Rede vor der CSUMerz vergleicht Merkel mit Chamberlain und Putin mit Hitler
Von Hubertus Volmer, München
Auf dem CSU-Parteitag nennt Kanzler Merz die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit und der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands als oberste Ziele seiner Regierung. Innenpolitisch will er für Aufbruch sorgen, außenpolitisch das Schlimmste verhindern.
Rein zeitlich ist die Rede des Bundeskanzlers für die Delegierten der Höhepunkt ihres Parteitags, aber Friedrich Merz schafft es tatsächlich, einen Großteil des Publikums mitzunehmen - wenn auch nicht alle. Die Politik der Bundesregierung enthalte "zu viel SPD", sagt eine Gruppe junger CSU-Mitglieder anschließend. Sie sind skeptisch, ob Merz die Sozialstaatsreformen wie angekündigt durchziehen kann.
Dies ist einer der beiden Schwerpunkte in der Rede, mit der Merz seine Politik skizziert: Ihm gehe es um nichts weniger als "die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit und der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands", das sieht er als historischen Auftrag seiner Bundesregierung. Es wird in etwa die Art von Arbeitsrede, die auch CSU-Chef Markus Söder am Vortag gehalten hatte - mit dem Unterschied, dass Merz hier nicht zur Wiederwahl steht und in anderer Rolle spricht.
Merz beschreibt die Gegenwart als massive Krise: "Seit mehr als zehn Jahren stagniert unsere Volkswirtschaft", sagt er, "seit mehr als zehn Jahren fallen wir in verschiedensten Technologien zurück". Zugleich sei das globale Umfeld schwierig geworden. Während der Kanzler innenpolitisch die Stimmung von Aufbruch zu vermitteln versucht, setzt er außenpolitisch vor allem auf Schadensbegrenzung.
Merz will der SPD keine Ratschläge geben - aber einen Tipp hat er doch
"Es ist verdammt viel liegengeblieben", sagt Merz über den inneren Zustand des Landes. "Das Haus Bundesrepublik Deutschland muss nicht neu gebaut werden. Das Fundament ist stabil. Aber es muss von Grund auf saniert und modernisiert werden." Und: "Wir haben mit dieser Sanierungsarbeit begonnen."
Er spricht über die gesunkene Körperschaftssteuer, den Investitionsbooster mit neuen Abschreibungsmöglichkeiten für die Industrie, die ab 1. Januar wegfallende Gasspeicherumlage, das sinkende Netzentgelt, die Rentenkommission - im zweiten Halbjahr "gehen wir sehr konkret in die Reformen".
Merz versichert, dass dies und mehr mit der SPD möglich sei. "Wenn wir allein in der Regierung wären, wäre manches schneller und einfacher gegangen. Das werden die Sozialdemokraten über uns übrigens auch so sagen." Seine Kritik an SPD-Chefin Bärbel Bas wiederholt er hier, ohne sie namentlich zu nennen: Die Union übe keine Grundsatzkritik an den Gewerkschaften, und er fordere im Gegenzug, dass nicht "der Klassenkampf aus der Mottenkiste" geholt werde. Die SPD brauche keine Empfehlungen, fügt er dann hinzu, aber er könne sich vorstellen, dass es eine Wählerschaft gebe, "die über 13 Prozent hinausgeht, wenn die Sozialdemokraten wieder die Interessen der Arbeitnehmerschaft in den Mittelpunkt stellen, und das mit uns zusammen".
"Später fragt niemand nach der Renten-Haltelinie"
Innenpolitisch habe "die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft die absolute Priorität", denn ohne leistungsfähige Wirtschaft gebe es keine Sozialpolitik und keine Umwelt- und Klimapolitik. Insgesamt aber kommt die Sicherung der Stabilität für ihn eine größere Bedeutung zu: Später werde niemand fragen, "ob wir die Haltelinie der deutschen Rentenversicherung ein Jahr länger oder ein Jahr weniger gehalten haben". Gefragt werde dann, "ob wir den maximalen Beitrag" zum Erhalt von Freiheit, Frieden, Rechtsstaat und Demokratie geleistet hätten. Hier klingt Merz nicht so zuversichtlich wie bei den innenpolitischen Passagen - klar, hier kommt es auch nicht nur auf die SPD an, sondern auf Faktoren, die er kaum beeinflussen kann.
