Schrumpfkurs statt Zeitenwende Merz wirft Scholz' Regierung Wortbruch vor
23.11.2022, 10:50 Uhr
CDU-Chef Friedrich Merz zieht bei der Generaldebatte im Bundestag vom Leder.
(Foto: dpa)
Die Generaldebatte im Bundestag nutzt Oppositionsführer Friedrich Merz für eine Abrechnung mit Kanzler Scholz: Von dessen Versprechen an die Bundeswehr sei nicht viel geblieben, der Verteidigungshaushalt schrumpfe sogar - und die Energiepolitik der Ampel sei ignorant. Scholz kontert mit "Alice im Wunderland".
Unionsfraktionschef Friedrich Merz hat der Bundesregierung vorgeworfen, ihre verteidigungspolitischen Zusagen nicht einzuhalten. Entgegen der Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs, die Verteidigungsausgaben ab sofort auf mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, werde der Verteidigungshaushalt von diesem aufs kommende Jahr schrumpfen, sagte Merz in der Generaldebatte im Bundestag. "Das ist ein grober Wortbruch gegenüber dem Parlament und vor allem gegenüber der Bundeswehr."
Auch mit dem Verfahren rund um das Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro zeigte sich der CDU-Chef unzufrieden. "Es ist bis zum heutigen Tag nicht ein einziger neuer Auftrag erteilt und nicht eine einzige Ausschreibung veröffentlicht worden", sagte Merz. "Ein solcher Umgang mit Ihren eigenen Zusagen, Herr Bundeskanzler, und der Umgang mit unseren Partnern in der NATO und in der Europäischen Union löst zu Recht Befremden und erhebliches Misstrauen aus."
Harsche Kritik äußerte Merz außerdem an der Energiepolitik der Regierung, wobei er insbesondere Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen ins Visier nahm. Dieser habe in Zusammenhang mit den beiden Stresstests für die deutsche Stromversorgung die Öffentlichkeit "vorsätzlich und bewusst getäuscht". Die von der Ministeriumsspitze "gewünschten Ergebnisse" hätten lange im Voraus festgestanden, sagte Merz. Die Expertise von Fachleuten sei ignoriert worden - "da pfeifen Sie drauf, wenn es Ihrer Ideologie nicht entspricht".
Merz: Chance auf Veränderung vertan
Wenn die Regierung auf die Energiekrise "rechtzeitig, konsequent und vor allem mit den richtigen Instrumenten" reagiert hätte, wären die Preise zwar auch höher ausgefallen als vor dem Ukraine-Krieg, sagte Merz. "Aber dann wäre es nicht zu solchen Preisausschlägen gekommen, wie wir sie seit einigen Monaten sehen." Merz bekräftigte in diesem Zusammenhang die Forderung seiner Fraktion, die verbliebenen drei deutschen Atomkraftwerke deutlich länger laufen zu lassen als von der Regierung geplant. Es sei nötig, "wirklich alle Ressourcen der Energieerzeugung" auszuschöpfen.
Insgesamt warf Merz dem Bundeskanzler vor, eine Chance vertan zu haben. Scholz habe am 27. Februar, drei Tage nach Kriegsbeginn, eine "wirklich bemerkenswerte Regierungserklärung" gehalten. Mit dem Begriff der "Zeitenwende" habe der Kanzler eine "große Veränderungsbereitschaft" im Land ausgelöst. Hier habe die Chance dafür gelegen, "verkrustete Strukturen aufzubrechen", Prioritäten neu zu setzen und "liebgewordene Gewohnheiten abzulegen", urteilte Merz. Stattdessen befasse sich die Regierung immer noch mit dem "Klein-Klein Ihres Koalitionsvertrages" und versinke im "ständigen Streit" der Ministerien.
Scholz und das "sprechende Kaninchen"
In seiner Widerrede ließ Scholz vor allem die Vorwürfe der vertanen Chancen nicht auf sich sitzen. "Und dann höre ich, dass Sie, Herr Merz, sich beim CDU-Parteitag hinstellen und allen Ernstes behaupten, nicht die letzten 16 Jahre CDU-geführte Bundesregierung seien das Problem unseres Landes, sondern die letzten 16 Wochen unter Führung der Ampelkoalition", sagte Scholz. "Da kann ich nur sagen: Wer das glaubt, der glaubt auch an sprechende weiße Kaninchen. Willkommen bei Alice im Wunderland!"
Der Kanzler betonte, dass er Deutschland nicht nur für winter-, sondern auch für krisenfest halte. Die Gefahr einer Energieknappheit im Winter sei weitgehend gebannt. Deutschland erlebe derzeit "eine Krise, von der wir heute sagen können: Unser Land hat sie im Griff", sagte Scholz im Bundestag. "Für diesen Winter ist Deutschlands Energiesicherheit wohl gewährleistet." Das sei nicht nur der Verdienst der Bundesregierung, sondern sei auch deshalb so, "weil die Haushalte und die Unternehmen im ganzen Land sparsam mit Energie umgehen".
Dafür wolle er den Bürgerinnen und Bürgern "schon jetzt von Herzen" danken - "für so viel Voraussicht und Gemeinsinn". Die Bundesregierung könne "den Anstieg der Energiepreise nicht vollständig wegsubventionieren", so der SPD-Politiker weiter. "Aber wir reduzieren ihn auf ein verträgliches Maß." Merz warf er vor, die aktuelle Lage in Deutschland schlechtzureden. "Ich lade Sie, Herr Merz und Ihre Kolleginnen und Kollegen, herzlich ein: Arbeiten Sie mit uns zusammen an der großen Aufgabe, unser Land zukunftsfest zu machen in einer Welt tiefgreifender Umbrüche."
Quelle: ntv.de, jug/AFP