Krankheit oder Kampagne? Kadyrow hat sich mächtige Feinde gemacht
07.03.2023, 19:09 Uhr
Kadyrows Privatarmee hat im Verlauf des Krieges viele Verluste erlitten.
(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)
Ramsan Kadyrows Zustand gibt Rätsel auf - ist der Diktator ernsthaft krank oder arbeiten Kräfte im Hintergrund an seiner Demontage? Feinde hat er sich genug gemacht, und die eigene Armee wird immer schwächer.
Rund um Ramsan Kadyrow brodelt die Gerüchteküche: Ist er schwer krank? Wird er womöglich schleichend vergiftet? Der gewaltverliebte Diktator Tschetscheniens hat innerhalb eines Jahres sichtbar an Gewicht zugelegt, das Gesicht scheint leicht aufgedunsen. In der Öffentlichkeit zeigt er sich seltener und wirkt bei manchen Auftritten schwächer als sonst.
Von einem "Nierenproblem" berichtet die "Bild"-Zeitung und beruft sich auf den ehemaligen Vize-Ministerpräsidenten Tschetscheniens, Ahmed Zakajew. Demnach hat Kadyrow einen Klinikchef aus Abu Dhabi einfliegen lassen, der auf Nieren spezialisiert ist. Den Moskauer Ärzten traue er nicht.
Der Wahrheitsgehalt solcher Meldungen lässt sich nicht überprüfen. Dicke Wangen lassen sich künstlich ins Bild einfügen. Misstrauisch wäre der tschetschenische Präsident aber nicht ohne Grund, denn spätestens durch seine öffentliche Rolle als Kritiker der russischen Kriegsführung hat er sich im Kreml mächtige Feinde gemacht. "Bestimmte Personen aus dem Sicherheitsapparat, insbesondere in den Geheimdiensten, würden Kadyrow noch heute umbringen, wenn sie dürften", sagt der Osteuropaexperte Stefan Meister ntv.de. "Weil sie ihn nicht unter Kontrolle haben."
Immer wieder in den vergangenen Monaten hat Kadyrow Präsident Wladimir Putin mit verbaler Eskalation rechts überholt. Er meckerte über Misserfolge, im Oktober, nach einem erneuten russischen Rückschlag, regte Kadyrow an, über den Einsatz einer taktischen Atomwaffe nachzudenken. Er klang wie die Anzug tragenden Fernseh-Propagandisten, doch seine Position an der Spitze einer eigenen Armee verlieh seinen Worten mehr Gewicht. Als der Westen sich entschied, Kiew Panzer zu liefern, bollerte der Tschetschene in einem TV-Interview, die russischen Truppen sollten deutsches Gebiet wieder besetzen. "Wir müssen zurückkehren, das ist unser Territorium."
Den öffentlichen Diskurs über Sicherheit und Kriegsführung trieb Kadyrow mit radikalen Forderungen nach vorn. Und avancierte eine Weile lang vom Chef einer Privatarmee zu einem Player auch im politischen Spiel der Kräfte in Russland.
Kadyrow hat viele Kämpfer verloren
Ähnlich wortstark wie der Diktator aus Tschetschenien, der laut NGO-Berichten kritische Stimmen in seiner Republik per Folter und Mord zum Schweigen bringt, präsentiert sich auch Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin öffentlich. Beide bespielen eigene Kanäle in den sozialen Medien "und sind darin sehr geschickte Player", sagt Meister. "Darüber und über Medien, die das weitertragen, haben sie es geschafft, mehr Aufmerksamkeit zu generieren als sie eigentlich militärische Bedeutung haben."
Denn die Zeiten, als Kadyrows private Armee und Prigoschins Söldner als entscheidende Faktoren im Krieg gehandelt wurden, sind schon länger vorbei. "Kadyrows Truppen waren wichtig - zum Beispiel für Häuserkämpfe, gerade am Anfang des Krieges", sagt Meister. Bei der Einnahme der Hafenstadt Mariupol spielten sie eine große Rolle, wurden jedoch auch als Kanonenfutter in die Gefechte geschickt. Dadurch haben sie sehr viele Kämpfer verloren. Mit reduzierter Mannstärke sind beide Privatarmeen heute deutlich weniger wichtig für Russlands Kriegsführung als noch vor einem Jahr.
Der Bedeutungsverlust für den Kriegsverlauf könnte nun für die Gegenspieler in Moskau neue Möglichkeiten eröffnen. Monatelang mussten sich einflussreiche Männer wie Verteidigungsminister Sergej Schoigu oder der Generalstabschef Waleri Gerassimow von Kadyrow und Prigoschin attackieren lassen. "Jetzt rächen sie sich", so Meister. "Prigoschin und Kadyrow werden gerade systematisch ausgetrocknet."
Der Söldnerchef lamentiert in einem Video vom Wochenende von einer Funzel beleuchtet über Munitionsknappheit, und dass, wenn seine Leute aus Bachmut abrücken, die Front zusammenbreche. Bei Waffen stockt der Nachschub obendrein, und die russischen Gefängnisse stehen Wagner als Rekrutierungsbüro für Häftlinge auch nicht mehr offen.
Kadyrow wiederum ist in den Medien weniger mit Kriegstreiberei präsent, sondern mit den Spekulationen über seinen Gesundheitszustand, über Nierenschäden durch eine mögliche Vergiftung. Außer Gerüchten gibt es nichts, doch wer es sich mit dem Moskauer Sicherheitsapparat verscherzt, verlängert auch nicht gerade seine Lebenserwartung. Mit Russlands Präsidenten verbindet ihn ein Verhältnis gegenseitiger Loyalität. "Es ist vor allem Putin, der ihn schützt", sagt Experte Meister. "Das ist für Kadyrows Position entscheidend."
Egal, ob die Vergiftungstheorie stimmt oder frei erfunden wurde - toxisch ist sie für den Diktator in jedem Fall. "Er ist nicht mehr der starke Akteur, der bestimmte Fronten dominiert, die Medien dominiert und auch den Diskurs über den Krieg zumindest in Teilen beeinflusst, sondern es geht um seine Gesundheit, um die Frage: Ist er überhaupt noch im Land?", erklärt Meister.
Es kann eine gezielte Kampagne sein
Denn zuletzt wähnten manche Kadyrow schon in den Arabischen Emiraten zur Nierenbehandlung. In einer Phase, in der Kadyrows Bedeutung auf militärischer und politischer Ebene gelitten hat, wird seine Gesundheit mit immer mehr Dramatik infrage gestellt. Das kann sehr gezielte Kampagnenarbeit sein - von Akteuren, die einen Geschwächten endgültig im unteren Regalfach einordnen wollen.
Als wäre es eine Antwort auf dieses Gerücht, wurde am Montag ein Video im Netz geteilt, das Kadyrow zeigt, wie er Denis Puschilin empfängt, den Chef der einstigen "Volksrepublik" Donezk, die von Russland völkerrechtswidrig als Oblast annektiert wurde. Man zeigt sich kumpelhaft, trinkt Tee zusammen. Wann der Film aufgenommen wurde, lässt sich kaum verlässlich feststellen. Inhaltlich Relevantes gibt es nicht. Möglicherweise hat das Video nur die eine Aufgabe: bei bewölktem Himmel und Akteuren in Winterjacken nicht nach Abu Dhabi auszusehen.
Quelle: ntv.de