"Pakt für Nachhaltigkeit" Grüne fordern Milliarden für die Wirtschaft
02.05.2020, 17:59 Uhr
Die Parteichefs sprachen aus dem Studio - die Delegierten schauten zu Hause zu.
(Foto: dpa)
Erstmals findet ein Parteitag in Deutschland im Internet statt. Die Grünen diskutieren dabei über die Bewältigung der Coronavirus-Krise. Sie fordern ein Milliarden-Programm, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bekommen - stellen dafür aber auch Bedingungen.
Die Grünen haben in der Coronavirus-Krise mehr Klarheit über die harten Maßnahmen und ein Milliarden-Programm zur Bewältigung der sozialen Folgen gefordert. Auf einem digitalen Länderrat schlug die Partei ein 100-Milliarden-Konjunkturprogramm sowie ein EU-Programm von einer Billion Euro vor, das durch gemeinsame Anleihen finanziert werden soll.
Parteichefin Annalena Baerbock rief die Verantwortlichen in Bund und Ländern auf, die Beschränkungen für die Anti-Corona-Maßnahmen besser zu begründen als bisher. Es müsse jeden Tag überprüft werden, ob die "massiven Grundrechtseinschränkungen" gerechtfertigt seien, sagte sie. Es müsse immer geschaut werden, "ob es nicht mildere Mittel gibt". Die Kriterien für die eingeleiteten Maßnahmen seien in den "letzten Wochen auch von der Bundesregierung nicht immer klar genug kommuniziert worden".
Auch Co-Parteichef Robert Habeck forderte mehr Klarheit von der Politik. Der durch den Shutdown verursachte Rückzug ins Private sei in gewissem Maße in Ordnung. "Aber auf Dauer geht es nicht", sagte er. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte, Politiker wie Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet von der CDU und FDP-Chef Christian Lindner trügen zur Verunsicherung bei.
Der kleine Parteitag fand als erster Parteitag in Deutschland komplett digital im Internet statt. Die meisten Redebeiträge wurden live zugeschaltet, einige aber auch als Video einspielt. Die rund 100 Delegierten stimmten online ab.
Forderung nach Konsumgutscheinen
Das von den Grünen geforderte 100-Milliarden-Euro-Programm soll greifen, wenn die Wirtschaft nach dem Shutdown wieder angefahren werden kann. Zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie schlagen die Grünen in dem auf dem Länderrat zur Abstimmung stehenden Leitantrag Hilfen für den Einzelhandel vor. In der zweiten Jahreshälfte solle ein Fonds in Höhe von 20 Milliarden Euro aufgelegt werden, der sich aus Kaufanreizen in Form von Kauf-Vor-Ort-Gutscheinen sowie direkten Zuschüssen zusammensetzt.
Über die Forderung nach Konsumgutscheinen sollte es bei den Beratungen eine Abstimmung geben - ebenso wie über den Vorschlag, die EEG-Umlage für Ökostrom ab dem 1. Juli um fünf Cent je Kilowattstunde zu reduzieren. "Das setzt langfristig ökologisch richtige Anreize, denn wir brauchen die Elektrifizierung weiterer Sektoren", heißt es im Leitantrag. "Bis Ende 2021 kann damit zudem ein Kaufkraft-Effekt von 22 Milliarden Euro erreicht werden".
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann stimmte seine Partei auf eine schwierige Zeit im Kampf für den Klimaschutz ein. Die Klimakrise sei "viel schwieriger zu bewältigen als Corona", sagte er in einer Videobotschaft. In einer schweren Wirtschaftskrise sei es nochmal schwieriger. "Da ist Flexibilität gefragt, damit wir mit unserem Kernthema mehrheitsfähig bleiben", mahnte er. Es brauche jetzt europäisches Denken und Handeln.
Der frühere EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker schlug in einem Gastbeitrag auf dem Digital-Parteitag gemeinsame "Solidaritätsbonds" vor, um die finanziellen Lasten der Krise bewältigen zu können. Er sprach sich zudem für eine rasche Öffnung der Grenzen aus. Zöllner und Polizisten könnten das Virus nicht stoppen.
"Pakt für Nachhaltigkeit"
Habeck sprach sich weiter dafür aus, Konjunkturhilfen für die Wirtschaft an Umwelt- und Klimaschutz zu koppeln. "Wir reichen den Unternehmen die Hand zur Rettung, aber wenn sie sie ergreifen, besiegeln wir damit einen Pakt für Nachhaltigkeit", sagte er. "Das Geld, das wir jetzt mobilisieren, muss unsere Wirtschaftsweise auf Klimaneutralität umbauen." Die Grünen hätten das schon nach der Finanzkrise 2009 gewollt, doch damals seien Milliarden "verbrannt" worden, ohne soziale und ökologische Lenkungswirkung zu entfalten. "Auch, weil wir nicht in der Verantwortung waren", sagte Habeck, und Union, FDP und SPD das Alte hätten bewahren wollen. "Das muss diesmal anders sein."
Unternehmen müssten für die Hilfe des Staates auf Boni und Dividenden verzichten und offenlegen, ob und wie sie Steuern zahlen, sagte Habeck. Direkte Hilfen sollten in Investitionen gehen, die einem Umweltziel dienten. Hilfen für die Automobilindustrie könne es nur geben, "wenn die einer Verkehrswende dienen" und zugleich umweltschädliche Subventionen abgebaut und die Kfz-Steuer stärker nach dem Treibhausgas-Ausstoß ausgerichtet werden. Für die Luftfahrt solle es Klimaschutzvorgaben geben, wenn sie Hilfe in Anspruch nehme - etwa über das Streichen kurzer Strecken im Inland oder effizientere Flugzeuge.
Der Grünen-Chef forderte, Europa müsse jetzt von einem marktwirtschaftlichen zu einem politischen Projekt werden. "Es ist nicht die Stunde der nationalistischen Geier. Jetzt ist die Stunde, Phoenix zu werden." Um neuen Nationalismus zu verhindern, brauche es neue politische Kraft. "Wir definieren Sicherheit neu, als Vorsorge, als Widerstandsfähigkeit", sagte er, "sei es gegen Viren, gegen Atomenergie, gegen den Klimawandel oder gegen Finanzkrisen."
Quelle: ntv.de, mli/AFP/dpa