Politik

Zeichner Stuttmann im Interview "Merkel hat die Politik ziemlich umgekrempelt"

Unverkennbar: Kanzlerin Merkel aus der Feder von Klaus Stuttmann.

Unverkennbar: Kanzlerin Merkel aus der Feder von Klaus Stuttmann.

(Foto: Klaus Stuttmann / Schaltzeit-Verlag)

Klaus Stuttmann gehört zu den bekanntesten Karikaturisten Deutschlands. Seit Jahrzehnten kommentiert er mit spitzem Stift die Tagespolitik - unverwechselbar und preisgekrönt. Natürlich stand dabei in den vergangenen 16 Jahren auch immer wieder Angela Merkel im Mittelpunkt - nachzusehen in Stuttmanns gerade veröffentlichtem "Merkelbilderbuch". Der Abschied der Kanzlerin von der politischen Bühne stimmt ihn wehmütig. Die Figur sei ihm ans Herz gewachsen, sagt Stuttmann im Interview. Außerdem spricht er über Merkels typische Merkmale, wie sie Deutschland geprägt hat - und wen er als Nachfolger am liebsten zeichnen würde.

ntv.de: Könnten Sie nach 16 Jahren Kanzlerschaft Merkel mit verbundenen Augen zeichnen?

Klaus Stuttmann, Jahrgang 1949, arbeitet seit Ende der 70er-Jahre als politischer Karikaturist. Seine Zeichnungen erscheinen regelmäßig in mehr als 20 Tageszeitungen und wurden mehrfach ausgezeichnet.

Klaus Stuttmann, Jahrgang 1949, arbeitet seit Ende der 70er-Jahre als politischer Karikaturist. Seine Zeichnungen erscheinen regelmäßig in mehr als 20 Tageszeitungen und wurden mehrfach ausgezeichnet.

(Foto: picture alliance / dpa)

Klaus Stuttmann: Ich denke ja. Es würde auf jeden Fall erkennbar sein.

In ihren Zeichnungen im Buch, die in den frühen 90er-Jahren beginnen, verändert sie sich. Gab es einen Punkt, an dem Sie das Gefühl hatten, Merkel gut getroffen zu haben?

Es hat ein bisschen gedauert, weil sie anfangs, als sie noch "Kohls Mädchen" war, sehr jung war. Und bei jungen Frauen ist es immer ein bisschen schwierig, mit wenigen Strichen die Person zu treffen. Später bekommen sie dann Konturen, das macht es einfacher. Das war dann bei Frau Merkel doch relativ früh der Fall.

Alle kennen die Merkel-Raute, aber gibt es noch andere Merkmale, die typisch für sie sind?

Blazer, Frisur und Mundwinkel sind Erkennungsmerkmale Merkels. Die berühmte Raute kam erst später auf.

Blazer, Frisur und Mundwinkel sind Erkennungsmerkmale Merkels. Die berühmte Raute kam erst später auf.

(Foto: Klaus Stuttmann / Schaltzeit-Verlag)

Die Raute war eigentlich nicht von Anfang an präsent. Ich weiß gar nicht mehr, welcher Kollege das als erster entdeckt hat. Ich hatte, als Merkel Kanzlerin wurde, hauptsächlich ihre Anzüge im Kopf. Anfangs hatten ihre Jacketts immer drei Knöpfe, später waren es vier, mittlerweile sind es bis zu sechs. Das war ihr Erkennungszeichen. Hinzu kam ihre Physiognomie, da waren es vor allem die Frisur, die beinahe wie ein Helm wirkte, und die Mundwinkel, die ziemlich früh nach unten zeigten und inzwischen eine sehr scharfe Kante sind.

Als Karikaturist beobachten Sie Merkel seit mehr als 30 Jahren. Hat man es irgendwann satt, sie zu zeichnen?

Nein, diese Figur wächst einem ans Herz. Sie verselbstständigt sich irgendwann, sie bekommt ein Eigenleben, das parallel zur realen Person läuft, und gehört bald zur Familie.

Sind Sie wehmütig, dass Merkel jetzt aufhört?

Ja, auf jeden Fall ist da auch Wehmut dabei. Aber das geht mir eigentlich bei allen Politikern und Politikerinnen so, mit denen ich lange gearbeitet habe und die dann irgendwann abtreten. Das war schon bei Kohl so. Er war mir zwar persönlich weniger sympathisch als Frau Merkel, aber auch bei ihm gab es eine gewisse Wehmut, nachdem ich ihn 16 Jahre begleitet hatte. Aber das war auch bei Gerhard Schröder und Joschka Fischer oder Theo Waigel so - es war immer bedauerlich, wenn man sie gut drauf hatte und sie dann abtreten.

