Politik

Spannender SPD-Parteitag Klingbeil dachte an Rückzug, Bas wärmt das Herz

Alte und neue SPD-Führung: Bärbel Bas (l.) will Saskia Esken ablösen, Lars Klingbeil bleibt auf seinem Posten.

Alte und neue SPD-Führung: Bärbel Bas (l.) will Saskia Esken ablösen, Lars Klingbeil bleibt auf seinem Posten.

(Foto: dpa)

Die Katastrophe vom Februar, der Ausbau des "House of Lars", der Umgang mit Saskia Esken, dazu inhaltliche Erneuerung. Und dann ist da noch das "Manifest": Der SPD-Parteitag von heute bis Sonntag verspricht spannend zu werden.

Bärbel Bas und Lars Klingbeil haben die SPD in ihren Bewerbungsreden für den Parteivorsitz zu Zusammenhalt und Neuanfang aufgerufen. "Man kann die Anspannung bis hier oben spüren, und glaubt mir, ich bin auch angespannt", sagte SPD-Chef Klingbeil auf dem Parteitag der Sozialdemokraten in Berlin.

Tatsächlich wurden sowohl die Debatte im Anschluss an die Reden von Bas und Klingbeil als auch die Wahlergebnisse der beiden mit Spannung erwartet. Beide stellen sich den Delegierten heute Abend nach der Aussprache als SPD-Vorsitzende zur Wahl, Gegenkandidaten gibt es nicht. Klingbeil ist bereits seit Dezember 2021 SPD-Chef, Bas tritt zum ersten Mal an.

Schlechtestes Wahlergebnis seit 1887 muss aufgearbeitet werden

Spannung gibt es bei der SPD aus mehreren Gründen. Da ist einmal das katastrophale Wahlergebnis. Die SPD kam bei der Bundestagswahl im Februar nur auf 16,4 Prozent. Das war das mit Abstand schlechteste Ergebnis der Sozialdemokraten seit Bestehen der Bundesrepublik - wenn man weiter zurückgeht als 1949 sogar das schlechteste Wahlergebnis seit der Kaiserzeit, genauer: seit der Reichstagswahl von 1887.

Für die Aufarbeitung des Desasters hat die SPD bereits eine Kommission eingerichtet. Aber in der Hektik von Sondierungen, Koalitionsverhandlungen und dem normalen politischen Stress gab es bislang keine Gelegenheit zur öffentlichen Analyse.

Mächtigster SPD-Chef aller Zeiten

Zweiter Grund für Spannung: Anders als seine bisherige Co-Chefin Saskia Esken, die nicht mehr für den SPD-Vorsitz antritt, will Klingbeil an der Parteispitze bleiben. Seit der Wahl hat er seine Macht sogar noch ausgebaut. Er ist nicht nur SPD-Chef, sondern auch Finanzminister und Vizekanzler. Längst heißt das Willy-Brandt-Haus, die SPD-Zentrale in Berlin, bei vielen Genossen "House of Lars", in Anlehnung an die Serie "House of Cards". Klingbeil ist in diesem Bild der abgezockte Stratege Francis Underwood, dem es nicht um Inhalte geht, sondern um seine Macht.

Auch darauf ging Klingbeil ein. Er habe in den letzten Tagen viel gelesen, "über mich, über meine Rede, über die Bedeutung dieser Rede". Ein paar der Sätze, die Klingbeil lesen konnte, klangen so: "Ich kann mich an keine Person mit so viel Macht und Verantwortung in der SPD erinnern", sagte Juso-Chef Philipp Türmer im Interview mit ntv.de. "Lars Klingbeil fordert einen Vertrauensvorschuss von der Partei ein, den er auf dem Parteitag begründen müssen wird. Er muss seine Perspektive auf eine mögliche SPD-Vision liefern und Antworten haben, wie sich die SPD gut für die Zukunft aufstellen kann."

"Entweder aufhören oder volle Verantwortung"

Klingbeil griff die Kritik offensiv auf. "Natürlich trage ich Verantwortung für 16,4 Prozent", sagte er. "Ich weiß, ich habe Fehler gemacht in den letzten Monaten, aber dass ich mich für Zusammenhalt eingesetzt habe, das war der richtige Weg." Konkret benannte er als Fehler, zu spät reagiert zu haben, als sich die wirtschaftliche Krise abzeichnete. Da sei "die Sozialdemokratie nicht voll da" gewesen.

Sogar an einen Rückzug habe er gedacht, so Klingbeil. Nach der Bundestagswahl habe er das Gefühl gehabt, zwei Möglichkeiten zu haben: "Entweder ich höre auf oder ich gehe voll in die Verantwortung für die SPD."

