Politik

Biden über Verhandlungslösung Gilt "Nichts über die Ukraine ohne die Ukraine" noch?

Biden vor einem Monat in einer Waffenfabrik von Lockheed Martin, in der für die Ukraine bestimmte Panzerabwehrwaffen gefertigt werden.

Biden vor einem Monat in einer Waffenfabrik von Lockheed Martin, in der für die Ukraine bestimmte Panzerabwehrwaffen gefertigt werden.

(Foto: picture alliance / AA)

Die US-Amerikaner sind der wichtigste Verbündete der Ukraine im Konflikt mit Russland. US-Präsident Biden hat ein Mantra, was die äußerst enge Abstimmung mit den Ukrainern zu allen wichtigen Entscheidungen angeht. Nur scheint es an Bedeutung verloren zu haben.

Anfang der Woche wiederholt US-Präsident Joe Biden in der "New York Times" eines seiner wichtigsten Mantras, was den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine angeht: "Mein Prinzip in dieser Krise war stets 'Nichts über die Ukraine ohne die Ukraine'." (engl.: "Nothing about Ukraine without Ukraine") Es bedeutet, dass Biden keine weitreichenden Äußerungen zur Ukraine tätigen will, ohne diese konsultiert zu haben. Er führt die Bedeutung des Prinzips in der Praxis dann aus: "Ich werde die ukrainische Regierung weder privat noch öffentlich zu territorialen Zugeständnissen drängen."

Bei einer gestrigen Pressekonferenz antwortet Biden dann auch zunächst auf die Frage eines Reporters, ob die Ukraine "für etwas Frieden Land abgeben müsse", in einer Weise, die ganz seinem Grundsatz entspricht: "Von Anfang an, ich habe gesagt – und nicht alle haben mir zugestimmt – dass ich nichts über die Ukraine sage ohne die Ukraine. Es ist ihr Territorium. Ich werde ihnen nicht sagen, was sie tun und lassen sollen."

Dann fügt er aber hinzu: "Aber mir scheint, dass es an einem gewissen Punkt eine Verhandlungslösung geben muss. Und was das bringt, weiß ich nicht. Ich glaube, niemand weiß es zu diesem Zeitpunkt."

Man muss dieses Statement nicht in einer Weise wie manche Kommentatoren, Publizisten oder Geostrategen sehen, die Biden hier einen "Rückzieher" ankreiden oder titeln "Biden sagt, dass die Ukraine womöglich Territorium an Russland abgeben muss". Aber er schließt diese Möglichkeit zumindest nicht aus.

Die Sprache hat sich geändert

Bidens Statement spiegelt eine strategische Anpassung seiner Regierung wider, vermutlich angesichts jüngster militärischer Erfolge der Russen, die einem Bericht von "CNN" zufolge in den vergangenen Wochen erfolgte - auch in der Sprache. Haben US-Offizielle damals noch von einem russischen "fail" als Ziel gesprochen oder einen Sieg der Ukraine ins Auge genommen, so fallen mittlerweile immer öfters Wörter wie "diplomacy" oder "negotiated settlement".

US-Regierungsmitarbeiter haben sich zudem regelmäßig mit britischen und europäischen Verbündeten getroffen, um über potenzielle Rahmenbedingungen einer Verhandlungslösung zu sprechen, wie mehrere "CNN"-Autorinnen unter Berufung auf informierte Quellen in dem Artikel schildern. Die Ukraine sei an diesen Gesprächen nicht beteiligt - ungeachtet der auch in dieser Woche mehrfach noch wiederholten Devise "Nichts über die Ukraine ohne die Ukraine".

Gilt dieses Mantra der Zusammenarbeit noch? In der Sprache scheint es zumindest schon verwässert. Von Verhandlungen in diesem Moment zu sprechen, wird den Ukrainern in ihrer momentanen Situation nicht gefallen. Auch wenn die ukrainische Regierung und ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj im Laufe des Kriegs mehrmals ihre grundsätzliche Bereitschaft zu Verhandlungen betont haben, wollen sie an diesem strategischen Punkt, an dem Russland über Wochen einen militärischen Aufwärtstrend erlebt, nicht darüber sprechen.

Ukrainer wollen gerade jetzt nicht verhandeln

"Solange wir unsere Position nicht gestärkt haben und die russischen Truppen nicht so weit wie möglich zurückgedrängt wurden, ergeben Verhandlungen keinen Sinn", sagt der Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Mychailo Podoljak, heute auf eine Frage nach einem Vermittlungsangebot von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Der ukrainische Unterhändler David Arachamia äußerte sich ähnlich. "Unsere Armee ist bereit, die neuen Waffen zu nutzen, und dann können wir aus einer gestärkten Position heraus eine neue Runde von Gesprächen angehen", sagt er.

Aber ein Moment, in dem die Ukraine sich mit aller Kraft gegen das russische Militär wehrt, das im Aufwind erscheint, ist eben auch ein Moment, in dem die Europäer und US-Amerikaner - nach einer anfänglichen Kriegseuphorie angesichts ukrainischer Verteidigungserfolge - mehr denn je eine jahrelange blutige Auseinandersetzung inklusive einer globalen Energie- und Ernährungskrise befürchten.

Bidens Namensbeitrag in der NYT in dieser Woche ist dann auch nicht mehr wirklich im Sinne des Mantras "Nichts über die Ukraine ohne die Ukraine". Er schreibt: "Jede Verhandlung spiegelt die Fakten auf dem Boden wider. Wir haben schnell gehandelt, um der Ukraine eine beträchtliche Menge an Waffen und Munition zu schicken, damit sie auf dem Schlachtfeld kämpfen und am Verhandlungstisch in der bestmöglichen Position sein kann." Er sagt damit genau das, was die ukrainische Regierung nicht hören will.

Quelle: ntv.de

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