In Ihrem "Merkelbilderbuch" fehlen die Texte und Sprechblasen der Karikaturen. Warum?

Hätte ich eine Rückschau gemacht mit den vollständigen Karikaturen, mit Sprechblasen und Texten, dann hätte man die Zusammenhänge genauer erklären müssen, weil die meisten Leute die Situation, in der die Karikatur entstanden ist, nicht mehr verstanden hätten. Also habe ich damit experimentiert, die Texte wegzulassen, damit sich die Leser nur anhand von Merkels Physiognomie sowie der ganzen Politiker, mit denen sie zu tun hatte, erinnern können. Zu jedem Jahr habe ich allerdings zur Orientierung die wichtigsten Ereignisse in Stichpunkten zusammengetragen.

Waren Ihnen selbst die Themen bei der Durchsicht der Karikaturen noch präsent?

Mehr als 800 Zeichnungen enthält das "Merkelbilderbuch", von ihren politischen Anfängen bis zum Jahr 2020. Das Buch ist eine aktualisierte Ausgabe und erschien ursprünglich 2018.

Mehr als 800 Zeichnungen enthält das "Merkelbilderbuch", von ihren politischen Anfängen bis zum Jahr 2020. Das Buch ist eine aktualisierte Ausgabe und erschien ursprünglich 2018.

(Foto: Klaus Stuttmann / Schaltzeit-Verlag)

Doch, die meisten schon. Es gab ein paar, bei denen ich auch noch mal nachschauen musste, aber es gibt im Laufe der Jahre immer größere Themen, an denen man sich orientieren kann. Am Anfang geht es um den Machtkampf innerhalb der Partei, gegen Kohl und Schäuble und die ganze Männer-Bande, gegen die sich Merkel durchsetzen muss. Später geht es um Schröder, Fischer und Sigmar Gabriel. Und es gibt inhaltliche Abschnitte, die ganzen Krisen: Finanzkrise, Griechenland-Bashing, die Flüchtlingskrise, Corona. Dann gibt es Merkel als Weltpolitikerin, die über der Bundespolitik schwebt.

Sie zeichnen Merkel seit vielen Jahren. Schauen Sie sich immer noch ihre Reden an, um ihre Mimik zu beobachten?

Ich schaue schon hin, aber es verändert sich eigentlich nicht mehr so viel. Zumindest meine Comicfigur verändert sich nicht mehr massiv.

Ganz am Anfang haben Sie Merkel noch mit Namensschild gezeichnet, weil sie kaum bekannt war. Wie ungewöhnlich fanden Sie ihren Aufstieg an die Spitze?

Geschafft - 2005 wird Merkel Kanzlerin.

Geschafft - 2005 wird Merkel Kanzlerin.

(Foto: Klaus Stuttmann / Schaltzeit-Verlag)

Ich habe es immer mit Staunen und einer gewissen Bewunderung beobachtet, wie sie sich durchgesetzt hat. Ich habe mich auch immer wieder gefragt, welche Motivation dahinter steckt. Nach außen wirkt sie nicht machtbesessen, im Gegensatz etwa zu Schröder, der bekanntlich am Gitter des Kanzleramts gerüttelt hat. So etwas konnte man bei ihr nie erkennen. Deshalb fragt man sich bis heute, was sie innerlich dazu antreibt, immer an die Spitze zu kommen.

Und das haben Sie bis heute nicht rausgefunden?

Nein, habe ich nicht. Das hat niemand. Außer vielleicht ihr Mann.

Warum wurde Merkel zu Deutschlands "Mutti", was hat sie bei vielen Menschen so beliebt gemacht?

Ihre Unaufgeregtheit, das Uneitle, die Zurückhaltung - ich kann mir gut vorstellen, dass das eine gewisse Sicherheit vermittelt. Im Gegensatz zu einem Rowdy wie Schröder hat sie immer eine gewisse Sicherheit gegeben und, weil sie so lange an der Macht war, auch eine gewisse Beständigkeit. Einigen Menschen gibt das sicherlich das Gefühl, dass sie wie eine Mutti ist.

