"Wir können nicht atmen" Hongkongs Demonstranten geben nicht auf
09.06.2020, 15:35 Uhr
"We can't breathe - Wir können nicht atmen": In Hongkong geht der Protest auch nach einem Jahr weiter.
(Foto: REUTERS)
Im Juni 2019 gehen Demonstranten in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong erstmals gegen die Zentralregierung in Peking auf die Straße. Ein Jahr später warnt die Opposition davor, den Kampf um die Freiheit aufzugeben. Offiziell demonstrieren darf aber derzeit niemand.
Ein Jahr nach Beginn der Demonstrationen in Hongkong hat die Protestbewegung zum weiteren Widerstand gegen die Regierung und den Einfluss der kommunistischen Pekinger Führung aufgerufen. Die Organisatoren der Massenproteste appellierten an die sieben Millionen Hongkonger, insbesondere gegen das geplante Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit anzugehen, das die Zentralregierung für die chinesische Sonderverwaltungsregion erlassen will. Mit diesem Gesetz will Peking "Separatismus" und "Aufruhr" in Hongkong offiziell verbieten.
"Widersetzt Euch dem bösartigen Gesetz, kämpft bis zum Ende", heißt es in einer Erklärung der Civil Human Rights Front. Um die Mittagszeit versammelten sich am Jahrestag in Hongkong Dutzende Menschen in Einkaufszentren. Einige hielten Plakate mit der Aufschrift "Wir können nicht atmen! Freiheit für Hongkong" hoch und spielten damit auch auf die Proteste in den USA gegen Polizeibrutalität und Rassismus an.
Das geplante Gesetz der Zentralregierung ist umstritten, weil es der bisher weitgehendste Eingriff in die Autonomie Hongkongs wäre. Es umgeht das Parlament der Metropole und richtet sich gegen Aktivitäten, die aus Pekinger Sicht subversiv sind oder auf eine Unabhängigkeit Hongkongs abzielen. Was die Stimmung zusätzlich aufheizt: Die Demonstranten werfen der Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam absolute Peking-Treue vor. Diese warnte zum Jahrestag wiederum vor neuen Unruhen. Die Stadt könne sich kein weiteres "Chaos" erlauben. "Wir müssen aus Fehlern lernen."
Bei den Ausschreitungen in Hongkong wurden im vergangenen Jahr fast 9000 Menschen verhaftet und mehr als 600 angeklagt. Was bis heute geblieben ist: die permanente Angst vor der Einflussnahme Pekings, vor einer Gesetzgebung, die Hongkong in den Augen seiner Oppositionellen zum Spielball Chinas degradieren würde.
Scharfe Kritik aus den USA
Auch international stößt das Gesetz, das der Ständige Ausschuss des Volkskongresses noch diesen Monat erlassen könnte, auf heftige Kritik. Die USA haben Sanktionen angekündigt. Hongkong sollen bislang gewährte Vorteile entzogen werden. Das Sicherheitsgesetz ist Pekings Reaktion auf die prodemokratische Bewegung in Hongkong, die sich genau vor einem Jahr, am 9. Juni 2019, mit einem Massenprotest von Hunderttausenden gegen ein damals geplantes Auslieferungsgesetz neu formiert hatte. Es hätte die Auslieferung von Personen nach China ermöglicht, die von der - politisch nicht unabhängigen - chinesischen Justiz verdächtigt werden. Nach wochenlangen Protesten zog Hongkongs Regierung das Gesetzesvorhaben zurück.
Doch dauerten die Demonstrationen Woche für Woche an. Erst der Ausbruch des Coronavirus dämmte die Aktionen ein. Die Regierungen in Hongkong und Peking sollten alle Maßnahmen zurückziehen, die fundamentale Rechte der Hongkonger bedrohten, forderte die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW).
Auch der Wortführer der Hongkonger Protestbewegung, Joshua Wong, meldete sich ein Jahr nach Ausbruch der Unruhen zu Wort. Im Interview mit RTL/ntv bezeichnete der Aktivist das von China beschlossene nationale Sicherheitsgesetz für Hongkong und die möglichen Folgen als "Albtraum". Die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Gerichte existierten dadurch nur noch auf dem Papier, sagte Wong. "Ein Land, zwei Systeme" werde durch "ein Land, ein System ersetzt". Wong forderte zudem Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, Hongkongs Demokratisierung zu unterstützen. Staatschefs weltweit müssten handeln und Druck auf Peking ausüben.
Die ehemalige britische Kronkolonie wird seit der Rückgabe 1997 an China als eigenes Territorium autonom regiert. Die Hongkonger genießen anders als die Menschen in der Volksrepublik viele Freiheiten und Rechte, um die sie jetzt aber zunehmend fürchten. Hongkongs Polizei untersagt gegenwärtig neue Proteste mit dem Hinweis auf das weiter geltende Verbot von Versammlungen von mehr als acht Personen wegen der Corona-Pandemie.
Quelle: ntv.de, faa/dpa/rts/AFP