Politik

Außen hui, innen … na ja?Müsste Außenkanzler Merz nicht mehr daheim wirken?

26.12.2025, 08:12 Uhr RTL01231-1Von Volker Petersen
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15. Dezember 2025, zusammen mit Selenskyj informiert Merz über die Verhandlungen zwischen den USA und der Ukraine im Kanzleramt. (Foto: picture alliance / NurPhoto)

Ist Kanzler Merz vor allem ein Außenpolitiker? So viel ist sicher: Er ist viel in der Welt unterwegs und bekommt auch parteiübergreifend Anerkennung dafür. Nur nicht von den Wählern.

Als Friedrich Merz am 9. Mai im polnischen Grenzort Przemyśl in den blauen Zug steigt, ist das mehr als eine Mitfahrgelegenheit nach Kiew. Für den neuen deutschen Bundeskanzler, erst seit drei Tagen im Amt, ist es ein neuer Aufbruch in der Außenpolitik.

Gemeinsam mit dem britischen Premier Keir Starmer, Emmanuel Macron aus Frankreich und auch dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk will er die Ukraine besuchen. Sie bringen keine Waffen oder Milliardensummen mit, dafür setzen sie ein Zeichen: Die großen drei in Europa stehen weiter an der Seite des angegriffenen Landes. Merz lächelt in die Kamera, er trägt einen blauen Pullover über dem Hemd, Macron und Starmer Strickjacken. So als ob hier nicht Staatsoberhäupter, sondern Freunde zusammensäßen. Der Bundeskanzler wirkt voller Tatendrang.

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Im Zug nach Kiew. Polens Ministerpräsident Tusk reiste getrennt von Merz, Macron und Starmer an. (Foto: picture alliance / SIPA)

Diese erste Reise nach Kiew hat den Ton für die Kanzlerschaft gesetzt. Für Merz hat Frieden in Europa, Frieden in Freiheit, Vorrang vor allem anderen. Der Kiew-Besuch mit Starmer, Macron und Tusk ändert nichts am Frontverlauf. Doch er ist dennoch ein Erfolg. Ein spontanes Telefonat mit US-Präsident Donald Trump verläuft vielversprechend - ein Sahnehäubchen.

Müsste er nicht mehr daheim wirken?

Unter Merz‘ Vorgänger Olaf Scholz gab es solche Aktionen nicht, neuer Schwung ist spürbar. Gleich nach seiner holprigen Kanzlerwahl war Merz schon nach Frankreich geeilt, und nach Polen, um zu zeigen: Dieser Kanzler, der seine politische Laufbahn im Europaparlament begann, will Europa zusammenhalten, ja neu zusammenschweißen.

Viele weitere Reisen folgen und so ist es rückblickend gar nicht so überraschend, dass ein neues Wort entstand: Außenkanzler. Man könnte das als Kompliment verstehen. Denn außenpolitisch tun sich gewaltige Baustellen auf. Doch nett gemeint ist es nicht. So sehr tummelte sich Merz in den Hauptstädten Europas und der Welt, dass manche sich fragten: Müsste er nicht mehr daheim wirken?

Es ist eine verständliche Frage, denn nicht nur die Welt, auch Deutschland befindet sich in der Krise. Seit drei Jahren stagniert die Wirtschaft. Im Wahlkampf hat Merz viele Reformen versprochen. Doch dann öffnet er erst einmal gemeinsam mit der SPD die Schuldenschleusen. Die Reformbilanz ist am Jahresende überschaubar. In der Rente beispielsweise geht es erstmal so weiter wie bisher.

Trump nennt Merz einen "schwierigen Verhandler"

Die Außenbilanz dagegen sieht besser aus. Mit der Aussetzung der Schuldenbremse für Verteidigung landet Merz einen fulminanten Aufschlag auf der Weltbühne. Während daheim die allerwenigsten den CDU-Chef wiedererkennen und sich nicht wenige Sorgen um die Zinslast machen, ist das Signal draußen in der Welt: Deutschland ist wieder da. Deutschland tut etwas. Das wiegt umso schwerer, als Großbritannien und Frankreich am Rande der Staatspleite operieren und für so ein entschlossenes Vorgehen gar nicht mehr die Kraft haben. Und natürlich, weil die USA unter Trump so verlässlich sind wie ein Dreijähriger mit ADHS, dem man aufträgt, sein Zimmer aufzuräumen.

Dass Deutschland jetzt mehr für Verteidigung ausgibt, könnte Trump zumindest vorerst in der Nato gehalten haben. Merz ist davon überzeugt, wie er auch öffentlich gesagt hat. Nach den Attacken von US-Vizepräsident JD Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz soll Trump kurz davor gewesen sein, aus dem Bündnis auszutreten. Bislang tat er es nicht. Auch Merz‘ persönlicher Einsatz könnte dabei wichtig gewesen sein.

