Politik

Historiker Snyder im Interview "Trump ist voll und ganz für die Gewalt verantwortlich"

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Düsterer Schatten: Zumindest im Bühnenbild des Republikaner-Parteitages in Milwaukee war Trump schon wieder zurück im Weißen Haus.

Düsterer Schatten: Zumindest im Bühnenbild des Republikaner-Parteitages in Milwaukee war Trump schon wieder zurück im Weißen Haus.

(Foto: AP)

Der renommierte Historiker Timothy Snyder erwartet eine düstere Zukunft für die Vereinigten Staaten von Amerika, sollte Donald Trump die Wahl im November gewinnen. Snyder, Yale-Professor und Fellow am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen, befürchtet nicht weniger als das Ende der amerikanischen Republik sowie erhebliche Einschränkungen der Frauenrechte. Über Russlands Krieg gegen die Ukraine sagt Snyder: Es mache keinen Sinn, das Wort "Frieden" vor dem Wort "Sieg" zu verwenden. Das müssten auch die Deutschen endlich verstehen.

For the English version of our interview with Timothy Snyder click here.

n-tv.de: Professor Snyder, ist das Attentat auf Donald Trump ein Wendepunkt in der Geschichte der USA und erleben wir eine neue Ära des politischen Extremismus und der Gewalt?

Timothy Snyder: Ich bezweifle, dass es ein Wendepunkt ist. Die Amerikaner vergessen solche Dinge schnell. Und da es ein Republikaner war, der geschossen hat, wird es nicht so viel Resonanz haben.

Inwieweit hat Donald Trump exakt dieses politische Klima geschaffen, das nun zu Gewalt und möglicherweise zu Toten führt?

Er ist voll und ganz verantwortlich. Die Demokraten werden die richtigen Dinge sagen und die Medien werden den Demokraten dann sagen, sie sollen ihre Rhetorik abschwächen. Das ist der einfache Weg für die Presse in meinem Land. Einfacher als die Botschaft, dass diejenigen, die Gewalt in den Mittelpunkt der Politik rücken, die gesamte Situation verändern.

Wie wird dies die Wahlen in den USA verändern?

Das weiß niemand. Aber mein Gefühl sagt mir, nicht viel. Trump hat Vance (J.D. Vance, d. Red.) als seinen Kandidaten für den Vizepräsidenten gewählt, was bedeutet, dass er sich für das rechtsextreme Lager entschieden hat. Er kann das Attentat nicht als vereinendes Thema nutzen, da Vance bereits zu Unrecht die Demokraten beschuldigt hat.

Wenn Sie sich die aktuelle Lage als Historiker anschauen: Wie verändert Donald Trump den Lauf der Geschichte?

Für die Amerikaner ist es meiner Meinung nach wichtig, sich daran zu erinnern, dass Trump für bestimmte Trends in der amerikanischen Geschichte steht. Er steht im Wesentlichen für eine Tendenz, reiche Menschen zu verehren, oder in diesem Fall jemanden, der vorgibt, reich zu sein. Zweitens steht er für eine tiefgreifende rassistische Strömung in der amerikanischen Geschichte. Die Amerikaner neigen dazu, zu sagen: Wie konnte das nur passieren? Aber das ist alles in unserer Geschichte verwurzelt. Außerdem geht es nicht nur darum, wie er die Geschichte verändert, sondern auch darum, wo Donald Trump herkommt. Und wenn wir über die Weltgeschichte sprechen, dann müssen wir erkennen, dass er auch aus dem Zeitalter der unregulierten digitalen Technologie kommt, die im Wesentlichen über die Manipulation von Emotionen funktioniert.

Was meinen Sie damit?

In den USA sind die digitalen Medien viel weniger reguliert als in Europa. Man kann die Auswirkungen davon sehen. Ich denke, die sozialen Medien sind im Grunde genommen faschistisch. Sie sind eine Art Brutkasten des Faschismus. Es geht nicht um Unterhaltung, sondern um eine Veränderung der kognitiven Prozesse, die wiederum die Art und Weise, wie Politik funktioniert, verändern.

