Politik

Unheimliches Wahlverhalten Für die Jugend ist der freie Westen schon Geschichte

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Merz-Plakate wurden munter vandaliert, mit der Union kann die Jugend wenig anfangen.

Merz-Plakate wurden munter vandaliert, mit der Union kann die Jugend wenig anfangen.

(Foto: picture alliance / Bonn.digital)

Friedrich Merz ist der glücklichste Politiker Deutschlands, Olaf Scholz ist Geschichte und die AfD eine neue Volkspartei. Die größte Gefahr schlummert im Nachwuchs.

Im Jahr 2018 schrieb ich ein albernes Textchen unter der Überschrift "Ein Herz für Friedrich Merz". Als Parlamentsreporter für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hatte ich über eine öde Bankenveranstaltung zu berichten, dort saß dann dieser Merz auf dem Podium, gebräunt, entspannt, gut drauf. Nach allerlei Lobbyisten-Blabla stand ein Mann auf und sagte sinngemäß, Merz müsse Kanzler werden, ob er denn nicht, bitte, seine Kandidatur ankündigen möge. Beifall brandete auf, Merz lächelte, aber blieb indifferent.

Knapp sieben Jahre später ist Merz am Ziel. Wen interessiert, ob er die 30, 35, 40 Prozent verpasst hat? Dieser Mann wird endlich das, was er immer und gegen alle äußeren und inneren - also im Mann Merz steckenden - Widerstände werden wollte: Bundeskanzler. Und deshalb strahlte Merz so gigaglücklich wie dieser Tage meine Katze, wenn sie den ersten Sonnenkegel in der Wohnung gefunden hat.

Die Union konnte sich mit einem Rechtsruck retten, einer Emanzipation von Angela Merkel, eine strategische Meisterleistung des Vorsitzenden und seines Generals, Carsten Linnemann. Was haben wir gelacht, "Cadenabbia-Türkis" und "Rhöndorf-Blau"! Tja, nun lacht der Merz.

Freiheitsstatue mit tiefen Rissen

Die SPD wickelt derweil Olaf Scholz ab, noch bevor der sich die Krawatte gelöst hat. Lars Klingbeils Umgang mit dem Nochkanzler war so pragmatisch, als würde er einen kaputten Staubsauger in den Keller tragen. Viel Zeit haben die Sozialdemokraten ja auch nicht, sie müssen sich wohl auf die Große Koalition einstellen, die nicht mehr groß ist, aber immerhin auf eine Mehrheit kommt. Also, weiter geht's und beten, dass Saskia Esken und Rolf Mützenich keine Talkshows besuchen. Mützenich zumindest nicht mehr als Fraktionsvorsitzender. Er ist das erste Opfer des von Klingbeil verordneten Generationswechsels.

Die nun wieder außerparlamentarische FDP ist eine Freiheitsstatue voll tiefer Risse, hier bitte jetzt keine großen Erschütterungen. Diese Bundestagswahl stärkte die Ränder, aber die FDP trudelte orientierungslos in der Mitte herum - nie war das deutlicher als in der Schicksalswoche, als die Union ihre Migrationspolitik mit AfD-Stimmen beschließen lassen wollte. Wer sind die Liberalen im Jahr 2025 eigentlich?

Da die FDP fliegt, gehen Christian Lindner und Wolfgang Kubicki. Wer bleibt? Der kluge Stratege Marco Buschmann, die unerklärlicherweise seit Äonen im Abseits verstaubenden sozialliberalen Großtalente Johannes Vogel und Konstantin Kuhle und Panzerschreck Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die sich schon mit einer filigranen Analyse in Stellung brachte: "Klatsche, auf die zwölf, mit Anlauf". Die FDP braucht eine Richtung. Als kleines Abbild der Mitte wird sie scheitern.

