"Situation ist apokalyptisch" Kiew: Russland hat Evakuierungsroute beschossen
08.03.2022, 14:02 Uhr
Bereits zwei Evakuierungsversuche aus der umkämpften Hafenstadt Mariupol sind fehlgeschlagen. Mit 30 Bussen will das ukrainische Außenministerium den Bewohnern zur Flucht verhelfen, doch nun berichtet Kiew von Schüssen auf eine Evakuierungsroute. Das Rote Kreuz beschreibt katastrophale Zustände.
Russische Streitkräfte haben nach Angaben der ukrainischen Regierung eine Evakuierungsroute für die belagerte Hafenstadt Mariupol unter Beschuss genommen und damit gegen eine vereinbarte Feuerpause verstoßen. "Der Feind hat einen Angriff genau in Richtung des humanitären Korridors gestartet", erklärte das ukrainische Verteidigungsministerium in den sozialen Medien.
Die russische Armee habe "Kinder, Frauen und ältere Menschen nicht aus der Stadt gelassen". "Solche Aktionen (...) sind nichts anderes als Völkermord", erklärte das Verteidigungsministerium. Das Außenministerium in Kiew warf Russland einen "Verstoß gegen die Waffenruhe" vor. "Die russischen Streitkräfte beschießen den humanitären Korridor von Saporischschja nach Mariupol", fügte das Ministerium hinzu. Dabei seien Minen und Stacheldraht zuvor von der Straße entfernt worden, um die sichere Flucht zu gewährleisten, schrieb der Journalist Oleksiy Sorokin auf Twitter. "Acht Lastwagen und 30 Busse stehen bereit, um humanitäre Hilfe nach Mariupol zu liefern und Zivilisten nach Saporischschja zu evakuieren", teilte der Sprecher des Außenministeriums, Oleg Nikolenko, auf Twitter weiter mit. Er forderte: "Der Druck auf Russland muss erhöht werden, damit es seine Verpflichtungen einhält."
Laut dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ist die Lage für Hunderttausende Menschen in Mariupol katastrophal. "Die Situation ist apokalyptisch", sagte IKRK-Sprecher Ewan Watson in Genf. Das IKRK stehe bereit, den Abzug der Zivilisten zu ermöglichen, die aus der Stadt wollen, sagte Watson. Russland und die Ukraine hätten die Bedingungen dafür aber noch nicht geschaffen. "Wir versuchen verzweifelt, den Dialog zu ermöglichen", sagte Watson. In der Stadt gingen alle Vorräte zur Neige. Das IKRK habe sämtliche Bestände ausgeliefert und versuche, auf allen möglichen Wegen Nachschub ins Land zu bringen.
Rettung aus Mariupol bereits mehrfach gescheitert
Watson betonte, dass das IKRK nicht von "humanitären Korridoren" spricht, sondern von "sicherem Geleit" ("safe passage"). Dafür sei eine detaillierte Vereinbarung zwischen den Konfliktparteien nötig, in der praktische Details geklärt seien. Eine Voraussetzung sei, dass die Menschen die Reise freiwillig antreten und dass sie an einen sicheren Ort gebracht werden. Die Frage, ob Russland als sicherer Ort anzusehen sei, wollte Watson nicht beantworten.
Russland hatte am Montagabend örtliche Feuerpausen sowie die Einrichtung von Fluchtwegen für Zivilisten aus mehreren umkämpften Städten in der Ukraine angekündigt. Die strategisch wichtige Hafenstadt Mariupol wird seit Tagen von russischen Truppen belagert. Versuche, rund 300.000 Zivilisten aus Mariupol zu evakuieren, waren in den vergangenen Tagen mehrfach gescheitert. Kiew und Moskau gaben sich gegenseitig die Schuld dafür. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte am Morgen erklärt, es habe "Garantien" für die Evakuierung der Bewohner von Mariupol gegeben, die aber "nicht funktioniert" hätten.
Quelle: ntv.de, ysc/AFP/dpa/rts