Neuwahlen in Großbritannien "May könnte sich verkalkulieren"
19.04.2017, 11:12 Uhr
Theresa May setzt alles auf Neuwahlen. Ihr Plan dürfte aufgehen. Doch was, wenn nicht?
(Foto: imago/Xinhua)
Theresa May will mehr Macht. Aber was, wenn ihre Rechnung nicht aufgeht? Großbritannien-Experte Gerhard Dannemann glaubt, dass die Premierministerin auch scheitern könnte - auch wenn die Wahrscheinlichkeit dafür gering ist.
n-tv.de: Theresa May hat Neuwahlen bisher immer abgelehnt. Was treibt sie nun zu dem Schritt?
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Gerhard Dannemann lehrt englisches Recht sowie britische Wirtschaft und Politik am Großbritannien-Zentrum der Humboldt-Universität zu Berlin.
(Foto: HU Berlin)
Gerhard Dannemann: Ich nehme an, dass viele in der Partei sie längere Zeit dazu gedrängt haben, ihre Machtbasis zu festigen. Sie hat derzeit nur eine relativ kleine Mehrheit im Unterhaus. Wenn sie bei den Wahlen zulegt, wird es leichter, ihr Programm durchzubringen. Zudem mehren sich die Zeichen, dass 2020, wenn die nächste reguläre Wahl anstünde, die Zeichen nicht mehr ganz so gut sind für die britische Politik und Wirtschaft – eben wegen der Folgen des Brexits. Und Theresa May will vor allen Dingen eines: Sie will zumindest einmal als Premierministerin gewählt worden sein. May hat ein demokratisches Defizit und das kann sie auf diese Weise beheben.
Für May ist das ein logischer Schritt, sie kann sich laut Umfragen Zugewinne erhoffen. Warum stimmen die anderen Parteien voraussichtlich heute den Neuwahlen zu?
Die Liberaldemokraten werden es tun, weil auch sie sich klare Zugewinne erhoffen. Die schottischen Nationalisten werden es tun, weil sie die Wahl zu einer weiteren Volksabstimmung über ihre proeuropäische Politik und möglicherweise ihrem zweiten Unabhängigkeitsreferendum machen wollen. Das Einzige, was einen wundern kann, ist, warum Labour-Chef Jeremy Corbyn gleich zugesagt hat.
Und warum macht er das?
Das ist ein gewisses Rätsel. Vielleicht, weil er sich prinzipiell als Kämpfertyp begreift. Er fürchtet womöglich, dass man ihm nachsagen könnte, er traue sich nicht. Ich glaube aber nicht, dass alle Labour-Abgeordneten damit gleichermaßen glücklich sind. Denn viele laufen Gefahr, ihren Sitz zu verlieren.
Das Brexit-Votum im vergangenen Juni ging knapp aus. Gibt es mit der Parlamentswahl im Juni auch eine zweite Möglichkeit, den EU-Austritt abzuwenden?
Die gäbe es nur, wenn die größte Oppositionspartei Labour das jetzt zu ihrem Wahlprogramm machen würde. Und das wird sie nicht tun.
Warum nicht?
Labour ist selbst gespalten in dieser Frage. Corbyns Unterstützung für den Verbleib in der Europäischen Union war bestenfalls lauwarm. In der Labour-Partei gibt es und gab es schon immer einen europakritischen Flügel. Zudem ist es sehr schwierig, nach der Volksabstimmung über den Brexit die Kehrtwendung einzuleiten. Das wäre auch politisch riskant.
Was ist mit Ukip – immerhin war diese Kraft der größte Kämpfer für den Austritt?
Ukip hat im Moment gar keinen Parlamentarier mehr. Der einzige, den sie hatten, Douglas Carswell, ist jetzt Unabhängiger. Insgesamt kann Ukip einen, vielleicht auch zwei Sitze gewinnen, aber es wird sich nicht sehr viel verschieben. Der Partei ist so ziemlich der Dampf ausgegangen, da ihr Hauptanliegen von Theresa May umgesetzt wird – nämlich der Austritt aus der Europäischen Union. In Umfragen ist Ukip deutlich zurückgegangen.
Können die Oppositionsparteien Theresa May denn bei den Wahlen gefährlich werden?
Die Liberaldemokraten in einem gewissen Rahmen schon. Sie haben – inklusive eines gewonnenen Sitzes durch eine Nachwahl – jetzt neun Sitze. Wenn sie das verdoppeln, wäre das schon ganz gut. Bis 2015 hatten sie allerdings über 40 Sitze. Sie werden in einigen Wahlkreisen, die überwiegend für den EU-Verbleib waren, den Tories Sitze abnehmen. Die – sagen wir – zehn Sitze muss Theresa May sich dann woanders holen. Das wird ihr nicht bei den schottischen Nationalisten gelingen.
Also holt sie sie sich bei Labour?
Ja. Sie muss Labour mehr Sitze abjagen, als sie an die Liberaldemokraten verliert. Labour steht in den Umfragen sehr schlecht da, auch wegen eines internen Machtkampfes. Jeremy Corbyn ist zwar bei der Parteibasis, aber nicht bei den Wählern beliebt. Doch wegen des Mehrheitswahlrechts ist es schwer vorherzusehen, ob Mays Plan aufgeht. Sie könnte sich da auch verkalkulieren.
Sehen Sie eine echte Chance für Labour, in so kurzer Zeit die Trendwende zu schaffen?
Labour kann allenfalls Schadensbegrenzung betreiben. Und das ist eine immense Herausforderung. Sie müssten innerhalb weniger Wochen ein Wahlprogramm verabschieden, ihre Streitigkeiten beilegen und ohne weitere innere Zerwürfnisse in allen Wahlkreisen Labour-Kandidaten aufstellen. Diese Herausforderung zu meistern, kann ihnen die Einigkeit wiedergeben, die ihnen so lange gefehlt hat. Insgesamt halte ich es aber für sehr unwahrscheinlich, dass Labour den Umschwung schafft.
Mit Gerhard Dannemann sprach Johannes Graf
Quelle: ntv.de