Politik

US-Übernahme des Gazastreifens? "Netanjahu freut sich über Trumps Ablenkungsmanöver"

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"Für die rechtsextremen Kräfte in Netanjahus Regierung gibt es einen Haken, obwohl sie Trumps Vorschlag jetzt bejubeln", sagt Stetter.

"Für die rechtsextremen Kräfte in Netanjahus Regierung gibt es einen Haken, obwohl sie Trumps Vorschlag jetzt bejubeln", sagt Stetter.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Präsident Donald Trumps Vorschlag, die USA sollten die Kontrolle über den Gazastreifen übernehmen, sei irre und gefährlich, warnt Nahost-Experte Stephan Stetter. Im schlimmsten Fall könne er die Terroristen der Hamas stärken. Israels Regierung gebe er zumindest kurzfristig Anlass zur Freude.

ntv.de: US-Präsident Donald Trump will die rund zwei Millionen Palästinenser aus dem Gazastreifen in andere arabische Länder umsiedeln, danach sollen die USA das Gebiet übernehmen. Was halten Sie davon?

Stephan Stetter: Man muss den Vorschlag vielleicht erst mal so nehmen, wie er gesagt wurde. Dann ist das eine vollkommen radikale und bisher in der Geschichte des israelisch-palästinensischen Konfliktes noch nie geäußerte Position, die ich weder für realistisch noch für seriös halte. Natürlich kann man auch die Frage stellen, ob es nur ein Ablenkungsmanöver ist und es eigentlich um andere Fragen geht.

Stephan Stetter ist Professor für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr München. Nach Studium in Heidelberg, Jerusalem, London und Florenz forscht und lehrt er zum Nahen und Mittleren Osten.

Stephan Stetter ist Professor für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr München. Nach Studium in Heidelberg, Jerusalem, London und Florenz forscht und lehrt er zum Nahen und Mittleren Osten.

(Foto: Stephan Stetter)

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat ein Interesse daran, den Waffenstillstand mit der Hamas zu verzögern, weil die Partei des rechtsextremen Finanzministers Bezalel Smotrich ihn ablehnt - und damit droht, aus Netanjahus Regierungskoalition auszutreten, richtig?

Aus Protest gegen das Abkommen zum Waffenstillstand hat der ehemalige Minister Itamar Ben-Gvir schon seinen Rücktritt erklärt. Falls Smoritch die Regierung auch verlässt, verliert Netanjahu seine Mehrheit im Parlament. Netanjahu freut sich deshalb über Trumps Ablenkungsmanöver. Auf der Regierung lastet dadurch kein Druck mehr in Bezug auf den Waffenstillstand und den Geisel-Austausch. Aber falls Trump dies absichtlich bezwecken wollte, müsste das schon ein äußerst ausgefeilter Schachzug sein. Natürlich kann Netanjahu jetzt sagen: Seht ihr, die USA stehen hinter mir. Für die rechtsextremen Kräfte in Netanjahus Regierung gibt es aber einen Haken, obwohl sie Trumps Vorschlag jetzt bejubeln: Falls die USA das Gebiet übernehmen sollten, wird Israel es nicht besiedeln können. Die Besiedelung des Gazastreifens durch Israel ist aber genau das, was sich die nationalreligiösen Kräfte in der israelischen Regierung wünschen. Das macht Trumps Vorschlag aber nicht weniger absurd.

Trump sagt, die USA könnten den Gazastreifen nach der Übernahme in die "Riviera des Nahen Ostens" verwandeln. Die USA würden dort als "Eigentümer" ein Mekka für Arbeitsplätze und Tourismus schaffen. Klingt Trump wie der Immobilienentwickler, der er mal war?

Wir kennen von Trump die Position, dass er immer einen ökonomischen Blick auf Themen wirft. Wenn man den Gazastreifen als Grundstück für Immobilien betrachten möchte, dann ist er natürlich ein attraktives Gebiet. Trump hat aber auch oft gesagt, er möchte beim israelisch-palästinensischen Konflikt was erreichen. In seiner ersten Amtszeit entwarf er einen "Jahrhundertplan" für die Befriedung des Konflikts, der aber nicht ausreichend einen wirklichen Vorschlag zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts enthielt. Was in Trumps erster Amtszeit geklappt hat: Israel hat durch die sogenannten Abraham Accords diplomatische Beziehungen mit einer Reihe von arabischen Staaten aufgenommen. Ein großes Ziel von Trump ist ein Friedensschluss zwischen Saudi-Arabien und Israel. Die Saudis ihrerseits erwarten aber, dass Israel den Palästinensern dann eine politische Perspektive gibt.

Trumps Vorschlag ist also zum Scheitern verurteilt?

Die Palästinenser werden den Gazastreifen nicht verlassen. Man müsste sie dort vertreiben. Viele Bewohner des Gazastreifens sind Nachfahren von Palästinensern, die während des Krieges von 1948 nach der Unabhängigkeit Israels aus ihren Häusern vertrieben wurden. Die Palästinenser haben deshalb in ihrer politischen Kultur und nationalen Identität die Opferrolle stark verinnerlicht. Die meisten von ihnen werden deshalb weiter in den Trümmern leben. Wie wollen die USA das Gebiet einnehmen? Das würde nur mit einem massiven Einsatz von US-Militär gehen. Es würde auch nur gehen, wenn es eine Kooperation mit arabischen Staaten geben würde, die Flüchtlinge aufnehmen. Die werden sich darauf aber nicht einlassen. Wie vieles, was Trump macht, ist der Vorschlag nicht durchdacht. Trump will mit solchen Ansagen überraschen und schockieren. Aber ob das sein letztes Wort ist? Das bezweifle ich.

