"Es gibt hier keine Geköpften" General kanzelt Isaf-Kritiker ab
20.11.2014, 01:38 Uhr
IS-Terror als Maßstab: Im Vergleich dazu wirkt Afghanistan beinahe befriedet.
(Foto: AP)
In Afghanistan herrscht noch immer kein stabiler Friede. Über die Perspektiven des Landes gehen die Meinungen weit auseinander. Dem deutschen Vize-Kommandeur des Isaf-Einsatzes platzt kurz vor dem Abzug der Kragen.
Der deutsche Generalleutnant Carsten Jacobson hat kritischen Berichten über die Zukunft Afghanistans und Wiedererstarken der Taliban energisch widersprochen. Die Taliban hätten ihre Chance während des Streits um das Präsidentenamt nicht genutzt, sagte der stellvertretende Kommandeur der internationalen Schutztruppe Isaf der "Rheinischen Post".
"Die Schwarzmaler kommen nicht richtig weiter. Es gibt hier keine Hunderte von Toten, keine Geköpften, keine IS-Flaggen in diesem Land, das fremde, nicht eingeladene Kämpfer sowieso nicht mag", betonte der Drei-Sterne-General in Anspielung auf die Zustände in Syrien und im Nordirak.
Das Land, das keine fremden Kämpfer mag
In Afghanistan gehe die Gewalt dagegen kontinuierlich zurück. Seiner Ansicht nach täuschten Einzelaktionen darüber hinweg, "dass die Aufständischen die Schwächephase zum Ende der Regierungszeit Karsai nicht nutzen konnten." Jacobson wertet damit die vergleichsweise geringe Intensität des Konflikts als Erfolg im Kampf gegen die Taliban.
Vom Zustand des Friedens scheint Afghanistan allerdings noch weit entfernt. Erst Mitte der Woche griff ein Taliban-Kommando mitten in der afghanischen Hauptstadt eine streng bewachte Wohnanlage an, in der vor allem Ausländer leben.
- Am 22. Dezember 2001 beschließt der Bundestag die deutsche Beteiligung an der Internationalen Schutztruppe ISAF. Der damalige Verteidigungsminister Peter Struck sagt: "Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt."
- Ein Jahr später, am 21. Dezember 2002 kommen bei einem Hubschrauberabsturz sieben Soldaten ums Leben.
- Am 3. September 2009 kommt es zur folgenschwersten Entscheidung: Auf Anordnung von Oberst Georg Klein bombardieren US-Kampfflugzeuge zwei von Taliban entführte Tanklastwagen. Mehr als 100 Menschen werden getötet, darunter viele Zivilisten.
- Im April 2010 sterben bei Angriffen der Taliban binnen zwei Wochen sieben Bundeswehrsoldaten.
- Ein halbes Jahr später, im November, stellt der NATO-Gipfel in Lissabon die Weichen für das Ende der Kampfeinsätze: Ende 2014 soll die Sicherheitsverantwortung komplett an die Afghanen übergeben werden, der internationale Einsatz soll sich auf die Unterstützung und Ausbildung der einheimischen Sicherheitskräfte beschränken.
Bei dem Überfall kamen alle vier Angreifer ums Leben. Es habe "keine weiteren Opfer" gegeben, sagte ein Vertreter des Innenministeriums. Die Taliban bekannten sich zu dem Überfall, der mit der Explosion einer Autobombe im sogenannten "Green Village" begonnen hatte. Erst am Vortag waren zwei Angehörige der Sicherheitskräfte ums Leben gekommen, als Taliban einen von Ausländern bewohnten Gebäudekomplex angriffen.
Gefechte in der Hauptstadt
Die jüngste Attacke folgte dem für Taliban-Angriffe üblichen Muster: Zunächst sprengte sich ein Selbstmordattentäter vor dem Green-Village-Komplex mit seinem Auto in die Luft, wie Vize-Innenminister Ajub Salangi erklärte.
Anschließend hätten drei weitere Angreifer versucht, in die Anlage einzudringen. Die Täter seien von Wachpersonal erschossen worden. "Es gibt keine Opfer unter unseren ausländischen Freunden oder unter Afghanen, es geht ihnen allen gut", teilte Salangi via Twitter mit.
Am Sonntag waren bei einem Selbstmordanschlag auf den Konvoi einer afghanischen Abgeordneten in der Nähe des Parlaments drei Zivilisten getötet worden. Trotz der strengen Sicherheitsvorkehrungen in Kabul gelingt es den Aufständischen immer wieder, Anschläge zu verüben.
Auch das Green Village war in den vergangenen Jahren bereits mehrfach Ziel von Anschlägen. Mit dem Abzug der letzten internationalen Kampftruppen Ende des Jahres droht eine weitere Zunahme der Gewalt in Afghanistan.
"Ein Land im Krieg"
Am 31. Dezember endet nach 13 Jahren der längste Kampfeinsatz in der Geschichte der Nato. Jacobson war zuletzt als stellvertretender ISAF-Kommandeur an führender Stelle für die militärische Leitung des Einsatzes verantwortlich. In einem Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hatte er Anfang November ausdrücklich betont, dass der Afghanistan-Konflikt auch nach dem Abzug des Isaf-Kontingents nicht beigelegt sei.
"Afghanistan ist und bleibt ein Land im Krieg", hatte Jacobson erklärt. Die Nato-Staaten wollen mit der Nachfolgemission namens "Resolute Support" verhindern, dass das Land zurück in die Hände fanatischer Extremisten fällt.
Quelle: ntv.de, mmo/AFP/dpa