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Luftschlag, Abwehr, Reaktionen Das ist über Irans Angriff auf Israel bekannt

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Der Iran hat erstmals Israel direkt angegriffen, mit mehr als 300 Drohnen und Raketen. 99 Prozent der Geschosse wurden laut Israel abgefangen. Weltweit wurde der Angriff verurteilt, aber auch vor weiterer Eskalation gewarnt. Wie Israel reagiert, ist unklar. Fragen und Antworten.

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Was ist passiert?

In der Nacht hat der Iran einen massiven Luftangriff auf Israel ausgeführt. Zum Einsatz kamen dabei mit Sprengstoff beladene Drohnen, ballistische Raketen und Marschflugkörper. Die vom Iran "Aufrichtiges Versprechen" genannte Operation war der erste direkte Angriff des Iran auf Israel, dessen Vernichtung sich das Regime in Teheran zum Ziel gesetzt hat. Zudem beschossen die mit dem Iran eng verbundenen schiitischen Hisbollah-Milizen im Libanon und schiitische Huthi-Kämpfer im Jemen Ziele in Israel. Laut dem israelischen Militär gab es auch Angriffe aus dem Irak - vermutlich ebenfalls von schiitischen Milizen.

Wie begründet der Iran den Angriff?

Laut Teheran handelt es sich um einen Vergeltungsschlag für einen mutmaßlich israelischen Angriff auf ein diplomatisches Gebäude des Iran im syrischen Damaskus am 1. April. Dabei starben 16 Menschen, darunter zwei Brigadegeneräle der iranischen Revolutionsgarden. Der getötete General Mohammad Sahedi war Operationschef der zu den Revolutionsgarden gehörenden Al-Kuds-Brigaden für Syrien und den Libanon - und damit für Angriffe auf Israel mitverantwortlich. Laut dem Nahost-Experten Guido Steinberg war er "einer der höchstrangigen iranischen Offiziere, den die Israelis je getötet haben". Israel hat sich offiziell nicht zu dem Angriff in Damaskus bekannt, es gibt aber kaum Zweifel daran, dass das Land dafür verantwortlich ist. Teheran hatte zuletzt mehrfach eine Racheaktion angekündigt, Zeit und Art aber offengelassen. "Das boshafte Regime wird bestraft", schrieb Staatsoberhaupt und Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei in der Nacht auf X.

Wie liefen die Angriffe ab?

Erste Berichte über den iranischen Angriff gab es am späten Abend Ortszeit. Zunächst meldeten Medien, dass Dutzende Drohnen aus dem Iran Richtung Israel unterwegs seien. Deren Flugzeit wurde mit mehreren Stunden angegeben. Später wurde auch über Angriffe mit Marschflugkörpern und ballistischen Raketen berichtet, die wesentlich schneller sind als Drohnen, sowie Attacken der Hisbollah und Huthi. Die Revolutionsgarden bestätigten die Angriffe in einer Erklärung. Nach eigenen Angaben unterrichtete der Iran seine Verbündeten in der Region 72 Stunden vor dem Angriff.

Berichte über erste Abschüsse von Drohnen gab es kurz nach Mitternacht. Gegen 2 Uhr Ortszeit wurden Sirenen und Explosionen in Jerusalem gemeldet - israelischen Medien zufolge handelte es sich um Detonationen von abgefangenen Angriffen. Ähnliche Berichte gab es aus zahlreichen weiteren Orten Israels. Gegen 4 Uhr Ortszeit gab der israelische Heimatschutz vorerst Entwarnung. Die Einwohner im Norden und Süden des Landes müssten sich nicht mehr in der Nähe von Schutzräumen aufhalten, hieß es.

Wie hat Israel reagiert?

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu berief das Kriegskabinett am Militärhauptquartier in Tel Aviv ein. Dazu gehören neben Netanjahu selbst Verteidigungsminister Galant und der Minister und ehemalige Armeechef Gantz sowie drei weitere Minister als Beobachter. Der Luftraum über Israel wurde ab 00.30 Uhr Ortszeit gesperrt - am Sonntagmorgen wurde er wieder geöffnet.

