Verschwörungswut im MAGA-Land Für Ex-Präsident Trump geht es um alles
07.09.2022, 09:33 Uhr (aktualisiert)
Der frühere US-Präsident Trump hatte die Razzia als Hexenjagd betitelt.
(Foto: Julia Nikhinson/AP/dpa)
Kistenweise schleppen FBI-Beamte offizielle Dokumente aus Donald Trumps Anwesen. Die Anhänger des Ex-Präsidenten spekulieren über einen perfiden Plan des "tiefen Staates". Sollte Trump angeklagt und schuldig gesprochen werden, könnte dies das Ende seiner Karriere bedeuten.
Die Ermittler in den Vereinigten Staaten hatten es auf nettere Weise versucht. Aber die Ermittler bekamen den Ex-Präsidenten nicht richtig zu fassen. Also wurde ein Durchsuchungsbefehl für Donald Trumps Wohnsitz in Florida ausgestellt, den das FBI ausführte. Kistenweise holten die Beteiligten Dokumente aus dessen Anwesen Mar-a-Lago. Regierungsdokumente, die Trump aus dem Weißen Haus und sonst wo mitgenommen und in den dortigen Keller verfrachtet hatte; möglicherweise, damit sie niemand Unliebsamem in die Hände und ihm in der Folge auf die Füße fallen würden.
Unter Trumps Anhängern kursieren andere Erklärungen. Etwa, dass die Untersuchung nur ein Vorwand war, um nach anderen belastenden Beweisen zu suchen. Oder: Das FBI habe womöglich mit gefälschten Beweisen einen Durchsuchungsbefehl erwirkt, bei dessen Durchführung fingierte Dokumente platziert und Mar-a-Lago bei der Gelegenheit verwanzt, um Trump zu schaden. Auch das Datum der Durchsuchung, der 8. August, lässt manche aufhorchen: An diesem Tag des Jahres reichte Richard Nixon 1974 wegen seines illegalen Vorgehens gegen politische Gegner seinen Rücktritt ein.
"Wenn es um den tiefen Staat geht, gibt es keine Zufälle", raunte Monica Crowley, eine frühere hochrangige Mitarbeiterin im Finanzministerium unter Trump im "War Room"-Podcast von dessen früheren Chefstrategen Steve Bannon: "Sie hätten diese Razzia ein paar Tage früher oder morgen durchführen können, aber sie haben den 8. August aus einem Grund gewählt." US-Justizminister Merrick Garland hatte die Durchsuchung selbst gebilligt, wie er sagte. Ein Bundesgericht habe sie wegen eines hinreichenden Verdachts genehmigt.
Seit Montag sind schon einige Tage vergangen, inzwischen sind viele Fragen beantwortet. Aber eben nicht alle. Laut Durchsuchungsbefehl ermitteln die Staatsanwälte gegen den Ex-Präsidenten wegen möglicher Verbrechen, darunter im Sinne des Anti-Spionagegesetzes. Dies verbietet die Einbehaltung von Informationen nationaler Sicherheit, welche den Vereinigten Staaten schaden oder einem anderen Staat hilfreich sein könnten. Außerdem ist es verboten, Dokumente zu entwenden, sowie sie zu verstecken oder zu zerstören, um eine Ermittlung zu behindern.
Eben dies soll bei Trump der Fall gewesen sein, denn eine Reihe von beschlagnahmten Dokumenten in den etwa 20 Kisten haben die höchste Geheimhaltungsstufe. Die vom Justizministerium veröffentlichte Liste der mitgenommenen Gegenstände führt neben den Geheimdokumenten den Gnadenerlass für den umstrittenen Vertrauten Roger Stone sowie Informationen über den "Präsidenten von Frankreich" auf. Was sie genau enthalten, darüber wird nun spekuliert werden. Hatte Trump womöglich etwas zu verbergen und nahm die Dokumente deshalb mit?
Papierschnipsel im Klo
Laut einer Vielzahl von Berichten war Trump während seiner Präsidentschaft eher unordentlich und hielt sich nicht an die gesetzlichen Regeln für einen US-Staatschef. Der muss laut Gesetz am Ende seiner Amtszeit alle offiziellen Dokumente dem Nationalarchiv übergeben. Doch häufig soll Trump sie einfach zerrissen haben, nachdem er sie gelesen hatte, berichtete der US-Sender CNN. Laut einer "New York Times"-Journalistin spülte er sie mitunter die Toilette im Weißen Haus herunter, deren Verstopfung dann Handwerker lösen mussten.
Trump gibt sich unschuldig und sagt, man hätte ihn einfach um die Schriftstücke bitten können, dann hätte er sie übergeben. Seit Montag versucht er, von der Diskussion um die Aktion des FBI und seine Person zu profitieren. Direkt nach der Durchsuchung schalteten seine Wahlkampforganisationen Werbung und monierten in Spendenaufrufen per Textnachrichten und E-Mails die Vorgehensweise des FBI. Zugleich telefonierten Verbündete mit Trump und ermutigten ihn, sich um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner 2024 zu bewerben, zusätzlich traf er sich mit republikanischen Abgeordneten.
