Dutzende Tote Furcht vor weiterer Eskalation im Kaukasus
28.09.2020, 19:06 Uhr
Dieses Bild hat das aserbaidschanische Verteidigungsministerium veröffentlicht: Es soll einen aserbaidschanischen Raketenwerfer an der Kontaktlinie der selbsternannten Republik Berg-Karabach zeigen.
(Foto: dpa)
Die Kämpfe um Berg-Karabach halten an: Weit mehr als 60 Tote soll der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan bereits gefordert haben. Meldungen, dass die Türkei bereits Söldner entsendet, sorgen für Unruhe. Die EU warnt vor einer Einmischung von außen. Auch die Bundesregierung äußert sich besorgt.
Im militärischen Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Kaukasusregion Berg-Karabach wächst die Furcht vor einer Ausweitung der Kämpfe durch eine Einmischung ausländischer Mächte. "Eine Einmischung von außen ist nicht akzeptabel", warnte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Zuvor hatte die pro-armenische Regionalregierung von Berg-Karabach erklärt, dass die Türkei die aserbaidschanische Seite in den Kämpfen mit Waffen und Söldnern unterstütze. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es bislang nicht. Im UN-Sicherheitsrat soll eine Dringlichkeitssitzung anberaumt worden sein.
Bei neuen Gefechten in der Unruheregion sind mehrere Dutzend Menschen getötet worden. Die Zahl der Toten auf armenischer Seite sei auf 58 gestiegen, teilte das Verteidigungsministerium in Eriwan mit. Demnach starben am zweiten Tag der Gefechte 42 Armenier. Das armenische Militär sprach zudem von Dutzenden Toten auf aserbaidschanischer Seite. Eine Bestätigung aus Baku gibt es bislang nicht.
Der seit Jahrzehnten dauernde Konflikt zwischen den beiden ehemaligen Sowjetrepubliken war am Sonntag wieder aufgeflammt. Beide Seiten berichteten von Beschuss und schwerem Artilleriefeuer. Es handelt sich um die schwerste Eskalation seit Jahren. Das verarmte Armenien und das reiche Aserbaidschan geben sich gegenseitig die Schuld an der neuen Eskalation. In beiden Ländern gilt nun das Kriegsrecht. Unter den Opfern sind auch Zivilisten.
Aserbaidschans Militär teilte mit, dass Armenien die Stadt Terter an der Grenze zu Berg-Karabach beschossen habe. Dabei habe es ein Todesopfer gegeben. Das Militär habe dann zwei Panzer des Nachbarlands zerstört. Eriwan teilte mit, dass die gegnerische Seite schweres Gerät eingesetzt habe.
Berlin fordert "sofortigen Waffenstillstand"
Der neuerliche Ausbruch des Konflikts sei eine "sehr gefährliche Entwicklung", sagte der Sprecher der deutschen Regierung, Steffen Seibert. Es müsse ein "sofortiger Waffenstillstand" erfolgen. Die Akteure in der Region müssten "alles tun, um den Ausbruch eines vollständigen Krieges zu verhindern", warnte auch der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Borrell in Brüssel. Vor allem dürften keine ausländischen Mächte in den Konflikt eingreifen. Der EU-Sprecher konnte Vorwürfe nicht bestätigen, dass in dem Konflikt um Berg-Karabach nun auch pro-türkische Milizen aus Syrien eine Rolle spielten.
Die Türkei hat Aserbaidschan in den vergangenen Jahren bei der Modernisierung seiner Armee unterstützt. Nach dem Beginn der Gefechte sicherte Ankara der Regierung in Baku umgehend volle Unterstützung zu. Nun forderte Präsident Recep Tayyip Erdogan von Armenien ein Ende der "Besatzung" der umstrittenen Region. "Wenn Armenien sofort das Gebiet verlässt, das es besetzt, dann wird die Region zu Frieden und Harmonie zurückkehren", sagte er.
Nach Angaben der Regionalregierung von Berg-Karabach griff Ankara aktiv in die Kämpfe ein: Die türkische Armee habe Waffen, Soldaten und Söldner zur Unterstützung von Aserbaidschan in die Region entsandt, erklärte der Präsident der selbsternannten Republik Berg-Karabach, Araik Harutjunjan, am Sonntagabend. "Es sind türkische Hubschrauber, F-16-Kampfflugzeuge und Soldaten und Söldner aus verschiedenen Ländern anwesend."
Türkei ringt mit Russland um Einfluss
Die Türkei ringt in der Region vor allem mit Russland um Einfluss. Moskau hat freundschaftliche Beziehungen zu beiden Seiten. Es unterhält in Armenien einen Militärstützpunkt, liefert aber auch Waffen an Aserbaidschan. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, dass Russland die Situation genau verfolge. Priorität sei es, "die Feindseligkeiten zu beenden und nicht die Frage, wer recht hat und wer nicht." Armenien rief seinerseits den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) an und beantragte Sofortmaßnahmen gegen Aserbaidschan. Der EGMR ist der gerichtliche Zweig des Europarates, dem sowohl Armenien als auch Aserbaidschan seit 2001 angehören.
Angesichts der Eskalation in Berg-Karabach soll der UN-Sicherheitsrat nach Angaben von Diplomaten am Dienstag zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen. Die Initiative für das Treffen hinter verschlossenen Türen sei von Deutschland und Frankreich ausgegangen, hieß es am UN-Sitz in New York. Mehrere weitere europäische Länder hätten diese unterstützt.
Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bemüht sich um eine diplomatische Lösung. Der zuständige Sonderbeauftragte Andrzej Kasprzyk sowie die OSZE-Minsk-Gruppe mit ihren drei Co-Vorsitzenden Frankreich, Russland und USA seien stark mit Verhandlungen beschäftigt, sagte ein Diplomat aus Albanien. Albanien hat derzeit in der OSZE den Vorsitz inne.
Die von Armenien kontrollierte Region mit geschätzt 145.000 Einwohnern gehört völkerrechtlich zum islamisch geprägten Aserbaidschan. Zu Sowjetzeiten hatte Berg-Karabach den Status einer autonomen Region. Baku hatte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in einem Krieg mit 30.000 Toten die Kontrolle über das Gebiet verloren. Seit 1994 gilt in der von christlichen Karabach-Armeniern bewohnten Region eine Waffenruhe. 2016 starben bei Gefechten mehr als 120 Menschen.
Quelle: ntv.de, kst/dpa/AFP