Die Bevölkerung wurde über ein Raketenwarnsystem informiert. Bewohner der Golanhöhen und der südisraelischen Stadt Eilat wurden aufgefordert, Schutz zu suchen. Laut Armee heulten Warnsirenen unter anderem im Süden des Landes, am Toten Meer, im Großraum Jerusalem sowie im Norden des Landes.

Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, rief alle Deutschen in Israel auf, sich an die Anweisungen der Sicherheitsbehörden und lokalen Behörden zu halten. Auch der Irak, Jordanien und der Libanon schlossen vorübergehend ihre Lufträume. Ägypten versetzte seine Luftabwehr in "höchste Alarmbereitschaft".

Welchen Umfang hatte die Attacke?

Laut dem israelischen Militär wurden vom Iran 170 unbemannte Flugkörper, 120 ballistische Raketen und mehr als 30 Marschflugkörper abgefeuert. Die Hisbollah teilte mit, "Dutzende Raketen vom Typ Katjuscha" auf drei israelische Militärstützpunkte auf den besetzten Golanhöhen abgefeuert zu haben. Über den Umfang der Angriffe der Huthi-Rebellen und aus dem Irak ist bisher nichts bekannt.

Der Kommandeur der Revolutionsgarden, Hossein Salami, sagte im Staatsfernsehen, der Angriff auf Israel hätte auch größer ausfallen können. "Wir haben diesen Einsatz begrenzt auf die Einrichtungen, die das zionistische Regime genutzt hat, um unsere Botschaft (in Syrien) anzugreifen." Er sagte, die Revolutionsgarden hätten sich entschieden, eine neue Gleichung aufzustellen, "dass wir ab jetzt, wann immer das zionistische Regime unsere Interessen, Besitztümer, Individuen und Bürger angreift, werden wir von der Islamischen Republik Iran aus Vergeltung üben".

Welche Ziele gab es?

Als mögliche Einschlagsziele wurden vom israelischen Militär die von Israel besetzten Golanhöhen sowie eine Luftwaffenbasis in der Negev-Wüste im Süden Israels genannt.

Nach Angaben des iranischen Armeechefs Mohammed Bagheri wurden keine zivilen Ziele oder Städte ins Visier genommen. Es habe zwei Hauptziele gegeben: das Geheimdienstzentrum, das Informationen für den Angriff in Damaskus geliefert habe, sowie der Militärstützpunkt Nevatim, von dem aus F35-Kampfflugzeuge gestartet seien, die den Schlag in Damaskus ausführten. "Diese beiden Zentren sind beträchtlich beschädigt und außer Betrieb gesetzt worden", hieß es. Die Angriffe seien begrenzt und dienten der Selbstverteidigung, erklärt der iranische Außenminister Hossein Amirabdollahian. Dies sei auch den USA mitgeteilt worden.

Wie wurden die Angriffe abgewehrt?

Israels Militär hat nach eigenen Angaben 99 Prozent der Geschosse aus dem Iran abgefangen. Laut Armeesprecher Daniel Hagari drangen weder unbemannte Flugkörper noch Marschflugkörper auf israelisches Gebiet vor. Dutzende Drohnen seien von israelischen Kampfjets abgeschossen worden, von der israelischen Luftabwehr sowie "der Luftwaffe und Luftabwehr unserer Partner". Demnach drangen "nur wenige" ballistischen Raketen nach Israel vor, der Rest sei abgefangen worden. Reuters meldete unter Berufung auf zwei westliche Geheimdienstquellen, dass Abfangjäger Dutzende iranischer Raketen und Drohnen über Syrien abgeschossen haben.

Vor allem die USA halfen bei der Abwehr des Angriffs. Laut US-Präsident Joe Biden trugen die US-Streitkräfte dazu bei, "fast alle" abgefeuerten Drohnen und Raketen abzuschießen. Der britische Premier Rishi Sunak bestätigte die Beteiligung Großbritanniens. "Ich kann bestätigen, dass unsere Flugzeuge eine Reihe iranischer Angriffsdrohnen abgeschossen haben", sagte er. Unterstützung gab es nach israelischen Angaben auch von Frankreich. Jordanien teilte mit, es werde Drohnen abschießen, die den eigenen Luftraum verletzen - der Iran warnte das Land daraufhin vor einer Einmischung in den Konflikt. Später hieß es von regionalen Sicherheitsquellen, dass jordanische Kampfjets Dutzende "fliegende Objekte" abgeschossen hätten.

