Arbeit "schwer erträglich" Schulz hält Rücktritt von Kühnert für "richtigen Schritt"
11.10.2024, 14:21 Uhr Artikel anhören
Schulz sieht Politiker großem Stress ausgesetzt.
(Foto: IMAGO/Wolfgang Maria Weber)
Der überraschende Rückzug von Ex-SPD-Generalsekretär Kühnert aus der Politik beschäftigt viele seiner Kollegen. Parteifreund Schulz nennt die Arbeit "schwer erträglich" und liefert mehrere Gründe dafür.
Der ehemalige SPD-Vorsitzende Martin Schulz empfindet es als "richtigen Schritt", dass der ehemalige Generalsekretär Kevin Kühnert von seinem Posten zurückgetreten ist und nicht zur nächsten Bundestagswahl antreten will. Der 35 Jahre alte SPD-Politiker nannte gesundheitliche Gründe für diese Entscheidung, ohne näher darauf einzugehen. "Viele Menschen hoffen, dass er sich erholt und zurückkommt. Das wünsche ich mir auch", sagte Schulz dem "Spiegel".
Der vor knapp vier Jahren zum Vorstand der Friedrich-Ebert-Stiftung gewählte Politiker sprach weiter davon, dass Kühnert "ein talentierter junger Mann" sei. Er hoffe, dass der 35-Jährige "die Kraft zurückgewinnt, um dieses Talent bestmöglich weiterzunutzen". Über die Erkrankung des ehemaligen Jusos-Chefs wollte Schulz nicht spekulieren. Er erläuterte jedoch ausführlich, dass "die Belastung in der Politik häufig über das Maß des Erträglichen hinausgeht".
"Du musst sieben Tage die Woche 24 Stunden lang verfügbar sein", erklärte Schulz. "Du hast auch selbst das Gefühl, immer erreichbar sein zu müssen. Bist du es mal nicht, und es passiert etwas, haut man dir das gnadenlos um die Ohren." Die Tage würden sehr früh am Morgen beginnen und oft erst spät in der Nacht enden. "Du bekommst wenig Schlaf, kaum Ruhe, und in diesen 12 bis 16 Stunden Arbeitszeit stehst du dauernd unter Druck", so Schulz. Die fortschreitende Digitalisierung habe dies "noch beschleunigt", was "zu einer Atemlosigkeit und dem permanenten Gefühl, überfordert zu sein" führe.
Ein weiteres Problem sieht Schulz in der Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger: "Jedes noch so komplexe Problem soll nicht jetzt, sondern am besten schon gestern gelöst werden, jedenfalls auf keinen Fall erst morgen", sagte der Politiker im Interview. Aus diesem Grund würden Politiker oft wirken "wie Menschen, die zwar alle Probleme beschreiben können, aber nie liefern". Die Kombination aus diesen Punkten führe dazu, dass die Arbeit in der "Politik schwer erträglich geworden ist".
Absturz in der Politik "nie verarbeitet"
Der 68-jährige SPD-Mann weiß, wovon er spricht. Er selbst stieg bis zum Ende seiner Politkarriere auf und wurde als möglicher Nachfolger Angela Merkels gehandelt. 2017 trat Schulz als Kanzlerkandidat der SPD an. Doch die Gunst der Wähler war nicht auf seiner Seite. Politische Fehler sorgten für den Absturz des Martin Schulz. Diesen könne er mittlerweile "mit einer gewissen inneren Distanz betrachten".
Jedoch gibt er im Gespräch zu verstehen, dass ihm die Situation "sehr stark" zugesetzt hatte. Auf die Frage, wie lange er gebraucht habe, um das alles hinter sich zu lassen, entgegnete Schulz im "Spiegel": "Ich habe das ehrlich gesagt bis heute nicht verarbeitet." Er habe sich lediglich damit abgefunden und würde bis heute "Wunden tragen".
Geholfen hat dem Politiker in der Zeit das Verfassen eines Tagesbuches. Schulz schreibe jeden Tag eine Seite. Damit dokumentiere er, wie es ihm abends geht. "Ich habe das sogar so aufgeschrieben: 'Es fällt mir schwer, das zu schreiben, weil es mich so anwidert'." Auch nach der Zeit in der persönlichen Krise habe er dies fortgeführt. "Und erstaunlicherweise hat mir das geholfen." Veröffentlichen wolle er das Werk allerdings nicht, da er die Zeit nicht noch einmal erleben will, wenn er es für die Öffentlichkeit aufbereiten müsse.
Quelle: ntv.de, mpa