Politik

Deutsche Botschafterin in USA "Kriegsausgang wird ungeheure Auswirkungen haben"

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Emily Haber, die deutsche Botschafterin in den USA, tritt im Alter von 67 Jahren ab und beendet ihre diplomatische Karriere. Im Gespräch erzählt sie von ihrer schwierigen Zeit mit Ex-US-Präsident Trump, der Zusammenarbeit nach dem Schock des russischen Angriffskriegs - und welche Eigenschaft der US-Amerikaner sie mit nach Berlin nehmen wird.

ntv: Frau Botschafterin, zum Ende Ihrer diplomatischen Karriere waren die USA fünf Jahre lang Ihr Zuhause. Mit welchem Gefühl packen Sie das letzte Mal die Koffer? Und was planen Sie für danach?

Emily Haber: Mit dem Gefühl, es ist das letzte Mal. Es ist das Ende eines Kapitels. Der einzige Plan, den ich habe, ist jetzt drei Monate lang wirklich nichts zu machen. Dann werde ich eine Entscheidung treffen. Aber bis dahin treffe ich keine.

Wenn Sie auf diese Jahre, die Sie hier verbracht haben, schauen, vielleicht im großen Rahmen. Haben Sie ein Adjektiv, das Sie mitnehmen?

Emily Haber

... war seit Juni 2018 deutsche Botschafterin in Washington, D.C.

Insgesamt war sie über 40 Jahre im Auswärtigen Dienst tätig.

2009 wurde sie zur Politischen Direktorin und 2011 zur Staatssekretärin ernannt. Sie war jeweils die erste Frau auf diesen Posten.

Anschließend wurde sie an das Bundesinnenministerium abgeordnet, wo sie als Staatssekretärin von 2014 bis 2018 für Innere Sicherheit und Migrationspolitik zuständig war.

Es waren außergewöhnliche Jahre, es waren sehr herausfordernde Jahre. Es waren Jahre mit Aufs und Abs. Aber jetzt, da ich gehe, kann ich sagen, das bilaterale -transatlantische Verhältnis ist in einem guten Zustand.

Ihre Aufgabe war es, die diplomatischen Beziehungen aufrechtzuerhalten, auch unter Donald Trump. Wie schwierig war das?

Die deutsche Debatte war sehr fokussiert auf den Präsidenten, und er war die zentrale Figur im bilateralen Verhältnis. Aber man hat in dieser Debatte in Deutschland manchmal übersehen, dass dieses Verhältnis sehr, sehr viel größere Bereiche einbezieht. Also denken Sie an die massive Präsenz der deutschen Wirtschaft hier. Denken Sie an die Städtepartnerschaften, denken Sie an die Wissenschaftsbeziehungen.

Auch, wenn der Präsident einen anderen Ton anschlägt?

In gewisser Weise schon. Weil gerade die Intensität, die Dichte dieser Landschaft an Beziehungen da war, gab es eine fast strukturelle Rückversicherung für das Verhältnis. Wenn ich im Land gereist bin, dann waren Themen, über die ich hier vielleicht kritisch diskutiert habe mit der Administration, die waren weit weg. Nord Stream 2, Handelsbilanz, das Zwei-Prozent-Ziel der Verteidigungsausgaben bei den NATO-Mitgliedsstaaten: In Texas oder in North Dakota habe ich davon nicht viel gehört.

Sind Sie manchmal aufgewacht und haben gedacht: Um Gottes willen, was ist das jetzt wieder für ein Tweet, wenn man so morgens das Handy anmachte oder den Fernseher? Es gab immer wieder Überraschungen mit Trump.

Ja, in jenen Jahren habe ich in der Tat morgens als erstes auf den Twitter Account geschaut. Das tue ich nicht mehr.

Haben Sie aufgeatmet, als Joe Biden gewählt wurde?

Es ist nicht meine Aufgabe aufzuatmen, wenn Präsidenten gewählt werden oder nicht gewählt werden.

Ist die Sorge in Deutschland berechtigt, dass diese tieferen Beziehungen nachhaltig geschädigt werden könnten durch einen Präsidenten, was er tut oder getan hat?

Die deutsche Botschaft in Washington, D.C.