Die Politik der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisiert er massiv, wobei er auch sie nicht namentlich nennt. Er sagt, eigentlich hätte man schon vor dem 24. Februar 2022 wissen müssen, in welchen Zeiten wir leben - an diesem Tag überfiel Russland in großem Stil die Ukraine. Der Tag, "an dem wir es hätten wissen müssen", sei im Mai 2014 gewesen - damals eskalierte der von Russland zunächst verdeckt geführte Krieg im ukrainischen Donbass.
Nicht 1914, 1938 ist die Analogie
In jenen Tagen sei häufig eine historische Analogie bemüht worden, sagt Merz. 2014 sei mit 1914 verglichen worden, also mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs, in den Europa als "Schlafwandler" gegangen sei, wie der australische Historiker Christopher Clark in seinem 2012 erschienenen Buch schrieb. "Zumindest aus der Rückschau" habe sich dies als grundfalsche Analogie erwiesen, so Merz. Richtiger wäre gewesen, 1938 als historische Analogie zu sehen: das Münchner Abkommen, bei dem der britische Premier Neville Chamberlain Nazideutschland das tschechoslowakische Sudetenland zubilligte.
Indirekt vergleicht Merz also Putin mit Hitler. Wenn die Ukraine falle, dann werde dem russischen Machthaber das nicht reichen, "genausowenig, wie 1938 das Sudetenland gereicht hat". Putins Ziel sei "die grundlegende Veränderung der Grenzen in Europa, die Wiederherstellung (Russlands) in den Grenzen der alten Sowjetunion".
Nato erhalten, "solange es eben geht"
Merz legt sich auf vier Ziele fest: eine weitere Unterstützung der Ukraine, den Zusammenhalt in der EU organisieren, die Aufrechterhaltung der Nato - "solange es eben geht" - sowie massive Investitionen in die deutsche Verteidigungsfähigkeit. Die Formulierung zur Nato ist kein Versprecher. Merz sagt, man müsse "versuchen, die Nato und das westliche Bündnis so lange wie möglich zu erhalten", aber eben auch in die eigene Verteidigungsfähigkeit investieren. Die Nato habe mit Abschreckung und Bündnisgarantien für die längste Periode von Frieden und Freiheit in Europa gesorgt. "Das dürfen wir nicht aufs Spiel setzen."
An dieser Stelle kommt Merz auf eine Entscheidung zu sprechen, die ihm in den Unionsparteien bis heute vorgeworfen wird: die Grundgesetzänderungen noch mit dem alten Bundestag. Dazu gehörte eine Reform der Schuldenbremse, um höhere Verteidigungsausgaben zu ermöglichen. "Wir haben uns das nicht leicht gemacht", sagt Merz. Aber ohne die deutsche Entscheidung hätten andere europäische Länder ihre eigenen Verteidigungsausgaben nicht erhöht. Wäre das nicht geschehen, dann wäre der Nato-Gipfel im vergangenen Juni in Den Haag "ein anderer Nato-Gipfel" geworden, manche würden sagen: "wahrscheinlich der letzte Nato-Gipfel in dieser Zusammensetzung". Die "Jahrzehnte der Pax Americana", also die Jahre, in denen die USA in Europa den Frieden garantierten und die Bundesrepublik sich auf ihren Wohlstand konzentrieren konnte, "sind für uns weitestgehend vorbei", so Merz. "Da gibt es auch keine Nostalgie".
CSU-Chef Söder hatte die Delegierten am Vortag aufgerufen, "Friedrich Merz in diesen schweren Zeiten Rückendeckung" zu geben. Ein bisschen klang es wie eine typische Söder-Stichelei: "Er hat's nicht leicht, er braucht unsere Hilfe." Am Montag treffen sich der Russland-Beauftragte von US-Präsident Donald Trump, Steve Witkoff, sowie Trumps Schwiegersohn Jared Kushner in Berlin mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Auch da wird es für Merz vor allem darum gehen, das Schlimmste zu verhindern. Es stimmt: Der Kanzler hat es wirklich nicht leicht.