Politik

Elegie des Trump-Günstlings Scholz hat genau das Richtige zu J. D. Vances Buch gesagt

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"Hillbilly-Elegie" war ein großer Erfolg.

"Hillbilly-Elegie" war ein großer Erfolg.

(Foto: AP)

Der Berliner Ullstein-Verlag hat "Hillbilly-Elegie" von J. D. Vance aus dem Programm genommen. Das ist ein Fehler. Verlage sollten ihrer Leserschaft zutrauen, eine Niederschrift im Lichte der Zeit interpretieren zu können.

Bücher machen bekanntlich schlauer. Olaf Scholz, der gerne schmökert und literarischen Geschmack hat, sieht es offenkundig so. Mitte Juli 2023 schwärmte der Kanzler in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" über ein nicht-fiktives Werk, das ihn zum Weinen gebracht hatte. Es erzählt, wie es Scholz formulierte, eine "ganz berührende persönliche Geschichte", wie sich ein weißer Amerikaner aus der Unterschicht, dem "white trash", dem "weißen Abschaum", trotz miserabler Startbedingungen den Traum vom finanziellen und gesellschaftlichen Aufstieg erfüllte.

"Es hat mir auch geholfen, mein eigenes Verständnis für das zu schärfen, was für eine moderne, fortschrittliche, ich würde sagen sozialdemokratische Politik im 21. Jahrhundert wichtig ist: All die vielen, die arbeiten, sich anstrengen und den Laden am Laufen halten, müssen relevant bleiben. Sie müssen die Aussicht auf eine gute Zukunft für sich und ihre Kinder haben und Respekt erfahren", sagte Scholz. Auch Literaturkritiker bejubelten die Autobiografie, die 2017 - ein Jahr nach der englischsprachigen Ausgabe - auf Deutsch erschien und ein Bestseller wurde. "Ein mitreißendes, bewegendes, kluges Buch", schrieb der "Spiegel". Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" urteilte: "Wer Amerika und seine Probleme besser verstehen möchte, der muss 'Hillbilly-Elegie' gelesen haben."

Stimmt alles. Das Buch ist stark, zumal es literarische Qualität hat und schön übersetzt ist. Autor ist J. D. Vance, der sich vom Trump-Kritiker zum Trump-Gefolgsmann gewandelt hat, seit seine Niederschrift publiziert worden ist. Nachdem Trump Vance als Kandidaten für die Vize-Präsidentschaft vorgeschlagen hat, ist "Hillbilly Elegy" (in etwa "Hinterwälder-Klagelied") wiederum weltweit ein Verkaufshit. Wohl auch deshalb, weil viele Menschen genau wie Scholz verstehen wollen, warum Brachialpolitiker, die das Blaue vom Himmel versprechen, Erfolg haben und wie jemand vom moderaten Konservativen zu einem Rechtsaußen mit radikaler Rhetorik wurde.

Nach Trumps Entscheidung für Vance als Running Mate war das Buch hierzulande schnell vergriffen. Normalerweise ist das eine super Nachricht für Verlage. Doch UIlstein konnte und wollte "Hillbilly Elegy" nicht nachdrucken, sondern verzichtete auf eine Verlängerung der Lizenz und nahm den Autor aus dem Programm. Zur Begründung hieß es: "Zum Zeitpunkt des Erscheinens lieferte das Buch einen wertvollen Beitrag zum Verständnis des Auseinanderdriftens der US-Gesellschaft." Damals habe sich Vance von Trump distanziert. "Inzwischen agiert er offiziell an dessen Seite und vertritt eine aggressiv-demagogische, ausgrenzende Politik."

Erregung im rechten Lager

Sofort schäumte das politische Lager zwischen konservativ und weit rechts und sprach von "Cancel Culture", worüber man trefflich streiten kann. Jeder Verlag, ein privatwirtschaftlich geführter sowieso, hat das Recht zu veröffentlichen, was er will. Neben der Meinungs- gibt es auch die unternehmerische Freiheit. Vance wird nicht ausgegrenzt und kaltgestellt, sondern hat mit dem - alles andere als rechtslastigen - YES-Verlag sofort eine neue Heimat in Deutschland gefunden. Und von den eher schmalen Einnahmen aus dem deutschen Buchmarkt wird der Republikaner garantiert nicht abhängig sein und deshalb zurück in den "Rust Belt", den Rostgürtel, ziehen müssen, der deindustrialisierten Region, in der jene abgehängten US-Bürger leben, die Trump zur ersten Präsidentschaft verholfen haben.

