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Asymmetrischer Krieg Im Schwarzen Meer läuft es nicht so gut für Russland

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Die "Sergej Kotow" war erst Anfang 2021 eingeweiht worden. Drei Jahre später wurde sie versenkt.

Die "Sergej Kotow" war erst Anfang 2021 eingeweiht worden. Drei Jahre später wurde sie versenkt.

(Foto: picture alliance/dpa/TASS)

Die russische Schwarzmeerflotte kann im Schwarzen Meer nur noch eingeschränkt operieren, in den vergangenen Monaten hat sie eine ganze Reihe von Schiffen verloren. Auch ohne eigene Flotte ist die Ukraine auf See vergleichsweise erfolgreich.

In den ersten Monaten des Jahres 2024 hat die ukrainische Armee auf dem Boden eine äußerst komplizierte Situation erlebt. Als Erfolg muss schon gelten, dass die Ukraine nach dem Fall der Stadt Awdijiwka im Bezirk Donezk kurz davor ist, die Lage an diesem Frontabschnitt zu stabilisieren. Im Allgemeinen behält Russland jedoch die strategische Initiative, was bis auf Weiteres auch so bleiben dürfte. Auf dem Meer sieht es allerdings anders aus: Mit der "Sergej Kotow" haben die Ukrainer am 5. März mithilfe der selbst entwickelten Seedrohne Magura V5 bereits das dritte Schiff der russischen Schwarzmeerflotte seit Anfang Februar versenkt - und das, obwohl die Durchführung von solchen Operationen wetterbedingt derzeit ziemlich schwierig ist und Kiew selbst kaum über eine funktionsfähige Flotte verfügt.

Insgesamt hat die ukrainische Armee bereits mehr als ein Fünftel der russischen Schwarzmeerflotte zumindest bedeutend beschädigt. Das Schwarze Meer ist sicher nicht die wichtigste Front in diesem Krieg. Spätestens seit dem Rückzug der Russen aus der Stadt Cherson im November 2022 dürften die russischen Eroberungsfantasien für Mykolajiw und Odessa vom Tisch sein, zumindest, was konkrete Pläne angeht. Ohne Unterstützung auf dem Festland wäre ein amphibischer Landungsversuch in Odessa wohl eine Suizidmission. Das Schwarze Meer ist für die Ukraine aber alles andere als bedeutungslos.

Ganz so einfach wurde es nicht

Das gilt einmal für den Handel: Der Seetransport von Gütern machte vor dem großen russischen Angriff im Februar 2022 rund 60 Prozent des gesamten ukrainischen Warenumschlags aus. Vor der russischen Annexion der Krim verfügte die Ukraine über 18 Häfen am Schwarzen und Asowschen Meer. Nach dem März 2014 waren es faktisch 13. Im Asowschen Meer unternahm Russland aber immer wieder Versuche, den Zugang ukrainischer Handelsschiffe über die Straße von Kertsch in Richtung der Häfen wie Berdjansk und Mariupol zu erschweren.

Das Schwarze Meer und das sogenannte große Odessa, ein Hafennetz rund um die Stadt, blieben für die Ukrainer aber etwa bis Mitte 2021 uneingeschränkt nutzbar, als Russland unter dem offiziellen Vorwand von Manövern seine Präsenz im nordwestlichen Teil des Schwarzen Meeres erhöhte. In den ersten Stunden des 24. Februar 2022 besetzten die Russen schließlich die Schlangeninsel, eine kleine Insel 40 Kilometer vor der ukrainischen Küste. Die Kontrolle über die Schlangeninsel erlaubt es, den gesamten Seeverkehr aus der Ukraine und in die Ukraine zu kontrollieren. Für Kiew war die Eroberung der Schlangeninsel ein Riesenverlust.

Doch schon im Februar 2022 musste die Führung der russischen Seestreitkräfte spüren: Ganz so einfach, wie sie sich das vermutlich vorgestellt hatten, wird es im Schwarzen Meer nicht. Denn die Ukraine hatte zwar keine großen Schiffe. Sie verfügte aber bereits über einige Pilotexemplare des ukrainischen Seezielflugkörpers Neptun. Die ersten Einsätze zu Beginn der vollumfänglichen Invasion Russlands waren nicht besonders erfolgreich, wurden aber zum ersten Warnzeichen an die Russen. Trotzdem dürfte man in Moskau ziemlich überrascht gewesen sein, als eine verbesserte Neptun-Version am 13. April 2022 den Kreuzer "Moskwa" versenkte, das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte.

