"Moralische Grenze" übertreten Moskau sieht in "Marder"-Lieferung eine "Konflikteskalation"
06.01.2023, 20:12 Uhr
Mehrere Dutzend "Marder"-Panzer machen sich bald auf den Weg in die Ukraine.
(Foto: dpa)
Während der ukrainische Präsident Selenskyj über das "mächtige Verteidigungspaket" in Form von Schützenpanzern und einer Erweiterung des Patriot-Systems jubelt, sieht Moskau eine "moralische Grenze" überschritten. Die russische Botschaft in Berlin erinnert an Verbrechen der Vergangenheit.
Russland hat die Entscheidung Deutschlands zur Lieferung von Schützenpanzern und eines Patriot-Flugabwehrsystems an die Ukraine als "Schritt hin zur Konflikteskalation" verurteilt. Mit der Bereitstellung dieser schweren Waffen werde erneut eine "moralische Grenze" überschritten, erklärte die russische Botschaft in Berlin. Sie verwies dabei auf die historische Verantwortung Deutschlands für die von den Nazis an Russen begangenen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg.
Man betone erneut, dass die Lieferungen tödlicher und schwerer Waffen "die moralische Grenze darstellen, die die Bundesregierung hätte nicht überschreiten sollen". Die Botschaft warf Deutschland und dem "kollektive(n) Westen" vor, kein Interesse daran zu haben, "eine friedliche Konfliktlösung zu suchen". Die Entscheidung Berlins, schwere Waffen zu liefern, werde die deutsch-russischen Beziehungen gravierend beeinträchtigen.
In Deutschland läuft unterdessen bereits die Diskussion über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine für den Kampf gegen die russischen Angreifer. Politiker von Grünen, FDP und Union dringen darauf, ebenfalls die deutlich schlagkräftigeren Kampfpanzer vom Typ "Leopard 2" ins Kriegsgebiet zu schicken. Pläne der Bundesregierung gibt es dafür aber bisher nicht.
Bis zu 40 "Marder"-Panzer bis Ende März
Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden hatten am Donnerstagabend nach einem Telefonat erklärt, der Ukraine erstmals Schützenpanzer westlicher Bauart liefern zu wollen. Die Bundesregierung will bis Ende März rund 40 "Marder" schicken. Die achtwöchige Ausbildung ukrainischer Soldaten an den gepanzerten Fahrzeugen, die vergleichsweise leicht bewaffnet sind, soll in Deutschland stattfinden. Um die Lieferung von Kampfpanzern ging es nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Hebestreit in dem Gespräch von Scholz und Biden nicht.
Die Ukraine hatte die westlichen Alliierten und insbesondere Deutschland monatelang um Kampf- und Schützenpanzer gebeten. Präsident Wolodymyr Selenskyj dankte Scholz und Biden in der Nacht zum Freitag für die jetzt erfolgte Zusage. "Wir werden noch ein Patriot-System und mächtige Panzertechnik bekommen, das ist wirklich ein großer Sieg für unseren Staat", sagte er in seiner Videoansprache. Der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev twitterte schwarz-rot-goldene Herzen und die Worte "#DankeDeutschland".
Der ukrainische Vizeaußenminister Andrij Melnyk forderte die Bundesregierung auf, nun schnell nachzulegen. Die Entscheidung zur Lieferung der "Marder" solle der "erste Tabubruch" sein, um das Militär unverzüglich mit sämtlichen Waffensystemen auszustatten, sagte der frühere ukrainische Botschafter in Berlin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Es geht um all die sofort lieferbaren schweren Waffen wie Kampfpanzer, Kampfflugzeuge, Kampfdrohnen, Kriegsschiffe, U-Boote, ballistische Raketen." Dabei sei auch der Umfang der Lieferungen "kriegsentscheidend".
Debatte um weitere Waffenlieferungen
In der Koalition machten sich vor allem FDP-Politiker für die Lieferung von Kampfpanzern stark, aber auch der Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter. In der ARD forderte er die Bundesregierung auf, "eine europäische Initiative" für die Lieferung von "Leopard 2"-Panzern zu starten. Die Strategie müsse sein, dass die Ukraine mit allem unterstützt werde, was sie auf dem Gefechtsfeld brauche und dazu gehöre noch deutlich mehr. Der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner wies solche Forderungen zurück: "Den Absichten des Kriegsverbrechers Putin ist nie zu trauen. Dennoch ist pauschales Nein zu 'Waffenruhe' ohne Prüfung ebenso fragwürdig wie Ruf nach 'richtigen deutschen Kampfpanzern', kaum dass Verbündete entschieden haben, Schützenpanzer zur Verteidigung der Ukraine zu liefern", schrieb er auf Twitter.
Die CSU im Bundestag forderte die Ampel-Koalition zum Auftakt ihrer Klausurtagung auf, der Ukraine neben Schützenpanzern auch Kampfpanzer zu liefern. "Der zweite Schritt muss auch kommen", sagte Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. AfD-Chef Tino Chrupalla warnte dagegen: "Deutschland droht endgültig zur Kriegspartei zu werden - mit unabsehbaren Folgen für unser Land und seine Bürger."
Quelle: ntv.de, joh/dpa