
Hendrik Wüst, Olaf Scholz und Franziska Giffey demonstrieren Geschlossenheit.
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Kontaktbeschränkungen, strengere Auflagen für Gastronomie-Besucher und neue Quarantäne-Regeln: Die Ministerpräsidentenkonferenz verändert ein paar Pandemie-Stellschrauben und stimmt auf steigende Infektionszahlen ein. Scholz will Entschlossenheit vermitteln, kann Zwistigkeiten aber nicht kaschieren.
"Eigenlob stinkt", heißt ein Sprichwort. "Tue Gutes und rede darüber", lautet ein anderes. Bundeskanzler Olaf Scholz weiß mit letzterem mehr anzufangen und versprüht auf seiner ersten von sicher vielen Ministerpräsidentenkonferenzen im neuen Jahr vor allem Zuversicht. Die Corona-Lage sei in Deutschland deutlich besser als noch vor kurzem befürchtet wurde, weil die ergriffenen Maßnahmen zur Kontaktreduzierung und zur Beschleunigung der Booster-Kampagne Wirkung erzielten, sagt Scholz am späten Freitagnachmittag im Anschluss an die Bund-Länder-Runde.
"Wir werden, das muss ich mit aller Deutlichkeit gesagt haben, höhere Zahlen erleben", stimmt Scholz auf einen heftigen Anstieg der Infektionszahlen ein, wie ihn der Expertenrat der Regierung voraussagt. Er beteuert: "Alles, was notwendig ist, wird gemacht." Dem Regierungschef geht es erkennbar darum, zu vermitteln, wie gut Bund und Länder die Lage im Griff hätten. Entsprechend betont Scholz die Einigkeit zwischen Berlin und den Landeshauptstädten - obwohl es sehr wohl verschiedene Auffassungen in gleich mehreren Punkten gibt.
Privilegien für Geboosterte
Einigkeit herrscht vor allem bei einer der wenigen grundlegenden Neuerungen im Corona-Regime von Bund und Ländern: bei den veränderten Quarantäne-Regeln. Geboosterte Kontaktpersonen sollen überhaupt keine Einschränkungen erfahren. Mitarbeiter systemrelevanter Branche sollen sich schneller freitesten können aus der Quarantäne. Warum aber nicht-geboosterte Kontaktpersonen die Zehn-Tage-Quarantäne um drei Tage verkürzen können, indem sie einen Antigentest machen und nicht zwingend einen PCR-Test, begründet Scholz auf Nachfrage schmallippig: Es handele sich um die "geeignetste und am ehesten umsetzbare" Methode, sagt Scholz.
Die Neuregelung zielt vor allem auf die Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur ab sowie darauf, einen weiteren Anreiz zu setzen, damit möglichst viele Menschen eine Auffrischungsimpfung vornehmen lassen. Nach 30 Millionen Impfungen im Dezember wollen Bund und Länder im Januar noch einmal so viel schaffen. Dreifach-Gespritzte werden künftig auch beim Besuch von Kneipen und Restaurants bevorzugt, weil sie anders als Ungeboosterte kein tagesaktuelles Coronatest-Zertifikat vorlegen müssen.
Haseloff schert aus
"Bund und Länder haben gemeinsam ein ausgewogenes Quarantänekonzept erarbeitet", beteuert der derzeitige Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst. Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, lobt die "sehr, sehr gute Vorbereitung" der Konferenz, die eine schnelle und geschlossene Entscheidung ermöglicht habe. Scholz spricht über die engen und vielfältigen Absprachen zwischen Bund und Ländern in den vergangen Tagen: "Das müssen Sie sich schon so vorstellen, dass hier ständig Kontakte stattfinden", erklärt Scholz. Die Ministerpräsidentenkonferenz sei nur "die Beurkundung eines ganz intensiven Konsensfindungsprozesses".