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Am 5. Juni im Oval Office. (Foto: picture alliance/dpa)

So ist der 5. Juni ein weiterer Schlüsselmoment in der jungen Kanzlerschaft Merz‘. Es ist der Tag, an dem er Trump im Weißen Haus besucht. Es ist ein Moment zum Atemanhalten. Es geht um Deutschlands Sicherheit, um die Ukraine, um die westliche Wertegemeinschaft. Man könnte aus Sicht deutscher Außenpolitik auch sagen: um alles. Doch Merz ist gut vorbereitet, seine lange USA-Erfahrung hilft ihm jetzt. Er plaudert ganz entspannt mit dem Amerikaner, ist aber auch ernst und deutlich in der Sache. Trump nennt Merz einen "schwierigen Verhandler" und das ist als Lob gemeint. Der Kanzler, ein harter Typ wie ich.

"Außenkanzler" ist nicht das Schlechteste

Solche Momente zeigen, dass "Außenkanzler" nicht das Schlechteste ist. Das als Kritik zu formulieren, hat etwas Nöliges. Der Blick der Kritiker scheint am Tellerrand zu enden. Außenpolitik war für jeden Bundeskanzler und die Kanzlerin zentral, doch in den vergangenen Jahren hat sich die Bedeutung noch einmal gesteigert. Merz hat es vielleicht mit der schwierigsten außenpolitischen Konstellation der vergangenen Jahrzehnte zu tun.

Russland hat sich vom Lieferanten billiger Energie zum brutalen Aggressor gewandelt, führt Krieg gegen die Ukraine und bedroht Mitteleuropa. China subventioniert die eigenen Unternehmen, was deutschen Firmen die Geschäfte in dem riesigen Markt erschwert und daheim die Industrie zerbröseln lässt. Deutsche Unternehmen geraten unter Druck, weil die USA unter Trump Zölle erlassen haben. In der Ukraine-Frage sieht Trump sich nicht mehr als Verbündeter, sondern nur noch als Vermittler. Gemeinsame Werte? Bündnistreue? Für Trump alles nur Gerede, um die USA abzuzocken.

So gesehen ist es kein Wunder, dass Merz die Außenpolitik als die Arena begreift, in der die größten Brände zu löschen sind. Merz hat recht, wenn er sagt, Außen- und Innenpolitik ließen sich gar nicht mehr trennen. Selbstverständlich hat die Außenpolitik direkte Folgen für das Innere. Arbeitsplätze in Deutschland werden von Zöllen in China und den USA bedroht. Setzt Putin sich durch, hat das Folgen für die Freiheit und den Wohlstand in Deutschland.

Im Inland knarzt es

Allerdings steht sein sicheres Auftreten auf internationaler Bühne im Gegensatz zur Performance im Inneren. Da gibt es zwar Erfolge, wie Strompreisentlastungen, Abschreibungen für Investitionen, den neuen Wehrdienst und die geplante Bürgergeldreform. Doch es ruckelt, knirscht und knarzt. Dreimal kam es zu Beinahe-Katastrophen - bei der Kanzlerwahl, als Merz zwei Wahlgänge benötigte, bei der abgesagten Wahl der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf ans Bundesverfassungsgericht und zuletzt beim Streit um die Rente.

Dabei zeigte sich: Die Innenpolitik liegt ihm weniger. Nicht inhaltlich, sondern die politische Kärrnerarbeit selbst. Mehrheiten organisieren, überzeugen, die eigene Fraktion im Blick haben. So ist es dieses Missverhältnis von außen und innen, die das Wort vom Außenkanzler immer mit einem "nur" versieht.

Die Krönung seines ersten halben Jahres im Amt war die Woche vor Weihnachten. Großer Bahnhof in Berlin. Trumps Vertrauter Steve Witkoff und sein Schwiegersohn Jared Kushner verhandeln in der deutschen Hauptstadt mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Am Abend kommen mehrere europäische Regierungschefs ins Kanzleramt und geben eine gemeinsame Erklärung ab. Mittendrin: Friedrich Merz. Der Gipfel ist ein großer Erfolg auch für ihn persönlich - die USA sollen sich zu Sicherheitsgarantien bereiterklärt haben. Ob es dabei bleibt? Das ist, wie immer bei Trump, offen. Am Ende der Woche schafften es die Europäer dann nicht, die eingefrorenen Vermögenswerte der russischen Zentralbank direkt für die Ukraine nutzbar zu machen. Doch immerhin stützen sie die Ukraine für die nächsten zwei Jahre.

Die Episode zeigt aber auch das Drama der Merz'schen Außenpolitik. Es geht darum, zu retten, zu reparieren, zu bewahren und das Schlimmste zu verhindern. Im besten Fall bleibt alles so, wie es ist. Und die Erfolge weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Eine undankbare Konstellation: Selbst wenn er es richtig gut macht, könnte es sein, dass es nicht reicht.

Quelle: ntv.de

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