Während des Getreideabkommens pausierten ukrainische Angriffe

Der Abzug der Russen von der Schlangeninsel war damit nur noch eine Frage der Zeit. Zwei Monate später war es der Fall: Die Kombination aus Luftwaffe, der französischen Haubitze Caesar und der eigenen ukrainischen Radhaubitze Bohdana ließ den russischen Kräften keine Wahl. Die Russen zogen sich auf einen Abstand von rund 150 Kilometern von der ukrainischen Küste zurück, um aus sicherer Entfernung von ihren Schiffen aus mit dem sehr weitreichenden Kalibr-Marschflugkörper auf die Ukraine zu feuern.

Denn der Krieg im Schwarzen Meer ist kein reiner Seekrieg, er hat unmittelbare Folgen für das ukrainische Festland. Dennoch wurden aktive Handlungen im Schwarzen Meer Ende Juli 2022 auf Pause gestellt, weil damals das sogenannte Getreideabkommen unterzeichnet wurde. Bis Februar 2023 funktionierte der ausgehandelte Getreidekorridor relativ gut. Ab März wurde er allerdings von Russland sabotiert - und es wurde klar, dass das Abkommen nicht verlängert wird. Ganz offensichtlich waren die ukrainischen Einnahmen durch den Getreideexport nicht in Russlands Interesse: In der Ukraine fließen derzeit alle Steuer- und Zolleinnahmen ins Militär, während der zivile Haushalt ausschließlich aus ausländischen Hilfen und Krediten besteht.

Die Ukraine hielt sich an das Getreideabkommen, bis es im Juli 2023 auslief. Danach wurden den Russen kontinuierlich Grenzen aufgezeigt: mit Seedrohnen der Klassen Sea Baby und Magura V5, mit dem britischen Marschflugkörper Storm Shadow und mit Landungsversuchen des Militärgeheimdienstes HUR auf Ölbohrinseln, die der Ukraine gehören und von Russland bereits im Zuge der Krim-Annexion besetzt und mit Aufklärungsradaren bestückt worden waren.

Schwarzmeerflotte kann das Schwarze Meer nicht verlassen

Inzwischen läuft der Getreidetransport auch ohne Abkommen fast wieder auf Vorkriegsniveau. Deshalb sind auch die Blockaden polnischer Bauern an der ukrainischen Grenze nicht ganz so dramatisch. Ein weiterer, militärischer Erfolg: Der Beschuss des ukrainischen Festlands mit Kalibr-Marschflugkörpern hat deutlich abgenommen. Auch die Aufklärungsaktivitäten der Schwarzmeerflotte wurden viel komplizierter. Russland hat viele Schiffe von Sewastopol auf der Krim nach Noworossijsk an der russischen Schwarzmeerküste verlegt. Auch dort gab es allerdings erfolgreiche Angriffe mit Drohnen des Typs Sea Baby.

Die gesamte Flotte nach Noworossijsk zu verlegen, wäre nicht nur aufgrund der Besonderheiten des dortigen Hafens schwierig bis unmöglich. Auch die Beladung der Schiffe mit Marschflugkörpern ist technisch nur auf der besetzten Krim möglich. Gleiches gilt für einige größere Wartungsarbeiten, zumal die Schiffe das Schwarze Meer nicht verlassen dürften, weil die Türkei dem internationalen Recht entsprechend die Durchfahrt durch den Bosporus für Militärschiffe blockiert.

Und so ist dieser Krieg für die russische Schwarzmeerflotte, die ursprünglich triumphal in Odessa landen wollte, zu einer einzigen Blamage geworden. Für die Ukraine sind die militärischen Erfolge im Schwarzen Meer dagegen ein Beispiel für die von ihr angepeilte asymmetrische Kriegsführung, die im Verteidigungskampf gegen das größte Land der Welt mit überlegenen Ressourcen auch dringend notwendig ist.

Quelle: ntv.de

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