Wegen permanenter Luftangriffe etwa aus dem Gazastreifen verfügt Israel über eine umfangreiche Luftabwehr. Neben Kampfjets gehört dazu das bodengestützte System Iron Dome (Eiserne Kuppel) zur Abwehr von Raketen und Mörsergranaten mit kürzerer Reichweite. Hinzu kommen die Systeme Arrow (Pfeil) und David’s Sling (Davids Schleuder) zur Abwehr von Lang- und Mittelstreckenraketen.

Gab es Verletzte und Tote sowie Schäden in Israel?

Über Todesopfer ist bisher nichts bekannt. Laut israelischen Angaben wurden zwölf Menschen verletzt. Darunter ist ein siebenjähriges Mädchen einer Beduinen-Gemeinschaft aus der Nähe der südlichen Stadt Arad. Es werde auf einer Intensivstation behandelt. Nach Angaben des Rettungsdienstes Magen David Adom wurde zudem ein zehnjähriger Junge schwer verletzt. Es handele sich um einen Beduinen aus dem Umkreis von Arad.

Die Reste eines Raketen-Triebwerks nahe Arad - bei dem Angriff wurde laut Behörden ein siebenjähriges Mädchen verletzt.

Die Reste eines Raketen-Triebwerks nahe Arad - bei dem Angriff wurde laut Behörden ein siebenjähriges Mädchen verletzt.

(Foto: REUTERS)

Eine ballistische Rakete schlug laut Armeesprecher Hagari im Bereich der Flugbasis Nevatim ein und verursachte "leichten Schaden an der Infrastruktur". Die Basis funktioniere aber normal weiter - damit widersprach er den iranischen Angaben.

Wie hat die internationale Gemeinschaft reagiert?

Westliche Staaten verurteilten den Angriff scharf. US-Präsident Joe Biden bezeichnete ihn als "dreist" und sicherte Israel seine "unerschütterliche" Unterstützung zu. Bundeskanzler Olaf Scholz, der sich auf einer China-Reise befindet, verurteilte die Luftangriffe "mit aller Schärfe". Der Iran riskiere "einen regionalen Flächenbrand". Deutschland stehe eng an der Seite Israels. Außenministerin Annalena Baerbock schrieb auf X, der Angriff könne "eine ganze Region ins Chaos stürzen". In Berlin kam am Vormittag der Krisenstab der Bundesregierung zusammen. Unionsfraktionschef Friedrich Merz sprach von einer "feigen Attacke" und forderte schärfere Sanktionen gegen Teheran.

Auch andere europäische Länder verurteilten den iranischen Angriff scharf. "Der Iran hat wieder einmal bewiesen, dass er darauf abzielt, in seinem eigenen Hinterhof Chaos zu säen", schrieb der britische Premier Rishi Sunak. Die französische Regierung sprach von einer neuen Stufe der "Destabilisierung", der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell von einer "beispiellosen Eskalation". "Wir sind tief besorgt und verurteilen diese Art der Eskalation scharf", erklärt das japanische Außenministerium. Italien als derzeitiger Vorsitz berief zudem eine Videoschalte der Staats- und Regierungschefs der G7 für den frühen Nachmittag ein. Biden kündigte dabei eine gemeinsame diplomatische Reaktion an.

UN-Generalsekretär António Guterres forderte "eine sofortige Einstellung der Feindseligkeiten". Der UN-Sicherheitsrat soll noch am Sonntag tagen. Das ägyptische Außenministerium erklärte, Kairo stehe "in direktem Kontakt mit allen Konfliktparteien" und versuche die Lage zu entschärfen. Saudi-Arabien forderte den UN-Sicherheitsrat auf, "seine Verantwortung für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit wahrzunehmen". Die Türkei mahnte, eine weitere Eskalation zu verhindern, wie Außenminister Hakan Fidan in einem Telefonat mit dem iranischen Ressortchef sagte. China äußerte eine "tiefe Besorgnis über die aktuelle Eskalation" und forderte ebenfalls, "Ruhe und Zurückhaltung zu üben".

Wird es weitere Angriffe geben?

Von iranischer Seite gibt es bisher keine entsprechenden Ankündigungen. "Die Operation 'Ehrliches Versprechen' ist zwischen gestern Abend und heute Früh mit Erfolg ausgeführt worden und hat all ihre Ziele erreicht", sagte Armeechef Bagheri im iranischen Fernsehen. "Wir haben keinerlei Absicht, den Einsatz fortzuführen, aber wenn das zionistische Regime eine Aktion gegen die Islamische Republik Iran unternimmt - ob das auf unserem Boden ist oder gegen unsere Zentren in Syrien oder anderswo - dann wäre unser nächster Einsatz sicher gewichtiger als dieser hier." Bagheri drohte auch den USA, dass deren Militärstützpunkte "nicht sicher" seien, falls die USA mit Israel bei einer künftigen Aktion kooperieren sollten.

Allerdings kündigten die Revolutionsgarden eine neue Gleichung an: "Diese neue Gleichung besagt, ab jetzt werden wir, wann immer das zionistische Regime unsere Interessen, Besitztümer, Individuen und Bürger angreift, von der Islamischen Republik Iran aus Vergeltung üben."

Weiter gehen dürften in jedem Fall die Angriffe der Hisbollah aus dem Libanon. Diese beschießt seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober verstärkt den Norden Israels, das mit Schlägen gegen Hisbollah-Stellungen reagiert. So meldeten libanesische Medien auch am Sonntag einen israelischen Militärschlag, rund 100 Kilometer von der libanesisch-israelischen Grenze entfernt. Die Gegend ist eine Hochburg der Hisbollah.

Plant Israel einen Gegenschlag?

Zwei israelische Regierungsvertreter sagten der "New York Times", dass ein Vergeltungsschlag, den einige Mitglieder des Kabinetts vorgeschlagen hatten, vom Tisch sei. Als Gründe werden das Telefonat von Netanjahu mit Biden am Samstag genannt und die Tatsache, dass die Angriffe relativ geringe Schäden verursacht hätten. Laut Außenminister Israel Katz will Israel sein weiteres Vorgehen genau abwägen: "Wir haben gesagt: Wenn der Iran Israel angreift, werden wir im Iran angreifen", sagte er dem israelischen Armeesenders.

Vage äußerte sich das Militär. Sprecher Hagari sagte: "Wir prüfen die Situation und zeigen dem Kabinett die Pläne, wir sind bereit, zu unternehmen, was für die Verteidigung Israels notwendig ist." Ein weiterer israelischer Armeesprecher kündigte eine nicht weiter ausgeführte Reaktion an: "Wir werden dem Iran mit Taten antworten, nicht mit Worten", sagte er dem oppositionellen Exil-Sender Iran International. Näher ging er nicht darauf ein.

Steht nun ein Krieg bevor?

Das kommt auf die weitere Entwicklung an. Bisher bekannte Reaktionen aus beiden Staaten deuten darauf hin, dass vorerst keine weiteren gegenseitigen Angriffe geplant sind. Ohnehin fielen angesichts der Masse der vom Iran eingesetzten Drohnen und Raketen die Folgen vergleichsweise gering aus. Die israelische Armee sprach davon, den iranischen Angriff "vereitelt" zu haben. Armeesprecher Hagari wies aber die Idee zurück, der Angriff könnte eine Art geplanter Show ohne echte Schadensabsicht gewesen sein. "Ich glaube, der Iran wollte Ergebnisse erzielen und dies ist ihm nicht gelungen", sagte er. Den Einsatz ballistischer Raketen nannte er eine klare Eskalation, das Vorgehen Irans "sehr schwerwiegend". Irans Präsident Ebrahim Raisi sprach dagegen von einer "verantwortungsvollen und verhältnismäßigen Aktion".

Quelle: ntv.de, mit dpa/AFP/rts

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