch. Davon ist Battelli überzeugt.

Der Sterne-Staatssekretär Simone Valente unterstützt Battelli und versucht, sich explizit in der Migrationspolitik von Salvini abzusetzen. "Viele Parolen und Geschrei", sagt er. Die Fünf-Sterne-Bewegung sei "ein Bollwerk gegen den Extremismus der Lega". Ein Bollwerk gegen was genau, sagt aber auch Valente nicht. Der Staatssekretär und Battelli sagen nur, dass sie auf eine europäische Lösung der Zuwanderungsfrage setzen – nicht auf Alleingänge wie die Hafenblockaden Salvinis. Überhaupt sei die Koalition mit Salvini eher eine Zweckgemeinschaft, so Valente.

Weit oben auf der Agenda steht für die beiden auch die Wirtschafts- und Währungspolitik. "Wir sind hier, um klarzustellen, dass wir der EU viel verbundener sind, als es landläufig geglaubt wird", sagt Battelli. Italien müsse Wachstum generieren, durch mehr Flexibilität bei den Ausgaben, aber nicht durch Verstöße gegen die Regeln der Gemeinschaft. Wenn die Regierung im Herbst ihren ersten Haushalt vorlegt, werde dieser realistisch und nachhaltig sein und die Defizitregeln der EU einhalten. Spekulationen, die Regierung lege es durch eine ausufernde Ausgabenpolitik auf einen Bruch mit Brüssel und einem Ausstieg aus dem Euro an, stellt Battelli sich entgegen. "Im Koalitionsvertrag steht nichts von Italexit", sagt er.

Lega und Sterne blockieren sich gegenseitig

In der EU und auf den Finanzmärkten ist die Skepsis angesichts solcher Beteuerungen allerdings groß. Italien steht mit mehr als 130 Prozent der Wirtschaftsleistung in der Kreide. Der Schuldenberg ist 2,3 Billionen Euro groß. Und jedes Jahr braucht das Land rund 400 Milliarden Euro an frischem Geld. Die Skeptiker in Europa und aus der Finanzwelt wissen: Der schrille Salvini ist wohl nicht der einzige Grund dafür, dass es den Sternen an Aufmerksamkeit fehlt. Die Bewegung konnte bisher praktisch keines ihrer großen Wahlversprechen angehen, geschweige denn umsetzen. Die Bewegung trat an, um ein Bürgereinkommen für alle einzuführen, eine Mindestrente festzulegen und Hunderte ihrer Meinung nach überflüssiger Gesetze abzuschaffen. Darauf, wie sich das finanziell darstellen lassen soll, hat auch Battelli in Berlin keine konkrete Antwort. Er verweist auf den Haushalt im Herbst.

Zwar gilt auch für die Lega, dass sie 100 Tage nach Regierungsübernahme keines ihrer Wahlversprechen wie drastische Steuersenkungen umsetzen konnte. Die Koalitionspartner haben so widerstrebende Ziele, dass sie sich gegenseitig blockieren. Die Lega hat aber Salvini, der mit seiner fremdenfeindlichen Rhetorik nicht nur den Nerv der Italiener trifft, sondern der mit seinen Hafenblockaden, zumindest hin und wieder auch mal Fakten schafft. Ist die einzige Möglichkeit der Sterne am Ende doch der Poker um den Austritt aus dem Euro und dem Bruch mit der EU?

So richtig mit einer Stimme spricht die Bewegung schon jetzt nicht. Während Battelli und Valente in Berlin versöhnliche Töne anstimmen, meldet sich in Rom Verkehrsminister Danilo Toninelli zu Wort. Und was Toninelli da sagt, setzte sich im Klang deutlich ab. Der prominente Verkehrsminister widerspricht im Interview mit der deutschen Presse-Agentur, dass Lega und Innenminister Salvini in der Migrationsfrage den Kurs bestimmten und auch den parteilosen Premierminister Giuseppe Conte übertönten. "Die Linie der Regierung gibt Conte vor" und diese beruhe auf einem "klaren Mandat" der Italiener, so Toninelli. Fünf Sterne und Lega seien geschlossen und arbeiteten gut zusammen. "Wir alle sind wütend über eine EU, die nicht versteht, dass es bei diesem Thema um ihr eigenes Überleben geht."

Battellis und Valentes Auftritt in Berlin will auch nicht so ganz zu dem passen, was Sterne-Chef Luigi Di Maio vor kaum zwei Wochen sagte. Während Battelli sich etliche Male gegen einen Bruch mit Brüssel ausspricht, kokettierte die Maio geradezu damit. Weil Brüssel keine Lösung für die Migranten auf dem italienischen Schiff Diciotti parat hatte, die Salvini nicht an Land lassen will, drohte Di Maio mit einem Zahlungsstopp der italienischen Beiträge zur EU. Mit Blick auf die Wirtschaftspolitik pochte er darauf, seine Wahlkampfversprechen umsetzen zu dürfen. Die Logik dahinter: Das würde für Wirtschaftswachstum sorgen und der Regierung ermöglichen, später die Schulden abzubauen.

Quelle: ntv.de

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