Laut US-Medien wurde noch nie der Wohnsitz eines Ex-Präsidenten zu dessen Lebzeiten durchsucht. Der tönte, sein Anwesen sei belagert, überfallen und besetzt worden. Reihenweise empörten sich in den Tagen seit der Durchsuchung hochrangige Republikaner und Unterstützer. Trump forderte die Veröffentlichung des Durchsuchungsbefehls, was Justizminister Garland dann prompt auch veranlasste. Dabei war der Ex-Präsident seit Montag in Besitz des Papiers und hätte dessen Inhalt auch selbst teilen dürfen. Das Gleiche gilt für die Liste der Dinge, die das FBI mitnahm.
Nach dem Ende von Trumps Präsidentschaft war den Mitarbeitern des Nationalarchivs aufgefallen, dass Geheimdokumente fehlten. Also fragte ein Anwalt des Archivs bei Trumps Mitarbeitern nach. Die Kisten enthielten Briefe, Aufzeichnungen, Zeitungen, Magazine und Artikel, die "eines Tages" Teil einer präsidentiellen Bibliothek werden sollten, erklärte Trump. Es folgte ein Hin und Her über viele Monate, im Januar übergab Trump der Behörde aber nur ein paar Dokumente.
Das Nationalarchiv schaltete daraufhin das Justizministerium ein. Im Juni besuchte das FBI den Ex-Präsidenten und nahm zwölf Kisten aus dem Keller von Mar-a-Lago mit, schreibt die "Washington Post". Sie monierten einer Anwältin Trumps zufolge, dass der Zugang nicht gesichert genug sei. Also hätten Trumps Mitarbeiter ein Schloss installiert. Doch offenbar vermuteten die Ermittler in den verbliebenen Kisten weitere brisante Dokumente. Also rückte am Montag das FBI aus.
Angst vor dem "tiefen Staat"
"Das ist Theater und dazu gedacht, dem Präsidenten und den Republikanern bei den Kongresswahlen zu schaden und die Interessen der Demokratischen Partei voranzutreiben", polterte etwa Michael Caputo, ein langjähriger Vertrauter Trumps und früherer Sprecher des Gesundheitsministeriums. Soweit bekannt, ist jedoch bei der Durchsuchung alles mit legalen Dingen zugegangen. Mehr als 30 FBI-Beamte waren fast den ganzen Tag auf dem Gelände, der Secret Service, der auch ehemalige Präsidenten beschützt, war informiert worden. US-Präsident Joe Biden wusste eigenen Angaben zufolge vorab nichts davon. Das Weiße Haus hat sich zu dem Vorgang nicht geäußert.
Es wird weiter gefragt werden, woher der Verdacht des FBI kam. Wenn die Ermittler schon bei ihrem Besuch im Juni alles hätte mitnehmen dürfen, warum gingen sie dann plötzlich davon aus, dass Trump etwas zu verbergen hat? Viele spekulieren darüber, dass es ein ehemaliger Trump-Vertrauter gewesen sein könnte, der die Seiten wechselte und zum Informanten wurde.
Die Anhänger und ehemaligen Mitarbeiter von Trump sind Verschwörungstheorien noch nie abgeneigt gewesen. Auch der "tiefe Staat", also dass Behörden mit jeglichen Mitteln ihre eigenen politischen Agenden verfolgen, ist ein übliches Thema. Die vom FBI ausgelösten Spekulationen hätten jedoch größere Dimensionen angenommen, schreibt "Politico". Die beiden Gründe seien große Angst davor, dass jener "tiefe Staat" Trump politisch ausschalten will - also verhindern, dass er erneut zur Präsidentschaftswahl antritt -, und der Mangel an zugänglichen Informationen darüber, wie das Justizministerium sowie das FBI, eine Mischung aus Strafverfolgungsbehörde und Inlandsgeheimdienst, überhaupt arbeiten.
Eine Verurteilung könnte tatsächlich Trumps politische Karriere beenden. Das Anti-Spionagegesetz sieht eine Höchststrafe von zehn Jahren im Bundesgefängnis und das Gesetz für Behinderung der Ermittlungen sogar eine Höchststrafe von 20 Jahren vor. Sollte der Ex-Staatschef wegen der Vernichtung von Aufzeichnungen verurteilt werden, könnte er sogar sein Recht darauf verlieren, erneut ein öffentliches Amt zu bekleiden. Eine erneute Präsidentschaft wäre damit unmöglich. Aber zunächst einmal müssen die Ermittler entscheiden, ob sie überhaupt Anklage erheben. Falls ja, dürfte der Ton in der Öffentlichkeit noch schriller werden, als er ohnehin schon ist.
(Dieser Artikel wurde am Samstag, 13. August 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de