SPD und Union schaudern vor 2026Auf die Merz-Koalition wartet ein Jahr zum Fürchten
Von Sebastian Huld
Denkbar holprig ist Schwarz-Rot durch die ersten Regierungsmonate gestolpert. Doch 2026 kommt es darauf an für die Merz-Koalition: Anstehende Wahlen und nicht aufschiebbare, tiefgreifende Entscheidungen erhöhen den Druck um ein Vielfaches.
Endlich Weihnachten, endlich Feiertage und bis zum Jahreswechsel etwas durchschnaufen: Das politische Berlin hat einen Marathon hinter sich. Die Union hat sich nach dem Aus der Ampelkoalition im November 2024 mehr schlecht als recht zurück ins Kanzleramt gekämpft. Die SPD hat es über das schmachvolle Ende der Kanzlerschaft von Olaf Scholz immerhin nicht vollends zerlegt. Die FDP muss nach ihrem Rauswurf aus dem Bundestag gänzlich um ihre Existenz bangen und die Grünen suchen mit neuem Personal ihren Weg raus aus der Nische. Einzig an den politischen Rändern, bei der Linken und der AfD, geht man gestärkt aus dem Jahr 2025 - und hoffnungsvoll hinein in das nächste.
Drei miteinander verflochtene Themen werden das Jahr absehbar prägen: die fünf von März bis September stattfindenden Landtagswahlen zwischen Stuttgart und Schwerin, die Konkretisierung der von der Regierungskoalition heiligst versprochenen Sozialstaatsreformen und die Verhandlungen über den Bundeshaushalt 2027 mit seiner mehr als 30 Milliarden Euro großen Lücke. Über alldem schwebt ein doppeltes Damoklesschwert: die weitere wirtschaftliche Entwicklung und Europas Ringen mit Russland.
Zehn Wochen bis zur ersten Landtagswahl
Nachdem die Politik - anders als im Vorjahr - zumindest über den Jahreswechsel durchschnaufen kann, geht es Schlag auf Schlag. Auf die traditionellen Jahresauftaktklausuren im Januar, darunter das jährliche Treffen der CSU-Bundestagsabgeordneten in Kloster Seeon, folgt am dritten Februarwochenende der CDU-Bundesparteitag in Stuttgart. Der Standort ist Absicht: Am 8. März wählt Baden-Württemberg einen neuen Landtag und damit einen Nachfolger des langjährigen Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann.
Die CDU will ihre vormalige Hochburg von den Grünen zurückerobern. Die schicken zwar mit dem Spitzenkandidaten Cem Özdemir einen der beliebtesten Politiker des Landes ins Rennen. Aber die CDU liegt mit ihrem deutlich weniger bekannten Kandidaten Manuel Hagel in Umfragen einigermaßen komfortabel vorn. Sollte sich das Rennen zwischen beiden Männern zuspitzen, droht die im Ländle ohnehin schwache SPD unter die Räder zu geraten. Ein schwaches, einstelliges Ergebnis für die Sozialdemokraten würde die Koalition im Bund wohl ebenso belasten wie eine Niederlage Hagels gegen Özdemir.
Mit Spannung blickt auch die FDP der Wahl entgegen: Bei keiner anderen Wahl im laufenden Jahr sind die Chancen auf einen (Wieder-)Einzug in den Landtag so hoch. Zugleich würde eine Verteidigung der Mandate in Stuttgart Rückenwind für die folgenden, aus FDP-Sicht noch schwierigeren Wahltermine verleihen. Am 22. März jedenfalls droht den Freidemokraten der direkte Wechsel von der Regierungsbank in Mainz in die außerparlamentarische Opposition.
