Onay und Regionspräsident Hannovers Spitzenpolitiker gehen in Elternzeit
14.07.2023, 12:20 Uhr Artikel anhören
Belit Onay mit seiner Ehefrau Derya Onay.
(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)
Der Oberbürgermeister von Hannover und der Präsident der Region widmen sich stärker ihren Kindern. Und das auch noch zur gleichen Zeit. Doch nur einer von ihnen kümmert sich in Vollzeit um seinen Nachwuchs. Der andere halbiert seine Arbeitszeit - auf 32 Wochenstunden.
Der Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt in Elternzeit - das ist ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher ist es, wenn gleichzeitig auch der Präsident der dazugehörigen Region in Elternzeit geht. In Hannover wird genau das in einigen Tagen passieren. Wie kommt es dazu? Und kann das klappen? Belit Onay, Grünen-Politiker und OB von Hannover, und Steffen Krach, Sozialdemokrat und Regionspräsident, treten den Versuch an.
Unabhängig voneinander haben sie sich dazu entschlossen, nach Jahren, in denen der Beruf im Mittelpunkt stand, ihren Kindern mehr Zeit zu widmen. Onay hat seine Arbeitszeit für Juli und August von rund 60 auf 32 Stunden pro Woche reduziert. Krach wechselt vom 21. Juli an für zwei Monate komplett ins Familienleben. "Ich bin gespannt, ob es wirklich so ist, dass ich zwei Monate raus sein kann", sagt Krach. "Im Katastrophenfall bin ich natürlich erreichbar. Das muss auch so sein. Aber das normale Tagesgeschäft werden meine Vertreter gut hinbekommen."
Der 43-Jährige hat drei Söhne im Alter von einem, fünf und neun Jahren. Trotzdem ist es seine erste Elternzeit. "Ich ärgere mich darüber, ehrlich gesagt", sagt Krach im Nachhinein. Er wisse aber auch, dass viele Väter das Gefühl haben, sie könnten oder dürften keine Elternzeit nehmen. Sein jüngster Sohn wurde zehn Tage vor seinem Amtsantritt geboren. "Da war mir klar, ich kann nicht mit Elternzeit in den Job starten. Das funktioniert nicht", sagt Krach. Jetzt aber freut er sich darauf, die Krippeneingewöhnung des Jüngsten zu begleiten, Mittagessen zu machen und da zu sein, wenn der Große aus der Schule kommt. Und das in Vollzeit. "Ich will nicht aus der Krippe rauskommen und erstmal E-Mails checken", betont Krach.
"Gegenteil von Urlaub"
Das ist ein Unterschied zu Onay, der mit 32 Stunden pro Woche weiter im Dienst ist. Für ihn sei das so in Ordnung, sagt der 42-jährige Grünen-Politiker und verweist auf die Betreuung für seine drei und fünf Jahre alten Kinder: "Ich kann sie in die Kita bringen und abholen und den Rest des Tages mit ihnen verbringen." Schon früher habe er Elternzeit nehmen wollen. Seine bisherige Amtszeit sei mit Corona, dem Ukraine-Krieg und der Energiepreiskrise aber nur von Krisen geprägt gewesen. In diesem Sommer, so sein Gefühl, passt es endlich.
"Das war keine politische, sondern eine persönliche Entscheidung", erklärt Onay. "Das ist mit zwei Kindern eine herausfordernde Aufgabe, aber es macht wahnsinnig viel Spaß." Mit ihrer Elternzeit liegen die beiden Kommunalpolitiker durchaus im Trend. Der Anteil der Väter, die in Elternzeit gehen, nimmt zu. Einerseits. Andererseits sind Vollzeitpapas immer noch die Ausnahme. Von den Männern mit Kindern unter drei Jahren waren im Jahr 2021 in Deutschland lediglich 2,6 Prozent in Elternzeit. Bei den Frauen war es dagegen fast jede zweite (45,1 Prozent).
Auch das Elterngeld, das in den ersten Lebensmonaten eines Kindes als Lohnersatz gezahlt wird, zeigt keine gleichmäßige Aufgabenteilung: In Niedersachsen lag der Väteranteil bei den Elterngeld-Beziehern zuletzt bei einem Viertel. Entsprechend gab es für Onay und Krach gemischte Reaktionen, als sie ihre Entscheidung ankündigten. "Es hat sehr viele Diskussionen dazu gegeben, viel positives Feedback, aber auch kritische Stimmen", sagt Onay. Teils sei der Eindruck erweckt worden, er wolle sich in den Urlaub verabschieden oder blau machen. Dabei sei die Elternzeit "das genaue Gegenteil von Urlaub", sagt der Oberbürgermeister: "Jeder, der die Kindererziehung kennt, der weiß, das ist sehr, sehr intensiv, wenn auch eine wunderschöne Zeit."
"Mit den zwei Monaten kein Vorbild"
"Es gibt sicherlich viele, die das komisch finden", sagt auch Krach über das Feedback, das er bekommen hat. Seine Elternzeit sei aber lange angekündigt gewesen, entsprechend hätten sich sein Vertreter Jens Palandt und die übrige Verwaltung gut darauf vorbereiten können. "Wir kriegen das gut hin", ist Krach optimistisch. "Hannover ist nicht kopflos", betont auch Onay, der sieben Dezernenten der Stadt als Unterstützung hinter sich weiß.
Sowohl der OB als auch der Regionspräsident sehen ihren Schritt in die Elternzeit vor allem als private Entscheidung - über Nachahmer würden sie sich dennoch freuen. "Man sollte diese Debatte normalisieren. Eine Verwaltung kann auch mal weiterarbeiten, wenn eine Führungskraft zwei Monate oder länger in Elternzeit ist", sagt Krach. Sich selbst sieht er dabei aber nur bedingt als Blaupause. "Ich würde nie sagen, dass ich mit den zwei Monaten ein Vorbild bin. Es sollte eigentlich eine andere Aufteilung geben", findet der SPD-Politiker.
Theoretisch kann jeder Elternteil pro Kind drei Jahre Elternzeit nehmen. Für eine echte Gleichstellung der Geschlechter brauche es jedoch noch weitere Schritte, sagt Krach: "Wir müssen auch insgesamt darüber sprechen, wie wir zu einer zeitgemäßen Familien- und Steuerpolitik kommen." Den Vorschlag, das Ehegattensplitting für neue Ehen abzuschaffen, unterstütze er daher ausdrücklich. Politisch gewollt sind Väter, die zeitweise zu Hause bleiben, auch von der Landesregierung. "Jeder Vater in Elternzeit ist ein Schritt weiter auf dem Weg zu mehr partnerschaftlicher Aufteilung in Familien", sagt Gleichstellungsminister Andreas Philippi.
Quelle: ntv.de, chl/dpa