Politik

Rede in Chile zu "Colonia Dignidad" Gauck lehnt Mitschuld an Foltermorden ab

Chiles Staatschefin Michelle Bachelet schreitet mit Joachim Gauck die Ehrenwache ab.

Chiles Staatschefin Michelle Bachelet schreitet mit Joachim Gauck die Ehrenwache ab.

(Foto: REUTERS)

In Chile muss sich der Bundespräsident mit den deutschen Hinterlassenschaften im Andenstaat befassen. Im Zentrum: die "Colonia Dignidad". Gauck bedauert zwar Deutschlands Rolle, sieht aber keine Verantwortung für die Verbrechen der Pinochet-Diktatur.

Bundespräsident Joachim Gauck hat bei seinem Staatsbesuch in Chile das lange Schweigen Deutschlands zu den Verbrechen der Sektenkolonie "Colonia Dignidad" verurteilt. "Natürlich machen auch demokratisch verfasste Staaten Fehler. Und manchmal laden auch sie Schuld auf sich", sagte Gauck in der chilenischen Hauptstadt Santiago. Deutsche Diplomaten hätten jahrelang weggeschaut, wenn in der Siedlung "Menschen entrechtet, brutal unterdrückt und gefoltert wurden".

Auf Fragen nach einer deutschen Beteiligung an einem Hilfsfonds oder am Bau einer Erinnerungsstätte ging Gauck aber nicht konkret ein. Er warnte auch davor, die Verbrechen der Sekte und die dort praktizierte Folter durch die chilenische Militärdiktatur zu vermischen. Er hätte es zwar gerne gesehen, wenn damals ein deutscher Außenminister oder Regierungschef ein deutliches Wort gesprochen hätte. Aber Mitverantwortung einzuräumen für Folter und Mord in Zeiten der Militärdiktatur "wäre nun zu viel der Selbstbezichtigung".

Gauck erinnert an Chiles Archive

Die Siedlung "Colonia Dignidad" war unter ihrem Gründer Paul Schäfer ein befestigtes Lager mit sektenähnlichen Strukturen. Es kam dort auch zu systematischem Kindermissbrauch. Während der Militärdiktatur bis 1990 wurde die Kolonie ein Folterzentrum der chilenischen Geheimpolizei.

Das Erschrecken darüber sei groß, "was Demokraten zu verdrängen und zu verschweigen vermochten", sagte Gauck und begrüßte, dass Außenminister Frank-Walter Steinmeier jetzt die deutschen Akten zur Aufklärung offenlege. Die wichtigeren Dokumente über die Folterungen und Ermordungen des chilenischen Geheimdienstes in der Kolonie lägen aber in Chile selbst.

Treffen mit Hinterbliebenen

Gauck wird auf seiner Reise von dem Regisseur Florian Gallenberger begleitet. Dessen Kinofilm "Colonia Dignidad" mit Daniel Brühl und Emma Watson sollte im Beisein von Gaucks Lebensgefährtin Daniela Schadt in Santiago gezeigt werden. Morgen wird Gauck voraussichtlich auch mit Vertretern der Opfer zusammentreffen.

Die Suche nach der Wahrheit sei für alle Menschen zentral, ob für Folteropfer oder Hinterbliebene. "Nur wenn die Wahrheit ans Licht kommt, können Wunden heilen, beim Einzelnen wie in der Gesellschaft", sagte Gauck bei der Eröffnung eines Forums zum Thema "Herausforderung der Demokratie".

Chile als Vorbild für Europa

Gauck erinnerte auch daran, dass Chile für viele Verfolgte der Nazis ein Ort der Zuflucht war, wie später Europa Zuflucht für Chilenen wurde, die vor der Militärdiktatur in ihrer Heimat flohen. Derzeit sei die Demokratie weltweit auch durch autoritäre und nationalistische Strömungen bedroht. "Dabei kehrt auch imperiales Denken und Handeln zurück", sagte er mit Blick auf Russland. "In Europa mussten wir gar eine völkerrechtswidrige Annexion erleben, die die Friedensordnung unseres Kontinents in Frage stellt."

Im Innern der Gesellschaften bedienten populistische Kräfte die Sehnsucht nach nationaler Autonomie und machten damit Stimmung gegen Minderheiten, sagte Gauck. Dennoch sei die Demokratie nicht auf dem Rückzug, in Lateinamerika habe sie sogar eine Wiedergeburt erlebt. In Chile sei der Diktator Augusto Pinochet durch eine Volksabstimmung entmachtet worden, dort sei es wie in Ostdeutschland gelungen, eine autoritäre Herrschaft ohne Blutvergießen zu beenden. "Das ist eine kaum zu überschätzende, historische Leistung", sagte Gauck.

Quelle: ntv.de, shu/dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen