Buschmann mahnt indirekt Israels Parlament billigt Teil der Justizreform
21.02.2023, 01:14 Uhr Artikel anhören
Die Proteste vor der Knesset und andernorts ändern nichts an den Plänen der neuen israelischen Regierung.
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
Der Protest gegen die umstrittene Justizreform treibt Zehntausende auf die Straßen, auch in der Knesset spielen sich turbulente Szenen ab. Das Projekt nimmt im Parlament dennoch die erste Hürde. Derweil besucht der deutsche Justizminister das Land. Ein Balanceakt für Marco Buschmann.
Ungeachtet massiver Proteste hat Israels rechts-religiöse Regierung ihr Vorhaben zur Schwächung des Justizsystems weiter vorangetrieben. Das Parlament billigte in der Nacht nach einer rund achtstündigen Sitzung einen Teil der umstrittenen Justizreform in der ersten von drei Lesungen. Zuvor hatten landesweit Zehntausende Menschen gegen die Pläne der rechts-religiösen Regierung protestiert. Unterdessen besuchte erstmals seit Vereidigung der israelischen Regierung Bundesjustizminister Marco Buschmann das Land. Der FDP-Politiker fand mahnende Worte, ohne das Gesetzesvorhaben direkt zu erwähnen.
"Aus der Geschichte zu lernen, bedeutet zu erkennen, dass man breite Mehrheiten suchen sollte, wenn man die Spielregeln des demokratischen Wettbewerbs und das Zusammenspiel der Verfassungsorgane verändern möchte", sagte Buschmann bei einer Ausstellungseröffnung in Tel Aviv. In Deutschland seien Änderungen des Grundgesetzes nur mit einer Stimmenmehrheit von zwei Dritteln in Bundestag und Bundesrat möglich. "Das gelingt regelmäßig nur dann, wenn auch große Teile der Opposition von der Notwendigkeit der Änderung überzeugt sind."
Reform gefährdet Gewaltenteilung
Ein Ziel der von Israels Regierung geplanten Justizreform ist es, dem - aktuell von ihr dominierten - Parlament zu ermöglichen, mit einer einfachen Mehrheit Entscheidungen des Höchsten Gerichts aufzuheben. Politiker sollen außerdem bei der Ernennung von Richtern mehr Einfluss erhalten. Kritiker sehen die demokratische Gewaltenteilung in Gefahr, wiederholt gab es Massendemonstrationen gegen die Pläne der Koalition. Die rechts-religiöse Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu argumentiert dagegen, das Höchste Gericht übe derzeit zu viel politischen Einfluss aus.
Weil Israel keine schriftliche Verfassung hat und der Staat stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen fußt, kommt dem Höchsten Gericht besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu. Staatspräsident Izchak Herzog warnte vor einem verfassungsrechtlichen und gesellschaftlichen Zusammenbruch Israels, falls die Regierung ihre Pläne kompromisslos und gegen alle Widerstände durchsetzen sollte.
Bereits in den frühen Morgenstunden hatten Demonstrantinnen und Demonstranten zentrale Straßen im Land blockiert und versucht, Abgeordnete daran zu hindern, in die Knesset zu kommen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu teilte mit, sie würden "die Demokratie mit Füßen treten". Auch bei der Parlamentssitzung am Abend spielten sich turbulente Szenen ab. Oppositionsführer Jair Lapid teilte mit, die Geschichte werde die Mitglieder der Regierung für die Abstimmung richten. "Für den Schaden an der Demokratie, für den Schaden an der Wirtschaft, für den Schaden an der Sicherheit."
Buschmann besucht Yad Vashem
Buschmann will sich mit seinem israelischen Kollegen Jariv Levin treffen. Es ist der erste Besuch eines deutschen Ministers in Israel seit der Vereidigung der neuen Koalition unter Netanjahu Ende vergangenen Jahres. Es ist die am weitesten rechts stehende Regierung, die das Land je hatte.
In Tel Aviv eröffnete Buschmann eine Wanderausstellung zum Umgang des Bundesjustizministeriums mit der eigenen NS-Vergangenheit, die zuvor schon in mehreren Städten Deutschlands sowie in Polen und den USA zu sehen gewesen war. Sie zeigt unter anderem, wie das Justizministerium nach Gründung der Bundesrepublik mit der NS-Vergangenheit seiner Mitarbeiter und der Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen umging. So konnten etwa Nazis aus dem Justizapparat ihre Karriere nach Kriegsende weiter fortsetzen. Die Ergebnisse der Aufarbeitung der Geschichte des Ministeriums seien erschreckend, sagte Buschmann. "Nicht nur vor 1945 haben zu viele Menschen weggesehen, auch nach 1945 haben es zu viele getan." Es sei wichtig, aus der Geschichte Lehren für die Gegenwart zu ziehen. "Juristinnen und Juristen dürfen sich nicht nur als Techniker des Rechts verstehen, die jede beliebige politische Idee in Paragrafen gießen und sie vollstrecken." Die Mehrheit dürfe niemals das letzte Wort behalten - dies könne nur eine unabhängige Justiz haben.
Am Nachmittag besuchte Buschmann die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Dort legte er zum Gedenken an die von den Nazis ermordeten sechs Millionen Jüdinnen und Juden einen Kranz nieder. "Aus dem Land der Täter bin ich heute ein Gast, der sich verneigt vor den Opfern", schrieb der Minister in das Gästebuch. Neben dem Treffen mit Levin will Buschmann bei seinem Besuch in Israel auch Gespräche mit Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara und der Präsidentin des Höchsten Gerichts, Esther Chajut, führen.
Quelle: ntv.de, ino/dpa