Was passiert, wenn Trump gewinnt?

Wenn er gewinnt, denke ich, dass die US-Bundesregierung im Wesentlichen zerbrechen und aufhören wird zu funktionieren. Es wird Teile der US-Regierung geben, die illegale oder unethische Befehle nicht befolgen wollen. Der Plan des so genannten 'Projekts 2025' besteht darin, jeden einzelnen amerikanischen Beamten zu entlassen und durch Parteitreue zu ersetzen. Aus diesen beiden Gründen wird die amerikanische Bundesregierung wahrscheinlich aufhören zu funktionieren, und es wird wahrscheinlich zu Unruhen kommen. Das wird dann wie eine große Wende in der amerikanischen Geschichte aussehen, denn es könnte die Umwandlung oder vielleicht sogar das Ende der amerikanischen Republik bedeuten.

Wie entgleitet ein Land in eine Diktatur? Sehen Sie in den USA bereits Risse und Anzeichen für eine solche Entwicklung?

Natürlich kann ich sie sehen. Es gibt amerikanische Bundesstaaten, die im Grunde Einparteien-Regime sind, also quasi autoritäre Regime, in denen die Stimmen der Wähler nicht wirklich zählen. Viele Grundrechte, insbesondere für Frauen, gibt es nicht mehr. Wir sind gerade dabei zu beobachten, wie der Supreme Court im Wesentlichen zu einem politischen Arm der Exekutive oder einem politischen Arm der Oligarchen wird. Demokratie kann es nur geben, wenn man sie will, wenn man sich ihrer bewusst ist und wenn man für sie arbeitet. Wenn man aber glaubt, dass Gott oder der Markt oder die Verfassung oder die Geschichte oder die menschliche Natur einem die Demokratie bringen wird, dann wird man sie am Ende verlieren.

Sie haben erwähnt, dass viele grundlegende Frauenrechte in den USA angegriffen werden. Ist es zu weit hergeholt zu sagen, dass es Parallelen zwischen bestimmten Teilen der Republikanischen Partei und den Taliban gibt, was die Art und Weise betrifft, wie sie Frauen kontrollieren wollen? Welche Gefahren sehen Sie in Bezug auf die Rechte der Frauen und das "Projekt 2025"?

Das bezieht sich auf Ihre vorherige Frage, was die grundlegenden Ursachen dafür sind. Ich denke, dass die männliche Angst eine der Hauptursachen ist. Die Männer, die es an die Spitze dieser antidemokratischen Bewegungen geschafft haben, sind Männer mit dieser maskulinen Angst. Trump ist im Wesentlichen ein Hyper-Heterosexueller, und ich glaube, dass dies politisch insofern wirksam ist, als dass es andere Männer beruhigt, dass es keinen Grund zur Sorge gibt. Und wenn man nicht weiß, was es bedeutet, ein Mann zu sein, dann lässt man es an den Frauen aus, oder man lässt es an den Schwulen aus, oder man lässt es an den Transmenschen aus.

Das ist ein grundlegendes Merkmal dieser Art von Politik, dass man das Vertrauen in sich selbst als Mann verloren hat und deshalb jemand anderen kontrollieren muss. Aber natürlich ist das nicht nur ein politisches Mittel, sondern auch ein politischer Zweck. Ich stimme Ihnen zu, ich denke, "Projekt 2025" artikuliert eine Vision von der Welt, in der der weibliche Körper ständig überwacht werden soll. Es handelt sich hier um eine Art Fantasie von Überwachung und Kontrolle.

Lassen Sie uns auch über den Krieg Russlands gegen die Ukraine sprechen. Sie sagten kürzlich, dass wir uns im Jahr 1938 befinden und die Ukraine dafür sorgt, dass es nicht 1939 wird. Wie genau haben Sie das gemeint?