Die deutsche Botschaft in Washington, D.C.

(Foto: picture alliance/dpa)

Es kann über einen längeren Zeitraum schon tiefere Auswirkungen haben, wenn das bilaterale Verhältnis immer wieder an die Grenze geschoben wird. Aber es gibt eine sehr dichte Architektur von bilateralen Beziehungen, die der Unterbau des politischen Verhältnisses sind. Und die sind dadurch nicht geschädigt worden. Das sind Beziehungen, die sind weit ab vom politischen Raum, von politischen Diskussionen. Es ist leichter, mit einer Administration umzugehen, mit der wir uns einig sind über die Bedeutung multilateraler Beziehungen oder internationaler Strukturen oder internationaler Verträge, gar keine Frage.

Hat sich die Zusammenarbeit unter Joe Biden möglicherweise vereinfacht, weil die Gesprächskanäle besser funktionieren?

Wir sind uns über sehr viele Fragen sehr viel einiger, als wir das vorher waren. Das stimmt. Aber die Annahme, dass zu der vorherigen Administration es an Zugängen gefehlt hätte oder dass eine Offenheit nicht gegeben gewesen wäre, zum Beispiel mich zu empfangen oder mit mir zu sprechen, das stimmt nicht. Die Zugänge waren in allen Fällen gut. Die Summe der Meinungsverschiedenheiten war damals deutlich größer.

Blicken Sie auch derzeit mit Sorgen auf die USA?

Die Polarisierung des Landes ist eine große Sorge. Der Wahlkampf (für die Präsidentschaftswahl 2024, Anm. d. Red.) wird sehr stark geprägt werden von Ressentiments, von Gefühlen, von Emotionen, die aus Statusängsten, aus Status-Verlustängsten kommen. Die Erfahrung, abgehängt zu sein, ist ein zentraler Motor für die Polarisierung. Wir haben am 6. Januar 2021 gesehen, wie gefährlich es werden kann, wenn sich Polarisierung so entlädt, wie das bei dem Überfall auf das Kapitol geschehen ist, als Menschenmengen mit Mordlosungen, die sie skandiert haben, in das Kapitol eingedrungen ist. Das war ein Moment, wo wir wirklich uns Sorgen machen mussten, welche Gefahr für die Demokratie entstehen kann.

Im Land, in das Sie jetzt zurückgehen, wird ebenfalls gerade eine große Debatte über Polarisierung geführt. Die AfD gewinnt in Deutschland enorm an Zustimmung. Sehen Sie Parallelen in den Entwicklungen?

Parallelen nicht. Aber wir leben in einer Kommunikationsgesellschaft, in der das, was hier geschieht, sich unmittelbar und sofort anderswo fortsetzen kann. Es gibt diese unmittelbare Ansteckungsgefahr durch die modernen Technologien. Ich glaube, der Hauptunterschied ist, dass die Strukturen in diesem Land sehr binär sind, dass es ein Zwei-Parteien-System, eine Medienlandschaft gibt, die sehr manichäisch ist. Wir haben ein Vielparteiensystem. Die checks and balances sehen (in Deutschland) deswegen anders aus. Die Medienlandschaft ist viel komplexer. Bei uns gibt es insoweit Sicherungen, die eine unmittelbare, sich spiegelnde Ansteckung nicht nahelegt. Aber Anknüpfungspunkte gibt es.

Nehmen Sie Erfahrungen mit, die uns helfen könnten, nicht in solche Polarisierungssphären vorzudringen, wo sich die USA befinden?

Eine politische Debatte, die sich ausschließlich auf Kulturkampf-Parolen zurückzieht, also emotionale, statusbezogene oder mit Statusangst besetzte Debatten führt, Polarisierung anheizen kann. Das ist der Grund, warum die derzeitige Administration versucht, die Debatte sehr stark auf konkrete wirtschaftliche Erfolge, auf Verbesserungen zurückzuführen. Ob das gelingt, werden wir im Wahlkampf sehen. Eine emotionale Kulturkampfdebatte wird immer dazu neigen, die Dinge auf die Spitze zu treiben. Ich habe dies stärker erlebt bei politischen Veranstaltungen, in den sozialen Medien und Medien. In persönlichen Kontakten war das viel weniger der Fall.

