"Herr Wissing, Sie sind am Zug!" Münchner S-Bahn-Bau steuert auf Debakel zu
30.06.2022, 16:41 Uhr
Geplante Inbetriebnahme 2028, steht auf dem Baustellenschild am Münchner Marienplatz. Es könnte fast zehn Jahre länger dauern.
(Foto: picture alliance/dpa)
Schlechte Nachrichten für München: Der Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke verzögert sich wohl bis ins Jahr 2037 und könnte doppelt so teuer werden. In Bayern fühlt man sich bereits an den BER erinnert. Doch Verkehrsminister Wissing streicht das Thema kurzfristig aus seinem Terminkalender.
Es ist eines der größten Infrastrukturprojekte Deutschlands - und soll nun noch viel teurer werden: Die zweite S-Bahn-Stammstrecke durch die Münchner Innenstadt kommt nach Einschätzung des Bayerischen Verkehrsministeriums zudem Jahre später als geplant. Die Projektbegleitung im Ministerium erwarte inzwischen Kosten bis 7,2 Milliarden Euro, sagte Minister Christian Bernreiter von der CSU. Die Inbetriebnahme könnte sich bis 2037 hinziehen.
Die zweite Stammstrecke soll ein Nadelöhr im Münchner Nahverkehr entschärfen, weil eine Störung auf der bisherigen Strecke - der meistbefahrenen Bahnstrecke Europas - stets Folgen für das komplette S-Bahnnetz hat. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter zeigte sich "extrem enttäuscht". Er hoffe, dass Bund, Freistaat und Deutsche Bahn alles daransetzten, dass das Projekt "kein zweiter Berliner Flughafen (BER) wird".
"Wir erwarten, dass die Deutsche Bahn sowohl ihre Kostenschätzung als auch ihren Zeitplan offenlegt", sagte CSU-Politiker Bernreiter mit Blick auf den seit Längerem schweigsamen Maßnahmenträger. Zuletzt hatte als Startzeitpunkt 2028 im Raum gestanden. Die Planung dafür läuft seit Jahren: Schon im Oktober 2016 hatten der Bund und der Freistaat die gemeinsame Finanzierung vereinbart, wonach der Bund 60 Prozent der förderfähigen Baukosten übernimmt. Zugrunde lagen die damals von der Deutschen Bahn errechneten Gesamtkosten von 3,85 Milliarden Euro.
Termin abgesagt: "Wissing kneift"
Über die Übernahme der Mehrkosten dürfte es nun Diskussionsbedarf geben. Bernreiter zeigte sich verärgert, dass ein seit Monaten für Donnerstag geplanter Termin mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing von der FDP kurzfristig abgesagt wurde. "Das ist für mich ein sehr, sehr schlechter Stil, und ich halte fest: Herr Wissing kneift."
Um den Gesprächstermin mit Wissing habe Bayerns Ministerpräsident Markus Söder schon im März gebeten, betonte Bernreiter laut BR. Es sei "unglaublich", dass man als Ministerpräsident eines großen Bundeslandes dreieinhalb Monate auf einen Termin warten müsse. Am Mittwochabend habe der Bundesverkehrsminister dieses "sehnlichst" erwartete Gespräch "ohne Angabe von Gründen" abgesagt und gleich angemerkt, dass er in nächster Zeit keinen Termin in Bayern wahrnehmen könne, kritisierte Bernreiter. "Ich kann nur nach Berlin rufen: Herr, Wissing, Sie sind jetzt am Zug!"
Den Ausbau des gesamten deutschen Schienennetzes hatte Wissing erst vor rund einer Woche zur Chefsache gemacht und eine "Beschleunigungskommission" gegründet. "Ich erwarte, dass wir künftig die Uhr wieder nach der Bahn stellen können", hatte der Verkehrsminister bei der Vorstellung seines Konzepts für ein "Hochleistungsnetz" versprochen.
Quelle: ntv.de, mau/dpa