Eine Fortsetzung des Ampel-Bündnisses in Rheinland-Pfalz jedenfalls scheint den Umfragen zufolge unwahrscheinlich, weshalb es auch für Alexander Schweitzer schwer wird, das von Malu Dreyer geerbte Ministerpräsidentenamt zu verteidigen. In Umfragen liegt die CDU eine Handvoll Prozentpunkte vor der SPD. So erleben die Parteien, die im Bund nur mühsam miteinander zurechtkommen und doch erfolgreich sein müssen, binnen drei Wochen wichtige Landtagswahlen, in denen eine Partei ein echtes Erfolgserlebnis nur um den Preis einer schmerzhaften Niederlage des Koalitionspartners im Bund haben kann.
Blaue Welle im Osten?
Keinesfalls aber darf sich Schwarz-Rot im Frühling zerlegen, wenn die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt am 6. September sowie die Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern am 20. September nicht in einen historischen Tiefpunkt münden sollen: Sowohl auf die Sozialdemokratin Manuela Schwesig in Schwerin als auch auf CDU-Urgestein Reiner Haseloff, der nicht wieder kandidiert, könnte hypothetisch ein AfD-Ministerpräsident folgen.
Die AfD könnte in einem oder beiden Flächenstaaten die absolute Mehrheit holen, stärkste Kraft werden oder zumindest eine Koalition ohne sie faktisch unmöglich machen - auch weil die CDU eine Kooperation mit der Linken ausschließt.
Um aber halbwegs heil in den September zu kommen, reichen stabile Wahlergebnisse im Frühjahr nicht. Der von der Union ausgerufene Herbst der Reformen hat zwar stattgefunden, gemessen an der reinen Zahl verabschiedeter Gesetze. Tiefgreifende Reformen beim Bürgergeld, der gesetzlichen Krankenversicherung, Pflege und Rente müssen aber 2026 kommen.
Wirtschaftskrise drängt zum Handeln
Schon Anfang des Jahres soll die Kommission zur Sozialstaatsreform ihre Vorschläge vorlegen, die Rentenkommission bis zum Sommer. Hinzu kommen ebenfalls im ersten Quartal die Ergebnisse der Kommission zur Reform der Schuldenbremse und die lang erwarteten Vorschläge von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche zur Neuausrichtung der Energiewende und des Heizungsgesetzes. Jedes einzelne dieser Themen hat enormes Sprengpotenzial für die Merz-Mannschaft.
Zumal diese auch nichts zu verteilen hat: Die Mittel aus dem 500 Milliarden Euro schweren Verschuldungsprogramm erstrecken sich auf zwölf Jahre, die weiteren Schulden fließen größtenteils in die Ertüchtigung der Bundeswehr und teils in die Ukraine. Mehr als 30 Milliarden fehlen laut der mittelfristigen Finanzplanung von Lars Klingbeil im Haushalt 2027. Weitere 140 Milliarden fehlen in den Jahren 2028 und 2029, wenn regulär die nächste Bundestagswahl ansteht.
Erheblich erleichtert würde zumindest das Finanzproblem, zöge die deutsche Wirtschaft endlich wieder an. Der Bund rechnet im kommenden Jahr mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,3 Prozent. Das wären nach drei Jahren Rezession erstmals wieder schwarze Zahlen, andererseits basieren diese vor allem auf der schuldenfinanzierten, staatlichen Nachfrage. Und: Verschiedene Ökonomen sind inzwischen pessimistischer als Reiches Herbstprognose, erwarten nur ein Prozent Wachstum und nicht einmal das ist sicher angesichts der volatilen Weltlage und der konfrontativen Handelspolitik der Machthaber in Washington und Peking.
"Deutschland ist in der tiefsten Wirtschaftskrise seit Gründung der Bundesrepublik", sagte Bundeskanzler Merz Mitte Dezember vor Vertretern der Metall- und Elektroindustrie. Das Land müsse es schaffen, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung umzukehren, sonst werde aus der Wirtschaftskrise eine "Legitimationskrise der Demokratie". Die Entscheidung fällt womöglich im neuen Jahr.