Liebe und Melonenlikör

Die Grünen haben sich in der Ampel noch am besten gehalten. Grund hierfür ist vielleicht der konsequente Selbstkuschelwahlkampf: Man bemühte sich gar nicht erst um Wachstum, Hauptsache, die eigenen Leute bleiben gut drauf. "Liebe", "Zuversicht", "Mensch sein heißt menschlich sein" und so weiter, diese, nun, Inhalte muss man sich mit Midori-Melonenlikör schönsaufen oder man hat schon lange ein grünes Parteibuch. Zum Glück müssen sie voraussichtlich nicht in eine Koalition - sonst wäre es an den Bündnisgrünen, als Nächstes ein D-Day-Papier für einen taktisch klugen Abgang zu schreiben.

Die AfD schließlich ist nun Volkspartei. So richtig scheint das keinen Biodeutschen zu schockieren, seltsam, aber alle Menschen mit Migrationsbiografie oder jüdischem Glauben werden das anders sehen.

Vielleicht hilft ein Perspektivwechsel: Rechnet man ihre Stimmen mit Linke und BSW zusammen, sollten sich Deutsche in Oder-Nähe überlegen, ob es sich nicht in Westdeutschland besser lebt, falls Wladimir Putin wieder das Geschichtsbuch aufschlägt. Zugestanden: Im Westen ist gerade stellenweise Karneval, da muss man erst mal überlegen, ob die russische Annexion wirklich das größere Übel wäre.

Die Linke wiederum findet zu alter antifaschistischer Selbstidentifikation zurück. Sie hat gelernt, wie man 2025 kommuniziert, nämlich schnell und einfach: Milliardäre abschaffen! Das versteht man noch leichter als "15 Euro Mindestlohn". Sie hatte ein charismatisches, neu angetretenes Führungspersonal, dem auch der Frischebonus medial geholfen haben wird.

Die Mitte hat die Jugend verfehlt

Haben wir damit dann alles? Nicht ganz: Das dicke Ende kommt erst noch. Für die Jugend ist der Westen offenbar Geschichte, vielleicht auch, weil die Mitte an ihr vorbeikommuniziert. Sagenhafte 27 Prozent hat die Linke unter den 18- bis 24-Jährigen abgeräumt, die AfD immerhin 21 Prozent (jeweils laut ZDF-Forschungsgruppe Wahlen).

Die Jungwähler greifen also zu politischen Angeboten, die auf ihre jeweilige Art extrem, gefährlich und vor allem extrem unvereinbar sind. Das Einzige, in dem sich die Ränder die Hände reichen können, ist ein Liebesverhältnis zu Russland und eine an Antisemitismus grenzende Ablehnung Israels. Das sollte schockieren. Sind wir schockiert?

Wie immer gibt es für diesen Befund viele Ursachen, aber einige stechen hervor: Die Kommunikation von AfD und Linke ist von vorn bis hinten exzellent. Sie beherrschen die Verknappungskunst, die die Generation Tiktok schlicht erwartet. Sie bieten konkrete und greifbare Inhalte, sei es Milliardärsverbot oder Varianten von "Ausländer raus".

Der Weg führt in den Autoritarismus

Ob es auch an allgemeiner Kompromisslosigkeit einer Generation liegt, an verringerter Aufmerksamkeitsspanne, die nicht mehr für mühselige Kompromisse und öde Mittelwege reicht? Was auch immer die Ursache ist: Die Jungen sind die Verlierer von morgen, wenn sich dieser antiwestliche Trend fortsetzt. Der Weg führt in den Autoritarismus.

Es wäre daher fatal, würde die Mitte sich weiterhin auf Pfeifen im Walde beschränken, etwa das am Sonntagabend oft gepostete Sprüchlein: Schau, 80 Prozent der Deutschen wählen keine Rechtsextremen! Bisher abgebildet sind schließlich nur die 18- bis 24-Jährigen - wie die 14- bis 18-Jährigen ticken, kann man sich nur denken.

In vier, realistischerweise eher zwei bis drei Jahren wird wieder gewählt. Nicht alles lässt sich durch Storytelling, Charisma und Tiktok-Kompetenz richten - aber ohne wird es nichts. Die Öffentlichkeit funktioniert heute völlig anders als noch vor zehn Jahren. Hier haben Union, SPD, Liberale und Grüne dramatischen Nachholbedarf.

Quelle: ntv.de

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