"Weder fair noch frei" Merkel: EU erkennt Wahlergebnis in Belarus nicht an
19.08.2020, 15:10 Uhr
Die EU stellt sich gegen Alexander Lukaschenko: Bei einem Sondergipfel beschließen die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer, das Wahlergebnis in Belarus nicht anzuerkennen. Es habe "massive Regelverstöße" gegeben, begründet Kanzlerin Merkel die Entscheidung.
Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten werden das Ergebnis der umstrittenen Präsidentenwahl in Belarus nicht anerkennen. Die Abstimmung sei weder fair noch frei gewesen, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Sondergipfel zur politischen Krise in Belarus.
Es gebe keinen Zweifel daran, dass es massive Regelverstöße bei der Wahl gegeben habe, sagte die CDU-Politikerin nach rund dreistündiger Beratung mit ihren Kollegen. "Wir verurteilen die brutale Gewalt gegen Menschen." Alle Gefangenen müssten bedingungslos freigelassen werden. Zudem setze man sich - wie von der Opposition gefordert - für einen nationalen Dialog ein.
Für die per Videokonferenz geführten Gespräche der Staats- und Regierungschefs war in Brüssel extra die politische Sommerpause unterbrochen worden. Die EU wollte damit auch ein deutliches Zeichen setzen, dass sie an der Seite der friedlich demonstrierenden Menschen in Belarus steht.
Merkel als Vermittlerin
Geht es nach den Gegnern von Lukaschenko, könnte Angela Merkel eine entscheidende Rolle in dem Konflikt einnehmen. Diese können sich eine Vermittlerrolle der Bundeskanzlerin im Machtkampf in der Ex-Sowjetrepublik vorstellen. "Natürlich begrüßen wir jeden Versuch, einen Dialog in der Zivilgesellschaft zu organisieren", sagte die Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa vom Koordinierungsrat.
"Mir ist bisher nicht klar, worauf Merkel und Putin bestehen", sagte Kolesnikowa mit Blick auf ein Telefonat Merkels mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Lage in Belarus vor einigen Tagen. "Aber beliebige positive Schritte, die dabei helfen, uns zu vereinen, sind sehr willkommen." Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vermitteln auch im Ukrainekonflikt zwischen Moskau und Kiew.
Lukaschenko sehe zurzeit keine Notwendigkeit, mit Merkel persönlich zu sprechen, sagte dessen Sprecherin Natalia Ejsmont. Er habe aber Putin ausgerichtet, dass dieser mit Merkel über angebliche Einmischung aus dem Ausland sprechen sollte. "Er soll Frau Merkel ausrichten, dass sich weder Deutschland, noch ganz Westeuropa in die inneren Angelegenheiten von Belarus einmischen soll", sagte die Sprecherin im russischen Staatsfernsehen.
Seit der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Präsidentenwahl am 9. August gibt es in der ehemaligen Sowjetrepublik Massenproteste gegen Lukaschenko. Vor allem zu Beginn reagierte die Polizei mit Gewalt gegen die weitgehend friedlichen Demonstranten. Noch kurz vor dem Sondergipfel hatte die Opposition die EU dazu aufgefordert, die Wahl Lukaschenkos nicht anzuerkennen.
Militärisches Eingreifen befürchtet
Aus dem Exil in Litauen sagte die Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja: "Verehrte Anführer Europas, ich rufe Sie dazu auf, das Aufwachen von Belarus zu unterstützen." Lukaschenko selbst forderte die EU-Staaten hingegen dazu auf, sich mit ihren eigenen Problemen zu befassen. "Bevor sie mit dem Finger auf uns zeigen, sollten sie Themen wie die 'Gelbwesten' in Frankreich oder die schrecklichen Unruhen in den USA auf die Tagesordnung ihrer Treffen setzen."
Als Antwort auf die Polizeigewalt bei Demonstrationen hatten die Außenminister der EU-Staaten bereits vergangene Woche Sanktionen gegen Unterstützer Lukaschenkos auf den Weg gebracht. Zudem soll es Strafmaßnahmen gegen Personen geben, die für eine Fälschung der Präsidentenwahl verantwortlich gemacht werden.
Angesichts der politischen Krise warnte der Präsident des Europaparlaments, David Sassoli, vor der Gefahr eines militärischen Eingreifens in den Konflikt. "Es gibt allen Grund, eine Eskalation der Repressionen und eine militärische Intervention zu befürchten", sagte der Italiener. Zugleich betonte er: "Ein externes Eingreifen in die Krise, die das Land durchmacht, wäre nicht hinnehmbar."
Die Zukunft des Landes zwischen Russland und dem EU-Staat Polen könne nur von seinen eigenen Bürgern durch einen demokratischen Prozess bestimmt werden. Sassoli nannte zwar kein Land, aber in der EU besteht die Sorge, dass Russland wie 2014 nach prowestlichen Protesten in der Ukraine auch militärisch in Belarus eingreifen könnte - auch wenn die Ausgangslage eine deutlich andere ist und die Opposition in Belarus immer wieder erklärt, dass sie keinen Bruch mit Moskau will.
Weiteres Todesopfer der Proteste
Im Zuge der Proteste hat es unterdessen ein drittes Todesopfer gegeben. Ein Demonstrant sei in einem Militärkrankenhaus seinen schweren Verletzungen erlegen, teilte das Gesundheitsministerium in Minsk im Nachrichtenkanal Telegram mit. Der 43-Jährige war bei einer Demonstration vor einer Woche in der Stadt Brest an der Grenze zu Polen schwer verletzt worden. An diesem Tag hatten Sicherheitskräfte nach Angaben des Innenministeriums bei Protesten scharfe Munition eingesetzt. Dabei wurde der Mann nach Angaben seiner Tochter am Kopf getroffen.
Die Menschen in Belarus demonstrierten bereits den elften Tag in Folge gegen Lukaschenko. In Staatsbetrieben legten Beschäftigte erneut die Arbeit nieder, allerdings weniger als zu Wochenbeginn, wie das unabhängige Portal tut.by berichtete. Protestaktionen gab es auch in anderen Städten des Landes. Doch auch Unterstützer Lukaschenkos versammelten sich zu Straßenprotesten.
Quelle: ntv.de, fzö/bea/dpa