Neue Inhalte müssen her

Ob und wie sehr die Partei Klingbeil seinen Machtzuwachs übelnimmt, auch den Umgang mit dem Wahlergebnis und den Umgang mit Esken, wird sein Wahlergebnis zeigen. Vor zwei Jahren hatten 85,6 Prozent der Delegierten für Klingbeil gestimmt. So viele werden es heute eher nicht sein.

Aber der Parteitag soll nicht nur zurückschauen, sondern auch nach vorn. "Veränderung beginnt mit uns", so das bewusst doppeldeutige Motto. Deshalb soll das Treffen den Startschuss für eine inhaltliche Neuaufstellung geben, für ein neues Grundsatzprogramm.

In dieser Situation ist die frühere Bundestagspräsidentin Bärbel Bas automatisch Hoffnungsträgerin der SPD. Ihre Rede war eine für das sozialdemokratische Herz. "Ein Sozialstaat, der mehr ist als Hilfe in Not", das sei eine historische Errungenschaft, darauf könne die SPD stolz sein. Kritik an diesem Sozialstaat treffe sie persönlich: Sie kenne das Gefühl, auf Hilfe durch den Staat angewiesen zu sein, aus eigener Erfahrung. Bas kommt aus schwierigen sozialen Verhältnissen und hat sich beruflich wie politisch hochgearbeitet.

Das ist "Klassenkampf von oben"

Geärgert habe sie die Debatte "um die angeblich faulen Deutschen", sagte Bas, ohne die CDU, mit der die SPD mittlerweile bekanntermaßen koaliert, zu erwähnen. Jährlich würden mehr als eine Milliarde Überstunden geleistet, mehr als die Hälfte davon unbezahlt. Darüber werde weniger geredet. Die Debatte sei "ein Schlag ins Gesicht von 46 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern", sagt sie unter dem Jubel der Delegierten. Es gebe Manager, "die streichen jedes Jahr Vorstandsgehälter in Millionenhöhe ein". Aber wenn es Deutschland schlecht gehe, liege es angeblich an den "faulen" Arbeitnehmern. "Das nenne ich Klassenkampf von oben."

Ausdrücklich lobten Klingbeil und Bas die bisherige SPD-Chefin Saskia Esken. Bas verwies darauf, dass die SPD erst zwei Frauen als Vorsitzende gehabt habe, Esken und Andrea Nahles. Beide seien unter unguten Umständen aus dem Amt geschieden. "Ganz ehrlich: Der Umgang mit ihnen war kein Glanzstück."

Zudem forderte Bas, jetzt sollte "sehr zügig" geklärt werden, ob die Voraussetzungen für ein Verbot der AfD erfüllt seien. Wenn dies der Fall sei, dann sei die SPD verpflichtet, sich für einen Verbotsantrag einzusetzen. Einen entsprechenden Antrag diskutiert der Parteitag am Sonntag.

Und dann ist da noch das "Manifest"

Bas und Klingbeil gingen auch auf das "Manifest" ein, das zuletzt für Aufsehen gesorgt hatte. Darin heißt es leicht raunend, in Deutschland hätten sich "Kräfte" durchgesetzt, "die die Zukunft vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchen". "Frieden und Sicherheit sei nicht mehr mit Russland zu erreichen, sondern müsse gegen Russland erzwungen werden", steht dort, so als sei das falsch.

Ohne das Papier oder seine Verfasser, darunter die SPD-Politiker Ralf Stegner und Rolf Mützenich zu erwähnen, wies Klingbeil deren Forderungen klar zurück. "Mit mir wird es keinen anderen Weg in der Ukraine-Politik unserer Partei geben", sagte er. "Wladimir Putin ist nicht Michail Gorbatschow. Wir müssen heute alles tun, um uns vor Putins Russland zu schützen."

Auch den Vorwurf, die SPD habe ihren Schwerpunkt zu wenig auf Diplomatie gelegt, wies Klingbeil zurück. Der ehemalige Bundeskanzler Olaf Scholz habe genau das getan. Einer der beiden Autoren entzog sich der Debatte komplett: Mützenich, bis vor Kurzem immerhin Chef der SPD-Bundestagsfraktion, blieb dem Parteitag fern. Dem "Spiegel" sagte er, dass er sich von seiner Partei missverstanden fühle. "Die Vehemenz der Angriffe, ja, auch die Anfeindungen aus der SPD haben mich irritiert und verunsichert."

Auch Bas ging klar auf Distanz zum Manifest, wenn auch weniger scharf. Die SPD müsse außenpolitisch Farbe bekennen, durch "kluge Diplomatie", "aber auch durch militärische Stärke". Das sei "ein schwieriges Thema, auch für mich persönlich".

Quelle: ntv.de

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