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"Ihr nützlichen Idioten Irans" Netanjahu rechtfertigt Gaza-Krieg - Festnahmen im Kongress

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Netanjahu bekam während seiner Rede mehrmals parteiübergreifende Standing-Ovations.

Netanjahu bekam während seiner Rede mehrmals parteiübergreifende Standing-Ovations.

(Foto: IMAGO/UPI Photo)

Der israelische Ministerpräsident Netanjahu stellt mit seiner vierten Rede vor dem US-Kongress nicht nur einen Rekord auf - er fährt auch mehrmals parteiübergreifenden Applaus ein. Tausende Demonstranten vor dem US-Kongress spricht er direkt an.

Während sich auf dem "Capitol Hill" in Washington D.C. Tausende propalästinensische Demonstranten versammeln, verteidigt Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im US-Kongress vehement die Kriegshandlungen seines Landes nach der Attacke vom 7. Oktober. Er warf Vorwürfe zurück, Israel ziele im Gaza-Krieg absichtlich auf Zivilisten ab. "Die israelische Armee hat Millionen von Flugblättern abgeworfen, Millionen von SMS, Hunderttausende Telefongespräche geführt, um Schaden an palästinensischen Zivilisten zu verhindern", sagte Netanjahu.

Gleichzeitig habe die islamistische Palästinenserorganisation Hamas "alles in ihrer Macht Stehende getan, um palästinensische Zivilisten in Gefahr zu bringen". Sie hätten etwa Raketen aus Schulen, Krankenhäusern und Moscheen abgefeuert. Er warf der Hamas vor, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen.

Netanjahu bringt verwundete Soldaten mit

Netanjahu sagte zudem, im Gaza-Krieg habe es verhältnismäßig wenig zivile Opfer gegeben, im Vergleich zu Kriegen in Wohngebieten in anderen Ländern. Besonders niedrig seien zivile Verluste in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifen gewesen. Dies widerspricht den Zahlen des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die zuletzt von mehr als 39.000 getöteten Menschen auf der palästinensischen Seite im ganzen Konflikt seit dem 7. Oktober sprach - darunter Hamas-Terroristen wie Zivilisten.

Netanjahu schaffte es, sich mehrmals während der Rede parteiübergreifenden Applaus zu sichern. Etwa als er nacheinander über eine im Saal sitzende Frau spricht, die sich in der Gewalt der Hamas befand, und danach ebenfalls im Saal befindliche israelische Soldaten vorstellte, die teils Gliedmaßen verloren. Der parteiübergreifende Applaus bringt Netanjahu politisch wichtige Bilder auch für sein Heimpublikum in Israel. Derweil erwarteten die USA wie die Welt am selben Abend vor allem noch Joe Bidens Ansprache, der sich zu seinem Rückzug aus dem US-Präsidentschaftsrennen detailliert äußern will.

Hier und da verweigerten ihm US-Demokraten aber auch Applaus, wenn Republikaner klatschten, blieben sitzen, wenn letztere sich erhoben. Selten gab es Buh-Rufe.

Mehrere Festnahmen auf Tribüne

Mehrere Zuhörer störten die Rede des israelischen Ministerpräsidenten von der Tribüne des Plenarsaals aus mit Zwischenrufen. Sie seien umgehend abgeführt und festgenommen worden, teilte die Kapitolpolizei auf X mit. Demnach gab es fünf Festnahmen. Rund um das Parlamentsgebäude versammelten sich indes Tausende Demonstranten. Bei einer propalästinensischen Kundgebung forderten Rednerinnen und Redner die US-Regierung von Joe Biden unter anderem dazu auf, die militärische Hilfe für Israel komplett einzustellen. Sie warfen Israel einen "Genozid" im Gazastreifen vor und beschuldigten Biden, seine Stellvertreterin Kamala Harris und die Spitzen im US-Parlament, sich daran zu beteiligen.

Netanjahu schimpfte während seiner Rede über die Proteste. Die Demonstranten stünden auf der Seite des Bösen, "sie stehen auf der Seite der Hamas, sie stehen auf der Seite von Vergewaltigern und Mördern", sagte er. Direkt an die, wenn überhaupt nur, wenige Kilometer entfernten Demonstranten gerichtet, schimpfte Netanjahu mit Blick auf die Verbindungen zwischen der Hamas und dem Iran: "Ihr seid offiziell zu nützlichen Idioten des Iran geworden."

Der israelische Ministerpräsident kritisierte, viele Demonstranten hätten nicht die geringste Ahnung, wovon sie sprächen. "Einige dieser Demonstranten halten Schilder hoch, auf denen 'Schwule für Gaza' steht." Sie könnten genauso gut Schilder hochhalten, auf denen stehe: "Hühner für KFC", also für Kentucky Fried Chicken, spottete er. Für die derbe homophobe Äußerung erntete er - anders als für andere Textstellen - keinen Applaus, sondern betretenes Schweigen.

Churchills Uralt-Rekord geknackt

Netanjahu ließ sich durch solche Momente aber nicht aus der Ruhe bringen. Er hatte immer wieder Stellen, mit denen er das Publikum fing. Einer der Live-Kommentatoren der "New York Times" schrieb: "Was auch immer man von seinen Ansichten hält, Netanjahus fließendes, umgangssprachliches Englisch und sein rhetorischer Schwung sind ein großer Gewinn. Wolodymyr Selenskyj würde töten, um eine Rede zu halten, die so singt."

Der israelische Ministerpräsident äußerte sich auch zu seinen Vorstellungen für eine Zukunft für Gaza. Der 74-Jährige sagte, der Gazastreifen sollte eine Zivilbehörde haben, die von Palästinensern angeführt werde, die nicht die Zerstörung Israels zum Ziel hätten. Auf absehbare Zeit werde aber eine übergeordnete Sicherheitskontrolle über Gaza benötigt. Zu den Erfolgsaussichten der Verhandlungen über eine Freilassung der von der radikalislamischen Hamas gehaltenen Geiseln sagte er. "Ich bin zuversichtlich, dass diese Bemühungen zum Erfolg führen können."

Besonders heraus stachen aber die vielen Verweise auf den Iran, die in den USA verfangen dürften. Die "New York Times" fasste die Rede folgendermaßen zusammen: "Netanjahu verteidigte (...) energisch den israelischen Militäreinsatz in Gaza. Dabei lobte er das israelisch-amerikanische Bündnis und versuchte, den Krieg als einen Kampf zwischen Gut und Böse, Zivilisation und Barbarei darzustellen." Auch habe er den Kampf gegen die Hamas als Teil eines größeren Konflikts zwischen dem Iran und den USA dargestellt.

Laut des New Yorker Mediums hat Netanjahu mit seiner vierten Rede vor dem US-Kongress einen Rekord aufgestellt. Mehr als achtzig Jahre lang habe diesen ein gewisser Winston Churchill mit drei Auftritten vor der Kammer gehalten.

Quelle: ntv.de, mpe/dpa/AP/AFP/rts

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