Im September 1938 beschlossen die Verbündeten der Tschechoslowakei, Deutschland zu erlauben, tschechoslowakisches Gebiet zu besetzen. Und die tschechoslowakische Regierung beschloss, keinen Widerstand zu leisten. Diese Entscheidungen hatten einen sehr großen Einfluss auf den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Denn als Deutschland 1939 Polen angreift, greift es von Süden her an. Es greift mit slowakischen Soldaten an. Es greift mit tschechischen Waffen an, mit tschechischen Panzern, die wahrscheinlich die besten der Welt waren. Deutschland hat dann auch die Kontrolle über den tschechischen Reichtum.

Wo ist die Parallele zur Ukraine?

Als die Ukrainer beschlossen, 2022 Widerstand zu leisten und zu kämpfen, verteidigten sie nicht nur sich selbst, sondern verhinderten auch, dass sich eine solche Situation wiederholen konnte. Denn wenn Europa einem siegreichen Russland gegenübersteht, wird es nicht nur Russland gegenüberstehen. Es wird einem Russland gegenüberstehen, das über ukrainischen Kohlenwasserstoff, ukrainische Bodenschätze, ukrainische Landwirtschaft, ukrainische Militärtechnologie und sogar ukrainische Soldaten verfügt.

Deshalb halten uns die Ukrainer nun schon seit zweieinhalb Jahren im Jahr 1938. Es ist ein Problem, unser Problem, dass wir nicht erkennen, wie viel schlimmer die Dinge sein könnten. Im Grunde wird ein Weltkrieg geführt, aber nur ein Land kämpft. Im Gegenzug erhalten wir unser tägliches Leben in Connecticut oder in Deutschland. Und das alles nur, weil die Ukrainer kämpfen und sterben.

Wie sehen Sie gerade die Rolle Deutschlands? Verstärkt das Land seine Bemühungen um die Ukraine oder ist das alles eher enttäuschend?

Beides. Nichts in der deutschen Außen- oder Innenpolitik geschieht ohne eine Auseinandersetzung mit der Geschichte. Aber die Diskussion ist nicht immer fundiert und im Grunde genommen begreifen die Deutschen immer noch nicht wirklich, dass es im Zweiten Weltkrieg um die Eroberung der Ukraine ging. Sie begreifen nicht wirklich, dass die Ukraine ein Hauptschauplatz deutscher Kriegsverbrechen während des Krieges war, ob wir nun über den Holocaust oder das Aushungern von Kriegsgefangenen oder das Aushungern von Städten sprechen.

Die historischen Implikationen sind also nicht verstanden worden?

Der Widerstand der Ukraine gegen eine völkermörderische faschistische Invasion bot Deutschland eine einmalige historische Chance, das Wissen über die Vergangenheit auf die Außenpolitik anzuwenden. Ich glaube aber nicht, dass diese Chance ergriffen wurde, denn ich glaube nicht, dass die historischen Implikationen vollständig verstanden wurde.

Aber Sie sehen auch positive Elemente der deutschen Außenpolitik?

Es ist beides. Deutschland hat sich grundsätzlich in die richtige Richtung bewegt. Aber nur auf der richtigen Seite zu stehen, das reicht nicht aus. Im Zweiten Weltkrieg reichte es für die Amerikaner und die Briten nicht aus, einfach nur auf der richtigen Seite zu stehen, sie mussten auch gewinnen. Die Lehre, die die Deutschen aus dem Zweiten Weltkrieg ziehen, kann nicht der Frieden sein. Das ist nicht das, was passiert ist. Was im Zweiten Weltkrieg geschah, das war Sieg und Niederlage. Daher macht es keinen Sinn, das Wort "Frieden" zu verwenden, bevor man das Wort "Sieg" verwendet. Ohne Sieg kommt man nicht zum Frieden. Ich denke, das ist ein geistiger Gedankensprung, den die Deutschen und die Amerikaner wirklich gemeinsam machen müssen.

Mit Timothy Snyder sprach Philipp Sandmann

Quelle: ntv.de

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