Was macht das momentane deutsch-amerikanische Verhältnis aus?

Ich glaube, das deutsch-amerikanische Verhältnis ist gegenwärtig in einem sehr guten Zustand. Eine zu den wirklich positiven Erfahrungen von mir gehört, dass wir vor und nach dem Kriegsausbruch, dem russischen Angriff auf die Ukraine, aufs engste mit der amerikanischen Seite zusammengewirkt, an den Sanktionen und gemeinsamen Positionen in Europa mitgewirkt haben.

Die Panzerdebatte gab das Gefühl, als könnte es sich doch auseinanderdividieren.

Die hat in den sozialen Medien eine größere Rolle gespielt als im bilateralen Verhältnis. Dass unser Tempo sich manchmal unterschieden hat, dass es manchmal auch unterschiedliche Vorstellungen gab, gehört ehrlich gesagt zur Normalität eines bilateralen Verhältnisses. Zu den unangenehmen Überraschungen für den russischen Präsidenten dürfte gehört haben, dass sich die Europäer und die Amerikaner nicht auseinanderdividieren ließen und dass wir in der Lage waren, gemeinsam auf die russische Aggression zu antworten.

Glauben Sie, es bleibt so?

Ja.

Sie haben auch lange in Russland gearbeitet. Haben Sie damit gerechnet, dass wir mal einen Krieg in Europa, ausgehend von Russland erleben?

Nein.

Welchen Einfluss hat dieser Krieg auf die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA?

Es hat uns alle schockiert, dass Russland tatsächlich ein Nachbarland, eine unabhängige Demokratie überfallen hat. Die Amerikaner haben vor dem Krieg eher damit gerechnet als wir. Der Ausgang dieses Krieges wird eine ungeheure Bedeutung haben für die Art und Weise, wie die geopolitische und geoökonomische Landkarte der Zukunft aussieht. Ich bin mir vollkommen sicher, dass das nicht nur in Europa geschehen wird. Japan wird sich das genau anschauen. Taiwan wird sich das anschauen. Das heißt also, die Durchhaltefähigkeit unserer Allianz, die Durchhaltefähigkeit bei der Unterstützung für die Ukraine, unsere Fähigkeit, Kurs zu halten, wird eine enorme politische Aussage darüber enthalten, wie wir, unsere Macht und Werte, in der Welt gesehen werden.

Sie waren die erste Frau in diesem Amt hier in Washington D.C. Bedeutet Ihnen das etwas?

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Es ist nicht das erste Mal, dass ich die erste Frau in einem Posten war. Insofern war der Neuigkeitswert für mich jedenfalls nicht besonders groß. Aber es stimmt, als ich beim Aufräumen die Bücher in der Botschaftsbibliothek mal durchgegangen bin, habe ich ein Buch gefunden: "Unser Mann in Washington". Es enthält Erinnerungen und Reminiszenzen, Notizen von allen früheren Botschaftern. Ich glaube nicht, dass eine Neuauflage geplant ist, aber der Titel müsste geändert werden.

Freuen Sie sich ein bisschen, eine Vorbildrolle für junge Diplomatinnen zu haben?

Ich habe die Erfahrung gemacht - ich spreche nicht für mich selbst -, wenn Frauen bestimmte Positionen erreicht haben, dass es plötzlich zur Normalität gehört, dass es möglich ist. Und insofern verändert es schon etwas.

Gibt es schon etwas, von dem Sie wissen, dass es Ihnen fehlen wird, wenn Sie zurück in Deutschland sind?

Ich nehme den Vorsatz mit, im Alltag in Deutschland genauso höflich und freundlich zu sein, wie ich das bei Amerikanern erlebt habe. Sogar in Berlin. Ich glaube, mir werden die amerikanische Freundlichkeit, die Hilfsbereitschaft, die freundlichen Umgangsformen fehlen, die zur amerikanischen DNA gehören.

Mit Emily Haber sprach Christopher Wittich

Für die Fernsehausstrahlung wurde das Gespräch gekürzt. Die verschriftlichte Version wurde für bessere Lesbarkeit gestrafft.

Quelle: ntv.de

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