
Springen wir mit Anlauf in die nächste Corona-Welle? Und wenn ja - ist das schlimm?
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Die Corona-Sommerwelle rollt über Deutschland, die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 427, Experten gehen aber von einer hohen Dunkelziffer aus. Wie gefährlich wird diese Welle? ntv.de hat bei den Bundestagsfraktionen nachgefragt, wie sie die Lage beurteilen.
Vergangene Woche schwappte die aktuelle Corona-Welle über die Aufmerksamkeitsschwelle: Zwischenzeitlich lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei 480 und Gesundheitsminister Karl Lauterbach warnte bei ntv vor einer "echten Sommerwelle". Das Coronavirus lässt Deutschland und Europa also in diesem Sommer nicht verschnaufen, so wie in den beiden vorangegangen Jahren. Die Frage ist allerdings, was das nun bedeutet. Denn die aktuelle Virusvariante ist eine andere als Delta oder auch das Urtyp.
Im Moment werden in Deutschland die beiden Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 nachgewiesen, wobei letztere sich vermutlich demnächst durchsetzen und dominant werden wird. Allerdings ist die Sieben-Tage-Inzidenz schon wieder gesunken. Auch beim Käpt'n des Teams Vorsicht, Lauterbach, sorgen diese Viren nicht für Alarmstimmung. Es gebe keinen Grund zur Panik, sagte er zu Wochenbeginn bei ntv. Auch müsse diese Sommerwelle uns nicht den Urlaub verderben.
Lauterbach kündigte dann am Donnerstag dennoch an, dass er mit Justizminister Marco Buschmann noch vor der Sommerpause Eckpunkte für künftige Regelungen im Infektionsschutzgesetz anstrebt. Sie könnten dann nach dem Sommer beschlossen werden. Die jetzigen Vorgaben laufen zum 23. September aus. Es sollten "Winterreifen" vorbereitet werden. Und es sei klar, dass mehr gebraucht werde, als jetzt an "Sommerreifen" aufgezogen sei.
Vierstellige Inzidenzen möglich
Aber reichen die Sommerreifen nun wirklich? Immerhin sind Lauterbach zufolge vierstellige Inzidenzen möglich. ntv.de hat bei den gesundheitspolitischen Sprechern und Sprecherinnen nachgefragt, wie ihre Parteien die Lage beurteilen. Fazit: Die Grünen sehen den größten Handlungsbedarf, die anderen Parteien zeigen sich in Abstufungen gelassen.
"Es wäre falsch, Panik zu verfallen", teilte etwa Tino Sorge von der CDU mit. "Viele Faktoren geben uns Grund zur Zuversicht: Die Impfquote ist hoch, hinzu kommt eine hohe Zahl genesener Menschen. Noch immer verlaufen viele Infektionen mild. Auch in den Kliniken zeichnet sich keine Überlastung ab." Solange sich daran nichts ändere, sei es schwer, neue Einschränkungen zu rechtfertigen. Neue Wellen ließen sich kaum verhindern. "Es wäre falsch, mit jeder neuen Virusvariante automatisch neue Beschränkungen des Alltags zu verbinden."
Andrew Ullmann von der FDP gehörte im Frühjahr zu den wenigen Abgeordneten seiner Partei, die für eine Impfpflicht waren. Nun zeigt sich der Mediziner ebenfalls entspannt. "Dieser Anstieg war zu erwarten. Er ist kein Grund zur Panik. Derzeit droht keine Überlastung des Gesundheitssystems." Er verweist auf Portugal, wo die Zahlen schon vor einigen Wochen hoch gingen. Dort seien die Zahlen aber nicht "ins Unermessliche" gestiegen. Jeder habe es durch eine Impfung bereits heute selbst in der Hand, das Risiko einer schweren Erkrankung zu reduzieren. "Der Moment, über eine Impfpflicht zu debattieren, ist vorbei. Es gab dazu keine parlamentarische Mehrheit." Wichtig sei aber eine bessere Impfkampagne für Covid-19 und Grippe im kommenden Winter.
Grüne sehen größten Handlungsbedarf
Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen forderte im "Frühstart" bei ntv von der Bundesregierung eine bessere Corona-Datenlage für Herbst und Winter. Die Kritik an der Bundesregierung, dass bis jetzt nicht genug dafür getan wurde, sei berechtigt: "Da können wir uns nicht wegducken, diese Kritik müssen wir uns anziehen", sagte Dahmen. Mit Blick auf den Herbst sei es "sehr entscheidend", dass man präzise Daten erheben könne, wie stark die Belastung im Gesundheitswesen sei und wie viele Betten zur Verfügung stünden: "Nicht nur auf den Intensivstationen, sondern auch auf den Normalstationen. Da ist es ganz entscheidend, entsprechende Daten tagesaktuell zu erheben", so Dahmen.
Zuvor hatte er bereits gefordert, "gesetzgeberische Maßnahmen" für den Herbst vorzubereiten, um für eine mögliche Verschlechterung der Corona-Lage vorbereitet zu sein. Als Beispiel nannte er die Maskenpflicht in Innenräumen. Zudem müsse die Impflücke bei den Viertimpfungen, gerade bei älteren Menschen in Deutschland, geschlossen werden: "Da müssen wir über den Sommer unbedingt alles daran setzen, diese zu schließen", so Dahmen. Der "Funke"-Mediengruppe sagte er, die Sommerwelle sei in dieser Hinsicht ein "Warnsignal".
Kathrin Vogler von der Linken fordert gegenüber ntv.de, Corona-Tests weiter kostenlos anzubieten. "Insbesondere für den Schutz besonders vulnerabler Gruppen, etwa Personen, die von Angehörigen zu Hause gepflegt werden, droht hier ein gefährlicher Blindflug." Sie befürchtet zudem, dass eine Vielzahl von Krankmeldungen "die Funktionsfähigkeit der Infrastruktur" gefährden könnte.
"Die Beschäftigten im Gesundheitswesen klagen nicht nur aufgrund der Pandemie über massive Belastung durch Unterbesetzung und Arbeitsdruck. Daher benötigen wir jetzt und nicht irgendwann eine Strategie für den weiteren Umgang mit der Pandemie, die transparente, möglichst bundeseinheitliche Regeln enthält." Neben den kostenlosen Tests stehe es "ganz oben auf der To-Do-Liste", Masken- und Abstandspflichten in Geschäften und bei Veranstaltungen wieder einführen zu können.
Martin Sichert von der AfD sieht keine Gefahr durch die Sommerwelle. "Wenn die Bundesregierung jetzt ernsthaft davor Angst hat, hätte sie nicht erst vor wenigen Wochen das '9-Euro-Ticket' beschließen dürfen. So fahren Hunderttausende Menschen ohne Abstand in überfüllten Zügen stundenlang quer durch die Republik und drängen sich zu Tausenden an Bahnsteigen", teilt er ntv.de mit. Seit Omikron gebe es kaum noch schwere Krankheitsverläufe. Insofern bestehe auch keine Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems - die es seiner Ansicht nach auch in den vergangenen beiden Jahren nicht gegeben habe. "Es ist an der Zeit, die Corona-Maßnahmen komplett zu beenden", so Sichert. Auch die Impfpflicht im Gesundheitswesen und bei der Bundeswehr solle wieder abgeschafft werden.
Quelle: ntv.de