Politik

Mit Pass-Trick auf Heimaturlaub So fliegen Geflüchtete unbemerkt nach Afghanistan und zurück

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Exklusive Recherchen von RTL zeigen, dass viele in Deutschland anerkannte Asylbewerber und Flüchtlinge auf Heimatbesuch fliegen. Dabei hatten sie doch angegeben, von dort wegen Gefahr für Leib und Leben geflüchtet zu sein. Die deutschen Behörden scheinen machtlos, das Innenministerium desinteressiert.

Der Steindamm im Hamburger Stadtteil St. Georg ist für viele Afghanen offenbar ein Tor in die alte Heimat, zum Hindukusch: Im Umkreis weniger Hundert Meter befinden sich hier gleich mehrere Reisebüros, die für Menschen aus Afghanistan, die in Deutschland Schutz suchten und bekamen, Reisen in die alte Heimat organisieren. Das Problem: Deutsche Behörden werden mutmaßlich bewusst getäuscht und bekommen daher von den Reisetätigkeiten nahezu nichts mit. Andernfalls nämlich könnte den reisenden Afghanen für einen nicht genehmigten Heimatbesuch die Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland leicht entzogen werden.

Doch wie ist eine Heimreise nach Afghanistan als Geflüchteter möglich? Wer organisiert diese Reisen? Wer weiß Bescheid? Wie groß ist die Industrie, die dahintersteckt? Wer profitiert? Und warum unternehmen die deutschen Behörden nichts dagegen? Die RTL-Sendung "Extra"ist diesen Fragen nachgegangen und hat die Ergebnisse der monatelangen Recherche am Dienstagabend ausgestrahlt.

Ein Passagierflugzeug von Turkish Airlines steht im Frühjahr dieses Jahres auf dem Flughafen von Kabul.

Ein Passagierflugzeug von Turkish Airlines steht im Frühjahr dieses Jahres auf dem Flughafen von Kabul.

(Foto: picture alliance / Xinhua News Agency)

Über soziale Medien wie TikTok zeigt sich: In Deutschland lebende Afghaninnen und Afghanen machen regelmäßig Urlaub in der alten Heimat, posten Bilder von ihren Erlebnissen vor Ort. Ist Afghanistan also sicherer als allgemein angenommen? Davon berichten afghanische Geflüchtete in einem Recherchegespräch mit "RTL Extra". "Viele Afghanen aus Europa gehen aktuell für Urlaub zurück. Sogar aus London, aus Deutschland, machen Urlaub", sagt ein Afghane. Und: Die Taliban seien "nett", berichtet eine junge Afghanin.

Angebliches Reiseziel Iran

Die Recherchen am Hamburger Steindamm zeigen: Es handelt sich nicht um wenige Einzelfälle. In Deutschland lebten im vergangenen Jahr rund 400.000 Menschen mit afghanischer Staatsangehörigkeit, etwa 60.000 davon haben den Blauen Pass. Diese speziellen Reiseausweise bekommen in Deutschland anerkannte "Asylberechtigte" oder "Flüchtlinge" als Ersatz für den Reisepass aus dem Herkunftsland ausgestellt. In den Pässen steht, dass ihre Inhaber nicht das Recht haben, in das Land zu reisen, aus dem sie geflüchtet sind. Hinzukommen Afghanen mit deutschem Aufenthaltstitel, die mit ihrem afghanischen Pass reisen.

Der Mitarbeiter eines Hamburger Reisebüros zeigt RTL-Reporterin von Boetticher eine Kiste mit mehr als 30 Blauen Pässen von Afghanen mit Reiseabsicht.

Der Mitarbeiter eines Hamburger Reisebüros zeigt RTL-Reporterin von Boetticher eine Kiste mit mehr als 30 Blauen Pässen von Afghanen mit Reiseabsicht.

Jede Woche reisen nach Angaben der Reisebürobetreiber allein über Hamburg Hunderte Afghanen mit sogenannten Blauen Pässen in ihr Herkunftsland. Damit fliegen sie offenbar auch über die Türkei und Iran bis nach Afghanistan. "Machen wir. Kein Problem", heißt es auf Nachfrage immer wieder aus verschiedenen Reisebüros.

Die Reisebüros sowie die Reisenden selbst bedienen sich dabei mithilfe der iranischen Behörden eines Tricks: Sogenannte "Double Entry Visa" ermöglichen eine Afghanistan-Reise mit Zwischenstopp in Iran. Der Iran wird den deutschen Behörden - etwa bei der Aus- und Einreise am deutschen Flughafen - als eigentliches Zielland angegeben. Die Reiseroute lautet dann zum Beispiel: Hamburg, Teheran, Kabul, Teheran, Hamburg.

Um die deutschen Behörden zu täuschen, werden die Visa, anders als üblich, nicht in die Pässe geklebt, sondern lediglich als loses Blatt Papier hineingelegt. Die Stempel der Grenzbehörden werden auf diese Weise nicht in den blauen Reisepass gestempelt, sondern nur auf das lose Blatt Papier, welches vor der Rückreise nach Deutschland rechtzeitig entsorgt werden kann. Das eigentliche Zielland Afghanistan wird so bei der Wiedereinreise nach Deutschland verschleiert. Die deutschen Behörden bekommen in den meisten Fällen nichts mit.

Keine Ahnung, keine Zahlen

Auf die Frage, ob das Bundesinnenministerium von den Heimaturlauben weiß, schiebt Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Verantwortung ab und erklärt gegenüber RTL: "Also erstmal ist es nicht unsere Aufgabe als Bundesinnenministerium, sondern der örtlichen Ausländerbehörden, darauf zu achten, dass so was nicht passiert." Man werde sich das Thema aber anschauen. Schriftlich gibt das Ministerium gegenüber RTL außerdem an, dass genaue Zahlen "statistisch nicht erfasst" werden.

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Innen- und Rechtspolitik, Thorsten Frei, zeigt sich darüber empört und sieht darin ein Zeichen dafür, dass das Innenministerium "überhaupt kein Interesse" an der Erfassung der Daten habe, es werde "ganz offensichtlich überhaupt nicht hingeguckt".

Auch Heiko Teggatz, Vorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft übt scharfe Kritik an der Innenministerin: "Die Bundesregierung muss jetzt umgehend ein Gesetz erlassen, solche Visa fest in die Reisepässe einzubringen. Es ist für mich schleierhaft, wie ein Visum, das wie ein Beipackzettel in den Pass gelegt wird, überhaupt eine Gültigkeit entwickeln kann. Wenn Sie nach Österreich fahren und eine Autobahnvignette kaufen müssen, dann müssen Sie die auch an die Windschutzscheibe kleben und nicht einfach nur auf das Armaturenbrett legen."

Außerdem hätten die Dienststellen der Bundespolizei an den Flughäfen nicht genug Personal, um neben den Einreisen und der Flugsicherheit auch noch die Ausreisen zu kontrollieren. "Wenn die Innenministerin behauptet, die Bundespolizei würde alles kontrollieren auf den Flughäfen, dann irrt sie sich gewaltig. Das weiß sie sicherlich auch haargenau."

Die Sendung RTL Extra vom 13. August ist via RTL+ abrufbar

Quelle: ntv.de

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