Bedauerlich ist das Agieren von Ullstein dennoch. Der Verlag trennt hier nicht zwischen dem Künstler und seiner Kunst, dem Autor und Inhalt seines Werkes. Es ist ja nicht so, dass in "Hillbilly-Elegie" plötzlich geheime Botschaften entdeckt worden sind, die die Autobiografie in völlig neuem Licht erscheinen lassen. Dass der Republikaner zu einem Rechtsaußen geworden ist, weiß die Welt spätestens seit 2022, als Trump ihm im Wahlkampf half. Vance gewann und vertritt seit Januar 2023 den Bundesstaat Ohio im US-Senat. "J. D. küsst mir den Hintern, so sehr will er meine Unterstützung", machte sich der Ex-Präsident damals über seinen Schützling lustig, der noch nicht einmal davor zurückschreckte, die Mär von der "gestohlenen Wahl" zu erzählen, um sich bei seinem Herrn und Gebieter einzuschleimen.

Bericht von Vance büßt an Wahrheit und Authentizität nichts ein

Vor allem aber ist es schade, dass Ullstein seinem Publikum nicht zutraut, das Buch im Lichte der Entwicklung lesen und deuten zu können. Der Bericht von Vance büßt ja an Wahrheit und Authentizität nichts ein, weil der Verfasser jetzt radikaler Trumpist ist. Der Verlag hätte vor seiner Entscheidung das Interview von Scholz in der "Süddeutschen" studieren sollen. Der Kanzler sagt dort genau das Richtige. Die Interviewer wollten wissen: "Schauen Sie bei der Lektüre nach der politischen Ausrichtung der Verfasser?" Der Sozialdemokrat antwortete: "Nein, im Gegenteil, mich reizt das Neue, Unbekannte. Wenn ich nur lese, was meiner Meinung entspricht, würde ich mich um das eigentliche Abenteuer des Lesens bringen."

Scholz bedauerte den politischen Werdegang von Vance, sprach gar von "Tragik", verwies aber auf den Inhalt und daraus abgeleitete Konsequenzen für sein eigenes politisches Schaffen. Der Sozialdemokrat sagte: "Als Handwerker, als Müllfahrerin, als Krankenpfleger oder Polizistin kann man ein sehr erfülltes und gutes Leben führen. Wenn aber der Respekt für diese Lebenswege verloren geht, wenn sie das Gefühl bekommen, es geht in der Gesellschaft nicht mehr um sie, droht Trumpismus." (Ob und wie Scholz seine Erkenntnisse in Politik umgesetzt hat, soll hier keine Rolle spielen.)

Gegen Ullstein wird nun der Vorwurf erhoben, Vance in vorauseilendem Gehorsam den Laufpass gegeben zu haben, um eine Diskussion schon im Keim zu ersticken. Falls es so war - einen öffentlichen Aufschrei hatte es bisher nicht gegeben, aber vielleicht gingen erste Protestmails ein -, wäre es nicht nur ein Problem von Ullstein, sondern der gesamten Gesellschaft. Ein Verlag, der Angst haben muss, in einen geschäftsschädigenden Shitstorm zu geraten, ist in seinen Entscheidungen nur noch begrenzt frei.

Boykottaufrufe gegen den Piper-Verlag

Zuletzt hat diese Unkultur der Piper-Verlag zu spüren bekommen, gegen den es vereinzelt Boykottaufrufe wegen des Buches von Monika Gruber gab. Eine linke Aktivistin, über die sich die bayerische Kabarettistin - arg platt - lustig gemacht hatte, hatte sich rassistisch angegriffen gefühlt. Es mutete verrückt an, dass ein Haus wie Piper, verlegerische Heimat von Hannah Arendt und Ingeborg Bachmann, beteuern musste, für 'Meinungsvielfalt und Toleranz' zu stehen.

Kein Verlag ist gezwungen, ein bestimmtes Buch zu verlegen. Kein Mensch ist gezwungen, ein bestimmtes Buch zu lesen. Aber es wäre schön, würden all jene, die noch Spaß an Literatur haben, sich ein Beispiel an Olaf Scholz nehmen und zwischen Autor und Werk unterscheiden.

Quelle: ntv.de

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