Nützt Trumps Vorschlag denn überhaupt irgendwem in der Region, außer Netanjahu?

Trumps Vorstoß ist nicht nur irre, sondern auch gefährlich. Er wird dadurch gar nichts in der Region voranbringen. Es gibt nur zwei Punkte, die daran richtig sind. Erstens: Der Gazastreifen muss wieder aufgebaut werden. Zweitens: In einer zukünftigen Regierung im Gazastreifen darf die Hamas keine Rolle spielen. Aber beides wird man auf diesem Weg nicht erreichen. Außerdem rückt die Frage in den Hintergrund, wie die Geiseln aus der Gefangenschaft der Hamas freikommen. Wir befinden uns in der zweiten Phase des Waffenstillstands-Abkommens, in diesem Zusammenhang werden auch Geiseln ausgetauscht. Das darf nicht aus dem Blick geraten.

Welche realistischen Möglichkeiten gibt es, um die Region zu befrieden?

Der Weg vorwärts ist eine internationale Allianz der USA mit den arabischen Staaten, vor allem mit Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Gemeinsam mit diesen Staaten muss ein umfangreicher Wiederaufbauplan für den Gazastreifen entwickelt werden. Den werden die Araber und wahrscheinlich auch die Europäer bezahlen müssen, weil die Amerikaner sich finanziell zurückhalten werden. Aber das wird nur schrittweise gehen. Dabei müssen die arabischen Staaten eine tragende Rolle im Gazastreifen übernehmen, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Schrittweise muss die Palästinensische Autonomiebehörde daran beteiligt werden, damit die Hamas nicht mehr in der Verantwortung steht.

Gibt es momentan eine Chance auf eine Zwei-Staaten-Lösung?

Die ist derzeit nicht auf der Tagesordnung, weil die Palästinensische Autonomiebehörde kaum handlungsfähig ist und es in Israel keine Bereitschaft dazu gibt. Jetzt geht es um akute Hilfe für den Gazastreifen. Dort gibt es humanitäre Notwendigkeiten. Die Menschen dort müssen versorgt werden. Es muss verhindert werden, dass die Hamas wieder in das Machtvakuum stößt - etwa wenn es um die Verteilung von Hilfsgütern geht. Denn das war im Übrigen Netanjahus Strategie der letzten 15 Jahre: dass die Hamas den Gazastreifen kontrollieren darf und so die Palästinenser geteilt und dadurch geschwächt sind. Diese Strategie hat nichts gebracht, sie ist von Israel sogar am 7. Oktober bezahlt worden.

Könnte Trumps Vorschlag die Hamas stärken?

Wenn die Amerikaner das Gebiet übernehmen wollten, müssten sie einen großen militärischen Einsatz im Nahen Osten durchführen. Es gäbe eine akute Gefährdung von US-Soldaten. All das würde auf Trump zurückfallen und es widerspricht seiner sonstigen außenpolitischen Linie. Deshalb wird es kaum eine militärische Intervention geben. Da die Palästinenser Trumps Plan nicht einfach friedvoll zustimmen werden, kann Trump dann sagen: Die Palästinenser haben sich ja nicht darauf eingelassen, jetzt hat Israel freie Hand. Dann wird aber der gerade eingestellte Krieg wieder aufgenommen. Das wäre schrecklich für die Menschen im Gazastreifen und für die Geiseln, die noch immer in der Gefangenschaft der Hamas sind. Die politischen Probleme würde es auch nicht lösen, die Hamas wäre weiter da und würde die Anarchie im Gazastreifen weiter für sich nutzen.

Anarchie im Gazastreifen nützt also nur der Hamas?

Ja, denn die Hamas kontrolliert den Gazastreifen noch immer. Momentan ist sie geschwächt, aber sie rekrutiert weiter Leute. Sie verfügt über Waffen und ein Tunnelsystem. Dadurch kann sie im Gazastreifen den Druck auf die Bevölkerung aufrechterhalten, zumal sie sich ja wie die Siegerin des Krieges darzustellen versucht. Was in den letzten 15 Jahren jedenfalls passiert ist, hat der Hamas oft geholfen. Die Autonomiebehörde ist daran gescheitert, den Palästinensern einen Weg zu zeigen, der nicht mit diesem autoritären Regieren der Hamas verbunden ist. Die Regierung unter Netanjahu hat auch zur Destabilisierung beigetragen. Sie hat die Hamas über Jahrzehnte indirekt gestützt und insoweit finanziert, als man Katar diesen Job überlassen hat. Netanjahus Regierung hat Katar erlaubt, die Hamas zu finanzieren. Das hat Israel sogar aktiv gefördert, da die Hamas die Palästinenser so weit schwächt, dass sie nicht einheitlich auftreten und politische Ziele formulieren können.

Mit Stephan Stetter sprach Lea Verstl

Quelle: ntv.de

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