Besatzer beginnen Evakuierungen Moskau: Ukraine beginnt Angriff auf Cherson - Kiew: "Propagandashow"
19.10.2022, 12:50 UhrDie Ukraine bereitet offenbar eine größere Operation um Cherson im Süden des Landes vor. Nach russischen Angaben hat Kiew in der Region Zehntausende Soldaten zusammengezogen. Die Besatzer beginnen nach eigenen Angaben mit dem Rückzug - nennen es aber anders.
Die ukrainische Armee hat zur Befreiung des besetzten Gebietes Cherson im Süden des Landes nach russischen Angaben Zehntausende Soldaten zusammengezogen. Am Mittag hieß es dann, die ukrainischen Streitkräfte hätten mit Gegenangriffen begonnen. Die Ukrainer seien in Richtung der Orte Nowa Kamjanka und Beryslaw in die Offensive gegangen, schrieb der Vizechef der Chersoner Besatzungsverwaltung, Kirill Stremoussow, auf seinem Telegram-Kanal. Bislang seien aber alle Angriffe abgewehrt worden. Von ukrainischer Seite gab es zunächst keine Angaben. Kiew erklärte am Vormittag nur, im Gebiet Cherson einen russischen Kampfhubschrauber vom Typ Ka-52 abgeschossen zu haben.
Die Ukraine warf Russland derweil vor, mit Evakuierungen und Warnungen vor einem Angriff der besetzten Stadt Cherson eine "Propagandashow" zu veranstalten. Präsidialamtschef Andrij Jermak sprach von Falschnachrichten, mit denen Russland die Einwohner verängstigen wolle. "Die Russen versuchen, die Einwohner von Cherson mit Falschnachrichten über den Beschuss der Stadt durch unsere Armee einzuschüchtern und veranstalten außerdem eine Propagandashow mit Evakuierungen", schrieb er auf dem Kurznachrichtendienst Telegram. "Propaganda wird nicht funktionieren."
Besatzer ziehen Verwaltung ab
Am Morgen hatten die Besatzer nach eigenen Angaben angesichts der vorrückenden ukrainischen Truppen mit der Räumung der Stadt und der Evakuierung von Zivilisten begonnen. Einwohner von Cherson würden vom rechten an das linke Ufer des Dnipro gebracht, gab die pro-russische Verwaltung der Stadt Oleschky im Internet bekannt. Staatliche russische Medien zeigten Bilder, wie Menschen mit Fähren über den Fluss auf die andere Seite gebracht wurden. Zudem wird Zivilisten der Zutritt zur Region Cherson für sieben Tage verwehrt.
Auch die Verwaltung der Besatzer selbst begann, sich nach eigenen Angaben vollständig zurückzuziehen. Verwaltungschef Wladimir Saldo sagte dem russischen Sender Rossija 24: "Ab heute werden alle Regierungsstrukturen der Stadt, die zivile und militärische Verwaltung, alle Ministerien, an das linke Flussufer (des Dnipro) verlegt". Die russische Armee werde aber in der Stadt gegen die vorrückenden ukrainischen Truppen kämpfen "bis zum Tod".
Saldo hatte die Evakuierung von Zivilisten angekündigt. Saldo hatte von "etwa 50.000 bis 60.000" Menschen gesprochen, die auf das linke Ufer oder nach Russland gebracht werden sollten. Dies werde etwa sechs Tage in Anspruch nehmen. Es stünden schon Boote bereit, sagte Saldo. Der Agentur TASS zufolge wurden die Bewohner des Gebiets bereits per SMS von den Plänen informiert. Vor dem Krieg lebten fast 300.000 Menschen in der Stadt.
Oberbefehlshaber: Lage ist schwierig
Gescheitert ist nach russischen Angaben vorerst der Versuch der ukrainischen Streitkräfte, das Kernkraftwerk Saporischschja zurückzuerobern. "Der Kampf hat mehrere Stunden gedauert, mindestens drei bis dreieinhalb Stunden", zitierte die staatliche Nachrichtenagentur RIA den von Russland eingesetzten Beamten Wladimir Rogow. Die russischen Truppen hätten den Angriff abgewehrt.
Cherson fiel im März - also kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen das Nachbarland - als einzige ukrainische Gebietshauptstadt in russische Hand. Präsident Wladimir Putin verkündete im Oktober den Anschluss des Gebiets an Russland. International wird die völkerrechtswidrige Annexion nicht anerkannt. Die russischen Soldaten auf dem rechten Dnipro-Ufer sind weitgehend abgeschnitten.
Der neue Oberbefehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine, Sergej Surowikin, hatte die Lage in dem Frontabschnitt am Vorabend als schwierig bezeichnet. Die Ukraine beschieße Wohnhäuser und die Infrastruktur von Cherson. Durch Artillerietreffer seien die Übergänge über den Fluss Dnipro unpassierbar gemacht. Das erschwere die Versorgung. "Wir werden bedacht und rechtzeitig handeln und schließen auch schwierige Entscheidungen nicht aus", sagte Surowikin. Dies wurde als Hinweis auf einen möglichen Rückzug verstanden.
Quelle: ntv.de, jwu/dpa/rts/AFP