Zeit für EU-Haushalt wird knapp Merkel: EU könnte vor dem Nichts stehen
02.07.2020, 21:55 Uhr
Die freundlichen Gesichter Merkels und von der Leyens täuschen - sie malten ein düsteres Szenario, sollten die Finanzverhandlungen scheitern.
(Foto: dpa)
In Brüssel geht es gerade darum, wie Milliarden-Beträge aus europäischem Steuergeld verteilt werden. Doch die Verhandlungen haken - Kanzlerin Merkel findet ungewöhnlich drastische Worte.
Vor dem EU-Sondergipfel Mitte Juli nehmen die Verhandlungen über den milliardenschweren Hilfsfonds gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zwar Fahrt auf, noch ist aber Sand im Getriebe. Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warnten ungewöhnlich eindringlich vor den Folgen eines Scheiterns des Vorhabens und des damit verbundenen Mehrjahreshaushalts der EU.
"Mit jedem Tag, den wir verlieren, werden wir sehen, wie Menschen ihre Jobs verlieren und Unternehmen pleite gehen", sagte von der Leyen nach einer Videokonferenz mit Vertretern der Bundesregierung anlässlich der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Deutschland. Sie kündigte für kommenden Mittwoch ein Spitzentreffen mit Merkel, EU-Parlamentspräsident David Sassoli und Ratspräsident Michel in Brüssel an.
Deutschland hat seit Mittwoch den Vorsitz der 27 EU-Staaten und soll als Vermittler dazu beitragen, einen Konsens über das beispiellose Finanzpaket zu finden. Von der Leyen hatte einen siebenjährigen Haushaltsplan im Umfang von 1,1 Billionen Euro vorgeschlagen sowie einen Wiederaufbauplan nach der Coronakrise im Umfang von 750 Milliarden Euro. Noch sind die Positionen der EU-Staaten allerdings weit auseinander. Die 27 EU-Staats- und Regierungschefs wollen am 17. Juli in Brüssel versuchen, sich zu einigen.
"Nur noch Agrarpolitik"?
Merkel warnte nach der Videokonferenz mit von der Leyen, die EU könne bei einem Scheitern der EU-Finanzverhandlungen Anfang 2021 "vor dem Nichts" stehen. Alle wüssten, wo die Schwierigkeiten lägen. Es müsse eine Einigung auf den EU-Haushalt bis 2027 und den geplanten Aufbaufonds Mitte Juli "und auf jeden Fall im Sommer" gelingen, sagte Merkel. "Wenn wir etwas mehr Zeit brauchen, wäre es die nicht so gute Variante", fügte sie mit Blick auf die nötigen Abstimmungen mit dem Europäischen Parlament und die nationalen Parlamente hinzu.
Merkel verwies darauf, dass die bisherige EU-Finanzperiode Ende des Jahres ausläuft. Ohne eine Einigung könne man dann "nur noch Agrarpolitik machen und sonst nicht mehr viel". Hintergrund ist, dass im Fall eines Scheiterns der Finanzverhandlungen die Agrarzahlungen auf dem Niveau des Vorjahres auch 2021 weiterlaufen würden, während die meisten anderen Ausgabenprogramme in der EU jeweils neu beschlossen werden müssen und dann auslaufen würden.
"Ich fahre nach Brüssel am 17. Juli mit dem Willen, eine Einigung herbeizuführen", sagte Merkel. Sollte dies nicht direkt klappen, müssten die Gespräche natürlich trotzdem weitergehen. "Aber es muss sowieso im Laufe des Sommers eine Einigung geben, eine andere Variante kann ich mir gar nicht vorstellen". Es sei wichtig, dass die Antwort auf die Krise "so gestrickt ist, dass sie wuchtig ist", betonte Merkel. Die ganze Welt schaue darauf, was die Europäische Union zustande bringe.
Kompromissvorschlag Ende nächster Woche erwartet
Allerdings sind nach Angaben aus EU-Kreisen praktisch alle wichtigen Details nach wie vor umstritten, darunter auch die Grundfrage, ob auf Kredit aufgenommenes Geld als Zuschuss an EU-Krisenstaaten verteilt werden soll oder nur als Kredit. Außerdem wird darüber gestritten, nach welchen Kriterien das Geld vergeben und welche Bedingungen dafür erfüllt werden müssen. Auch der Umfang des Konjunkturprogramms und des Haushaltsplans sind offen.
Von der Leyen hat Merkel für den 8. Juli zur Vorbereitung zu einem Treffen mit EU-Ratschef Charles Michel und EU-Parlamentspräsident David Sassoli nach Brüssel eingeladen. Für Ende nächster Woche wird dann ein Kompromissvorschlag von Michel erwartet, der den Weg zu einer Einigung ebnen soll.
Quelle: ntv.de, vpe/dpa/AFP/rts