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Presse zum Gefangenenaustausch Lässt sich der Westen von Putin erpressen?

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Auf diesem von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik veröffentlichten Bild begrüßt Putin freigelassene russische Gefangene am Flughafen.

Auf diesem von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik veröffentlichten Bild begrüßt Putin freigelassene russische Gefangene am Flughafen.

(Foto: dpa)

Triumphiert bei dem historischen Gefangenenaustausch Russland über die westlichen Demokratien? Während manche Medienvertreter warnen, sehen andere in dem "Deal" eine Chance für den Ukraine-Krieg.

Die "Washington Post" sieht klar Russlands Präsidenten als Gewinner: "Um die Unschuldigen freizubekommen, ist es möglich, den Austausch zu tolerieren. Aber unter den kalten geopolitischen Bedingungen, die Putins Denken bestimmen, ist dies ein unbestreitbarer Sieg für ihn."

Der "Kölner Stadt-Anzeiger" verortet ebenfalls Putin auf der Gewinnerseite. "Gut, dass die nach rechtsstaatlichen Maßstäben mutmaßlich weitgehend unschuldigen Menschen frei sind. Als Erfolg sollten die USA und Deutschland den Austausch aber nicht verbuchen. Es ist eher eine Machtdemonstration Russlands mit der Türkei als willfährigem Handlanger. Ein kleiner Lichtblick mag sein, dass der demokratische Westen überhaupt noch in der Lage ist, mit Russland einen Deal zu finden."

Diese Chance sieht auch "La Repubblica" aus Italien: Der Gefangenenaustausch "könnte ein Signal sein, dass zwischen Moskau und Washington etwas in Bewegung ist, um auch im Ukraine-Krieg zu einer diplomatischen Lösung zu kommen. (...) Bekannt ist, dass Biden aus Vergeltung für den ihm aufgezwungenen Rückzug vom Präsidentenamt mit einem großen Erfolg abschließen möchte, indem er zumindest einen der beiden Kriege beendet, die die Welt erschüttern. Kurzfristig scheint der Krieg in der Ukraine besser lösbar zu sein als jener im Nahen Osten."

Der "Reutlinger General-Anzeiger" betont ebenfalls einen Anknüpfungspunkt für den Ukraine-Krieg: Der Deal zeige, "dass Verhandlungslösungen möglich sind, wenn alle Seiten davon profitieren. Wenn der Westen mit Russland ins Geschäft kommen will, dann muss er etwas anbieten. Womöglich wäre das auch ein Ansatz für Frieden in der Ukraine. Denn dass das überfallene Land sein gesamtes Staatsgebiet zurückerobert, wird immer unwahrscheinlicher."

Im Fall des Gefangenenaustauschs hat sich nach Einschätzung der "Neuen Zürcher Zeitung" vor allem Deutschland den USA gebeugt: Deutschland kommt den USA weit entgegen. (...) Es geht vor allem im Falle Deutschlands um Realpolitik. Das Land ist in besonderer Weise abhängig von den USA, erst recht seit dem russischen Überfall auf die Ukraine. Anders als Großbritannien und Frankreich besitzt es keine eigenen Nuklearwaffen. Es braucht den amerikanischen Schutzschirm. (...) Einen solchen Verbündeten verprellt man nicht. Auch wenn das bedeutet, einen Mörder freizulassen."

Der Arbeitgeber des freigelassenen Journalisten Evan Gershkovich, das "Wall Street Journal", dankt Bundeskanzler Olaf Scholz dafür: "Scholz setzte sich dem Risiko politischer Kritik im eigenen Land aus, indem er den Spion freiließ, den Putin entsandt hatte, um auf deutschem Boden zu töten." (...) Gershkovich "war lediglich eine Schachfigur in dem neuen Spiel des Kremls, bei dem es darum geht, Geiseln zu nehmen, um sie als Druckmittel zu benutzen (...). Die hässliche Wahrheit ist, dass Russland und andere rücksichtslose Regime Geiseln nehmen, weil es funktioniert. (...) Die derzeitige weltweite Wahrnehmung der Schwäche der USA hat schlimme Folgen für die Pressefreiheit und für US-Amerikaner im Ausland. (...) Etwas wird sich ändern müssen, sonst werden nach diesem Gefangenenaustausch noch mehr Amerikaner als Geiseln genommen."

Kritisch äußert sich auch die spanische Zeitung "ABC": "Die Rückkehr zu diesen Praktiken des Kalten Krieges wirft mehrere Probleme auf. Erstens verlangen die heutigen Demokratien ein Höchstmaß an Transparenz und sind nicht bereit, Staatsräson blind zu akzeptieren, ganz gleich wie lobenswert ihre Ziele auch sein mögen. Zweitens ist die bewusste Entscheidung Russlands, Journalisten und politische Dissidenten mit erwiesenen Spionen und Attentätern gleichzusetzen, an sich schon eine Schande. (...) Dieser Austausch verlangt nach Erklärungen."

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Der belgische "Standaard" sieht trotzdem den Westen als Sieger: "Auch dieser Deal sieht nach Erpressung aus. (...) Russland empfängt Krasikow nun wie einen Helden. Die russischen Regimekritiker, die der Westen befreit hat, sieht der Kreml gerne gehen. Exilanten verschwinden schneller aus den Nachrichten als Märtyrer in russischen Zellen. Aber das macht Russland nicht zum Gewinner dieser Erpressung. Das sind und bleiben jene Länder, denen es vor allem um die Freiheit unschuldiger Bürger geht."

Die russische "Nesawissimaja Gaseta" stuft dagegen Erdogan als einzig sicheren Gewinner ein: "Was auch immer die langfristigen Folgen des Austauschs sein mögen, eine führende Persönlichkeit der Welt hat bereits davon profitiert: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Er hat sehr hart daran gearbeitet, den Ruf seines Landes als Vermittler wichtiger Weltprobleme zu sichern, und es ist ihm gelungen."

Quelle: ntv.de, chl/dpa

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