Politik

Merkel-Rede in Harvard Marshalls Erbin

Merkel bekam an diesem Donnerstag die Ehrendoktorwürde in Harvard verliehen.

Merkel bekam an diesem Donnerstag die Ehrendoktorwürde in Harvard verliehen.

(Foto: REUTERS)

Wenn Angela Merkel an diesem Abend an der US-Elite-Uni Harvard spricht, tritt sie in große Fußstapfen. Es war dort, wo ein US-Außenminister zwei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem berühmten Plan die Wiederauferstehung Westeuropas in die Wege leitete: George Marshall.

Komische Hüte, alte Tradition und große Ehre. Klar, wer über ein Stiftungsvermögen von 38 Milliarden Dollar verfügt, kann für seine Abschlussfeier jeden anheuern, um seinen Graduierten inspirierende Worte mit auf den Weg zu geben. Aber es ist nicht das Geld, das einen Steven Spielberg oder eine J. K. Rowling zur Abschlussklasse der Harvard University sprechen ließ. Denn die altehrwürdige Uni im direkt an Boston grenzenden Cambridge ist nicht nur Tummelplatz für die smarten Sprösslinge der amerikanischen Upper Class, sondern von je her eines der wichtigsten Zentren des amerikanischen Geisteslebens.

So hat es Tradition, dass hier auf der Harvard Yard oder im Tercentenary Theatre neben Literaten, Wissenschaftlern oder Künstlern auch Staats- und Regierungschef Reden halten. Adenauer, Schmidt, von Weizsäcker, Kohl - die Bundesrepublik und das wiedervereinigte Deutschland waren dabei gut vertreten.

Und dennoch bedeutete die Einladung Angela Merkels - verbunden mit der Ehrendoktorwürde von Barack Obamas Alma Mater, der Harvard Law School - mehr, als nur noch eine weitere Regierungschefin zu gewinnen. Nennt die "Harvard Gazette" Merkel doch "Chancellor of the Free World" - einer Freien Welt, die zum Teil hier in Harvard begründet wurde.

Marshall erzählte vom Hungertod in Europas Städten

Vor 72 Jahren lud die Universität George Marshall ein, eine Rede zu halten. Marshall war amerikanischer Außenminister, Kriegsheld und moralische Instanz. Er wollte, so ließ er es vorher der Harvard Alumni Association ausrichten, nicht die üblichen Lebensweisheiten und erbaulichen Worte darbieten, sondern über ein anderes Thema referieren. Es wurde die wichtigste Abschlussrede, die hier je gehalten wurde.

Peter Kleim ist USA-Korrespondent für RTL und n-tv.

Peter Kleim ist USA-Korrespondent für RTL und n-tv.

Marshall beschrieb in drastischen Worten den langsamen Hungertod in Europas Städten. Der Zweite Weltkrieg habe die wirtschaftliche Struktur fundamental zerstört. 1947 produzierten die urbanen Zentren keine Waren mehr, die Bauern keine Lebensmittel - sie bekamen dafür ja nichts. Würde der Verfall nicht gestoppt, so Marshall, käme es zu einer Revolution.

Um den Frieden zu sichern, müsse man dem Nachkriegs-Europa Hilfe zur Selbsthilfe gewähren. Einmal, in einem großen, nachhaltigen Paket. Aber nur unter einer Bedingung: die Europäer müssten gemeinsam beschließen, was, wo zu tun sei. Marshalls Harvard-Rede wurde so zum Grundstein des Wiederaufbau Europas und seiner Einigung.

Einladung Merkels ein Zeichen

Die liberale Weltordnung der Nachkriegszeit, deren europäischer Teil maßgeblich durch den Marshall-Plan begründet wurde, war zu einem großen Teil amerikanischer Weitsicht zu verdanken. Eines Präsidenten namens Truman, eines Aussenministers namens Marshall. Doch heute heißen die Trump und Pompeo.

Auch wenn Angela Merkel nicht halten kann, was Harvard vom "Chancellor of the Free World" erwartet, jemand muss die "Freie Welt", den Multilateralismus, die liberale Weltordnung, die Europa Frieden und Wohlstand brachten, verteidigen. 72 Jahre nach Marshalls Rede und zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Donald Trump war Harvards Einladung an Angela Merkel ein politisches Zeichen.

Quelle: ntv.de

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