"Keine Zukunft ohne Russland"Historiker Clark: Europäer müssen mit Putin reden

Für seine Analyse des Ersten Weltkriegs ist Christopher Clark berühmt geworden. Im Umgang mit Russland redet der Historiker den Europäern ins Gewissen. Einen dauerhaften Sieg über Moskau werde es nicht geben. Daher müsse man wieder Gespräche mit Putin führen.
Der in Cambridge lehrende Historiker Christopher Clark ("Die Schlafwandler") fordert einen neuen Anlauf zu Gesprächen der Europäer mit Russlands Machthaber Wladimir Putin, um eine Ausweitung des Ukraine-Krieges zu vermeiden. "Natürlich muss der große Krieg vermieden werden", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Das bedeutet dreierlei: Erstens, es müssen wieder Gespräche aufgenommen werden. Zweitens, es gibt keine realistische, menschliche Zukunft Europas ohne Russland. Wir werden Zukunftspläne finden müssen, in denen Russland einen Platz hat. Und drittens: Wir werden uns von dem Gedanken trennen müssen, es könne einen dauerhaften 'Sieg' über Russland geben." Vielmehr sei es erstrebenswert, "dass wir entschlossen Europa und seine Wertegemeinschaft verteidigen, politisch und militärisch", so Clark.
Europa handele noch nicht geschlossen genug, sagte der Historiker dem RND. Was zurzeit passiere, seien Signale an Putin: "Wir meinen es nicht ernst." Clark führte aus: "Wenn aber die Europäer entschlossen auftreten, stark, einheitlich, aber auch klug und umsichtig, dann wird Putin anders agieren. Er ist kein Wahnsinniger."
Trump ein Faschist? "Das ist von begrenztem Erkenntniswert"
Ebenso wie für Putin gelte auch für den US-Präsidenten Donald Trump: "Bei aller berechtigter Empörung darf man die Staatschefs der Gegenwart nicht zu Unpersonen erklären. Man wird sich auch weiterhin pragmatisch mit ihnen auseinandersetzen müssen."
Clark lehnte es ab, die Politik Trumps als "faschistisch" zu bezeichnen. Er sagte dem RND: "Wer von "Faschismus" redet, zeichnet nach meinem Verständnis einen Weg vor, der in der totalitären Machtübernahme endet. Dieser Weg ist meines Erachtens noch nicht definitiv vorgezeichnet. Im Moment ist die Situation sehr offen. Ich plädiere dafür, den Versuch nicht aufzugeben, Trump und die Phänomene um ihn herum zu verstehen", so Clark. "'Faschist' ist nicht allein eine historische Kategorie, sondern vor allem auch ein Kampfbegriff mit begrenztem Erkenntniswert."
In seinem Buch "Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog", hinterfragt Clark die These von einer besonderen Kriegsschuld des Deutschen Kaiserreichs und analysiert die Mechanismen, die zum Krieg führten.