Am Ende des Buches spielen Sie auf eine berühmte Karikatur zu Bismarcks Rücktritt 1890 an, auf der der Reichskanzler als "Lotse" von Bord geht. Bei Ihnen springt Merkel lustig ins Wasser. Ist es etwas Besonderes, dass sie aus freien Stücken die Karriere beendet?

Die Bismarck-Karikatur von 1890 stammt von Sir John Tenniel. Klaus Stuttmann wandte das Motiv auf Merkel an.

Die Bismarck-Karikatur von 1890 stammt von Sir John Tenniel. Klaus Stuttmann wandte das Motiv auf Merkel an.

(Foto: Collage: ntv.de / Wikimedia - public domain / Stuttmann, Schaltzeit Verlag)

Ja, es gibt wenige Menschen, die sich so freiwillig und ohne großes Unglück oder Skandal aus der Politik verabschieden. Bei Bismarck war das auch anders, er wurde von Kaiser Wilhelm II. weggeschickt, wie auch viele Politiker in der Bundesrepublik von den Wählern, etwa Kohl oder Schröder - man denke nur an die Elefantenrunde nach dessen Abwahl. Merkel dagegen hat das offensichtlich geplant und es scheint so, als würde sie fröhlich ins Privatleben starten.

Würden Sie von einer Ära Merkel sprechen?

Ich denke schon, einfach durch die Länge der Amtszeit und all dem, was darin passiert ist, etwa der Energiewende oder der Aufhebung der Wehrpflicht. Merkel hat die Politik doch ziemlich umgekrempelt, auch durch ihre ungewöhnliche Denkweise, und hat dieses Land durch ihre Person geprägt.

War es für Sie als Karikaturist eine willkommene Abwechslung, dass da immer eine Frau im Mittelpunkt stand?

Merkel muss sich gegen Männer durchsetzen - ein wiederkehrendes Motiv bei Stuttmann, vor allem vor ihrer Kanzlerschaft.

Merkel muss sich gegen Männer durchsetzen - ein wiederkehrendes Motiv bei Stuttmann, vor allem vor ihrer Kanzlerschaft.

(Foto: Klaus Stuttmann / Schaltzeit-Verlag)

Das war mir tatsächlich egal. Ich habe natürlich den Unterschied registriert, gerade am Anfang, die innerparteilichen Kämpfe gegen die Männer. Das war auch für einen Karikaturisten amüsant anzuschauen, und insofern hat Merkel natürlich auch als Frau eine Rolle gespielt. Aber in der Politik, bei den inhaltlichen Schwerpunkten, eigentlich nicht.

Haben Sie als Karikaturist eine Vorliebe für die Nachfolge Merkels?

Als Zeichner würde ich Laschet bevorzugen, der liegt mir am meisten. Scholz ist okay und Baerbock ist ganz schwer. Ich hoffe, dass sie außer ihren Augenbrauen bald ein bisschen mehr Konturen ins Gesicht bekommt. Sie ist nicht nur als junge Frau schwer zu zeichnen, sondern sie hat auch ein bestimmtes Lächeln, das schwer ist. Bei ihr bin ich mit mir noch nicht zufrieden.

In Merkels Amtszeit fällt auch die Digitalisierung. Hat sich dadurch Ihre Arbeit verändert?

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Ganz enorm. Ich war einer der ersten tagespolitischen Karikaturisten, die angefangen haben, digital zu zeichnen. Seit 2000 zeichne ich nur noch mit dem Tablet, es gibt also keine Originale mehr von mir. Da kann man viel, viel einfacher, schneller und flüssiger zeichnen als auf Papier. Und die Zeichnung ist auch viel schneller in der Redaktion. Das war ein großer Umbruch.

Glauben Sie, dass die politische Karikatur im Zuge der Digitalisierung eine Zukunft hat?

Ich bin da eher pessimistisch. In der gedruckten Zeitung hat die tagespolitische Karikatur meistens einen festen Platz und eine prominente Stellung, deshalb fällt auch oft der erste Blick darauf. Das fehlt, bis auf wenige Ausnahmen, in den Online-Angeboten. Deshalb verliert die Karikatur an Bedeutung. Manchmal habe ich aber den Eindruck, dass das den Redaktionen ganz Recht ist. Sie haben dann keinen Ärger mehr damit und man kann die Karikatur weglassen, ohne dass es groß auffällt.

Mit Klaus Stuttmann sprach Markus Lippold

Quelle: ntv.de

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