Flüchtlinge werden attackiert Lage an EU-Außengrenze verschärft sich
01.03.2020, 22:59 Uhr
An der Grenze geht die Polizei gegen die Ankömmlinge vor.
(Foto: dpa)
Zehntausende Flüchtlinge wollen über die offene Grenze der Türkei nach Griechenland - und damit in die EU. Doch an der Außengrenze erhitzt sich die Lage immer mehr. Flüchtlingsboote werden attackiert, die Polizei setzt Tränengas ein. Griechenland will einen Monat keine Asylanträge annehmen.
Nach der Öffnung der türkischen Grenzen für Flüchtlinge eskaliert die Lage an der EU-Außengrenze in Griechenland immer mehr: Die griechische Polizei setzt Tränengas und Wasserwerfer ein, um Tausende Flüchtlinge von einer Überquerung der Grenze abzuhalten. Auf Lesbos attackieren Bewohner Bootsflüchtlinge, die an Land gehen wollten. Pro Asyl forderte eine Aufnahme der Menschen statt militärischer Abwehr.
Griechenland hat indes die Schutzvorkehrungen an seinen Grenzen auf die höchste Stufe heraufgesetzt. Dies teilte Regierungschef Kyriakos Mitsotakis nach einer Krisensitzung des nationalen Sicherheitsrats in Athen mit. So sollen die Patrouillen an Land und zu Wasser im Nordosten des Landes verstärkt werden, nachdem die Türkei am Wochenende ihre Grenzen zur EU für Flüchtlinge geöffnet hatte.
Der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas ergänzte, sein Land werde einen Monat lang keine neuen Asylanträge mehr annehmen. Er sprach von einer "asymmetrischen Bedrohung der Sicherheit unseres Landes". Petsas griff zudem die Türkei an, die mit der Öffnung ihrer Grenzen diplomatischen Druck ausüben wolle. Ankara sei damit "selbst zum Schlepper" geworden. Zugleich verstärkte Griechenland seine Einheiten entlang der Grenze zur Türkei weiter. Die Regierung in Athen warf der Türkei vor, Migranten mit falschen Informationen dazu zu bewegen, nach Griechenland und damit in die EU zu kommen.
Laut türkischem Innenminister Süleyman Soylu brachen bis Sonntagmorgen 78.358 Flüchtlinge in der Türkei Richtung Edirne auf. Die Provinz im Nordwesten der Türkei grenzt an die EU-Staaten Griechenland und an Bulgarien. Die UNO hatte am Samstagabend von 13.000 Flüchtlingen an der 212 Kilometer langen türkisch-griechischen Grenze gesprochen. Aus der griechischen Regierung hieß es, binnen 24 Stunden seien fast 10.000 Migranten an einem "illegalen" Grenzübertritt gehindert worden. Zudem wurden rund 140 Flüchtlinge festgenommen.
Trängengas gegen ankommende Flüchtlinge
Die griechische Polizei drängte die Flüchtlinge am Grenzübergang Pazarkule am Samstag mit Tränengas zurück, daraufhin warfen einige der Migranten - zumeist aus Afghanistan, Syrien und dem Irak - mit Steinen. Trotzdem harrten Tausende Flüchtlinge in der Nacht an der Grenze aus. Am Sonntag trafen Tausende weitere aus Istanbul ein, darunter Frauen und Kinder.
Auf der griechischen Insel Lesbos ließen wütende Inselbewohner am Sonntag rund 50 Migranten in einem Schlauchboot im Hafen von Thermi nicht an Land, wie AFP-Fotografen berichteten. Sie schrien "Geht zurück in die Türkei", beschimpften einen Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), einige griffen Journalisten und Fotografen an. Unter den Flüchtlingen waren auch Kinder.
Nahe des Strands von Skala Sykamineas beobachtete ein AFP-Fotograf, wie Griechen ein nicht mehr genutztes UN-Begrüßungszentrum für Flüchtlinge in Brand setzten. Eine weitere Gruppe Griechen versuchte unterdessen, einem Polizeibus mit Migranten mit Ketten und Steinen den Weg in das heillos überfüllte Lager Moria zu versperren, wie die griechische Nachrichtenagentur ANA berichtete.
Eine Frontex-Sprecherin teilte AFP mit, dass die EU-Grenzschutzbehörde auf Bitten Athens die Entsendung von zusätzlichen Beamten sowie von Ausrüstung dorthin veranlasst habe. Die Frontex-Alarmstufe für alle EU-Grenzen zur Türkei sei auf "hoch" angehoben worden. Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, forderte "eine an den Grundsätzen von Solidarität und Humanität orientierte europäische Lösung". Die Menschen müssten von Deutschland und anderen EU-Staaten aufgenommen werden. "Wasserwerfer und Gewalt gegenüber Schutzsuchenden sind inakzeptabel", erklärte er.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell teilte mit, auf Bitten Griechenlands gebe es diese Woche eine Sondersitzung der EU-Außenminister. EU-Migrationskommissar Margaritis Schinas forderte eine Sondersitzung der Innenminister.
Erdogan: EU hält sich nicht an den Flüchtlingspakt
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan begründet die Grenzöffnung damit, dass die EU sich nicht an den im März 2016 geschlossenen Flüchtlingspakt halte. Ankara verpflichtete sich darin, alle auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen und stärker gegen Schlepperbanden vorzugehen. Die EU versprach der Türkei im Gegenzug Milliardenhilfen, eine beschleunigte Visa-Erleichterung und die Modernisierung der Zollunion.
Die Zahl der Vertriebenen in Syrien war zuletzt infolge der Offensive des syrischen Machthabers Baschar al-Assad in Idlib gestiegen. Dort kämpfen vor allem islamistische Milizen, die teils von der Türkei unterstützt werden. Am Donnerstag waren auch 33 türkische Soldaten getötet worden, ein weiterer starb am Freitag.
Die Türkei machte öffentlich, dass sie deshalb eine Militäroffensive gegen die syrische Armee in Idlib führe. Ziel der Operation "Frühlingsschild" sei es, "die Massaker des Regimes zu beenden und eine Flüchtlingswelle zu verhindern", sagte Verteidigungsminister Hulüsi Akar. Die türkische Armee schoss nach eigenen Angaben am Sonntag zwei Kampfjets der syrischen Regierungstruppen ab und zerstörte ein Luftabwehrsystem.
Quelle: ntv.de, sgu/AFP/dpa