Makelloser Antrittsbesuch Pistorius eilt durch Washington
29.06.2023, 06:59 Uhr Artikel anhören
Verteidigungsminister Pistorius und die deutsche Botschafterin Emily Haber am Weltkriegsdenkmal in Washington.
(Foto: AP)
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat nur wenige Stunden in Washington verbracht. Sein verspäteter Antrittsbesuch dürfte ihn auch in den USA populär machen.
Pünktlich um 13.30 Uhr fahren die SUVs am Verteidigungsministerium in Washington vor. Es ist zwar ein Antrittsbesuch, aber die zwei, die sich da die Hände schütteln, kennen sich längst gut: Boris Pistorius, Deutschlands beliebtester Politiker, und sein Amtskollege aus den USA, Verteidigungsminister Lloyd Austin. Der Amerikaner weist dem Deutschen kurz die Richtung, die Stufen nach oben, einmal umdrehen.
Pistorius bewegt sich in seiner noch immer relativ neuen Rolle auf dem internationalen Parkett, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Das gilt auch für das Portal des Pentagons. Souverän steht er neben Austin und blickt in Richtung des Washington-Monuments in der Ferne, während die beiden Nationalhymnen gespielt werden, wie es das Protokoll vorsieht.
Bevor die beiden "sehr im Detail" reden, wie der Minister es ankündigt, darf die Presse noch mit im Raum sein, als sich die Delegationen aus jeweils fünf Personen gegenübersitzen und die Amtsträger sich begrüßen. Beide auf Englisch. Austin heißt den Niedersachsen herzlich willkommen und begrüßt ihn das erste Mal als Minister in den USA. Pistorius nutzt diesen Moment, um ein ganz grundsätzliches Signal zu setzen: "Ich bin ein Kind des Kalten Krieges", sagt er, und: "Ich bin aufgewachsen mit dem Vertrauen, dass die USA als Spitze der NATO unsere Freiheit verteidigen werden." Genau deshalb gebe es jetzt eine besondere Verantwortung für die Sicherung der neuen Ostflanke - der Ukraine.
Jake Sullivan wartet schon
Nachdem sich die beiden Minister und ihre Berater hinter verschlossenen Türen ausgetauscht haben, muss es schnell gehen. Der Zeitplan ist eng. Eine Kranzniederlegung am 9/11-Denkmal des Pentagons, wo am 11. September 2001 eine Passagiermaschine vom Typ Boeing 757-200 in das Gebäude raste, dann ein kurzer Besuch am Denkmal für die im Zweiten Weltkrieg gefallenen US-Soldaten und ein zügiger Spaziergang zum Martin-Luther-King-Memorial. Wer in Washington von auffallend vielen Kameras begleitet wird, weckt das Interesse, vor allem das von Touristen. Und so sind auch in Washington die Fragezeichen in den Augen nicht zu übersehen: Wer ist dieser Mann, der da gerade vorbeikam, vielleicht ein "Big Shot"? Aber Pistorius ist da schon auf dem Weg zum nächsten Termin, der Sicherheitsberater des US-Präsidenten Jake Sullivan wartet auf ihn.
Die Tagesordnung hatte sich noch während des Anflugs des Ministers geändert. Die Kranzniederlegung auf dem Soldatenfriedhof Arlington entfällt. Aber mit einem Interview in der "New York Times" hatte Pistorius schon einen ersten Akzent gesetzt, bevor er überhaupt da war. Deutschland müsse sich im indopazifischen Raum stärker engagieren, sagte der deutsche Minister der Zeitung. Etwas, das man sowohl im Pentagon als auch im Büro des Sicherheitsberaters gerne gelesen haben dürfte. Deutschland scheint tatsächlich ernst zu machen mit dem Mehr an Verantwortung für internationale Sicherheit. Denn die Zeit, in der die USA "als Spitze der NATO unsere Freiheit verteidigen werden", geht dem Ende entgegen. Natürlich weiß Pistorius, dass Europa mehr Verantwortung übernehmen muss.
Nach den Gesprächen, bei einer kleinen Pressekonferenz am Freedom Plaza im Zentrum der US-Hauptstadt, schiebt der Minister auf die Frage, ob dieses verstärkte Engagement im Indopazifik in der Ampelkoalition mehrheitsfähig sei, hinterher: Er habe gelernt, "wenn man ein politisches Ziel erreichen will, muss man die Diskussion anstoßen". Strategische Partner im Indopazifik seien "kein nice to have, sondern etwas, worauf wir und übrigens auch die Weltwirtschaft und die Freiheit der Handelswege angewiesen sind".
Mit klaren Aussagen geht Pistorius auch auf die anderen Themen der Gespräche mit Austin ein. Russland? Nach dem Marsch auf Moskau von Söldner-Chef Jewgeni Prigoschin gebe es kein klares Lagebild, sondern eine Situation, auf die man keinen Einfluss habe. Mali? Der Abzug ist beschlossen, ein Chaos wie beim Abzug in Afghanistan könne man nach jetzigem Stand ausschließen. NATO-Beitritt der Ukraine? Es gebe nach seiner Ansicht keinen Termin dafür. Aber die Zukunft der Ukraine liege in der NATO. Jens Stoltenberg? Der NATO-Generalsekretär, dessen Amtszeit zu Ende geht, solle gefragt werden, ob er noch länger im Amt bleiben könne, wenn man sich nicht auf eine andere Kandidatin oder einen anderen Kandidaten festlegen könne.
"Breaking News" verkündet Pistorius an diesem Tag nicht. Aber man bekommt das Gefühl, dass sich da einer mit seinen Themen beschäftigt. Das dürfte auch im Pentagon und im Weißen Haus gut angekommen sein.
Quelle: ntv.de