Doch die vielgepriesene Einigkeit endet keine Autostunde von den Toren Berlins entfernt: Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff erklärt noch während Wüst und Scholz die föderale Geschlossenheit beteuern, sein Bundesland werde vorerst nicht die 2G-Plus-Regel für die Gastronomie verhängen, weil Omikron in Sachsen-Anhalt noch nicht angekommen sei. Thüringens Ministerpräsidenten Bodo Ramelow genügen dagegen schon Omikron-Funde im thüringischen Abwasser als Argument, dass diese Corona-Variante auch Mitteldeutschland bald erfassen werde.
Wüst fordert schnellere Impfpflicht
Auch bei der Frage nach der Impfpflicht herrscht nur auf den ersten Blick Einigkeit: Alle 16 Ministerpräsidenten hätten sich für eine Impfpflicht ausgesprochen berichten Scholz, Wüst und Giffey in ihren Eingangsstatements. "Alle 16 Regierungschefs der Bundesländer haben sich dazu bekannt, dass sie für eine allgemeine Impfpflicht sind", sagt Scholz. Er habe selbst wiederholt erklärt, "dass es gut ist, wenn am Ende eine allgemeine Impfpflicht steht".
Wüst nutzt sein Eingangsstatement aber auch, um im Namen de Unionsseite mehr Tempo zu fordern. Schon in ihrer Beschlussvorlage hatten die von CDU und CSU geführten Bundesländer angemahnt, die Impfpflicht solle wie von Scholz angekündigt noch im Februar kommen. Tatsächlich aber rechnet die SPD-Bundestagfraktion eher mit März. Die ursprüngliche Terminierung einzuhalten sei auch eine Frage der Verlässlichkeit von Politik, moniert Wüst. "Die Länder gehen davon aus, dass bald ein Zeitplan zum Vorgehen zum Einführen einer allgemeinen Impfpflicht vorliegen wird."
Die Union hatte in den vergangenen Tagen - angeführt von ihrem Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus - wiederholt gefordert, dass Scholz mehr Führung zeigen solle bei der Einführung der Impfpflicht. "Ich habe ja dafür gesorgt, dass wir in Deutschland jetzt über eine allgemeine Impfpflicht diskutieren", bekundet Scholz sein Unverständnis für die Unionskritik. "Ich bin Mitglied des Deutschen Bundestags, werde für eine Impfpflicht stimmen und für sie werben." Mit der Diskussion über die angemessene Eile ist die Impfpflicht-Debatte, die ja eigentlich unabhängig von der üblichen Fraktionsdisziplin geführt werden soll, wieder zur Beute des Parteienstreits zwischen Ampel und Union geworden.
"Einigkeit hält Dissens aus"
Auch die Frage nach der "epidemischen Lage von nationaler Tragweite" lässt die Bund-Länder-Runde nicht los. Wüst erklärt, dass das Grün-regierte Baden-Württemberg sowie die sieben Bundesländer mit Unionsministerpräsidenten eine Wiedereinführung der im November ausgelaufenen Notlage für geboten erachten. Das aber lehnt die Ampelkoalition im Bund ab.
"Das Feststellen der epidemische Lage ist offen", moniert Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der mit seiner Pressekonferenz in München die Ergebnisverkündung in Berlin vorwegnimmt. Dieses Vorpreschen ist etwas unhöflich, aber das macht auch der Sozialdemokrat Dietmar Woidke in Potsdam so. Die Frage, was ihn von einer Wiedereinführung abhalte, beantwortet Scholz damit, dass die Länder alle getroffenen Vereinbarungen auf Grundlage der gültigen Gesetze umsetzen könnten.
Dass gleich mehrere Nachfragen auf die offenkundigen Uneinigkeiten zielen, versetzt Wüst, Giffey und Scholz merklich in Unruhe. "Wir sollten nicht eine Spaltung herbeireden, die so einfach nicht da ist", sagt die Regierende Bürgermeisterin. "Es gibt Einigkeit in der deutschen Politik über das, was als nächstes zu tun ist", sagt Scholz. Und Wüst erklärt: "Diese große Einigkeit hält einen Dissens in der einen oder anderen Frage auch aus." Fortsetzung am 24. Januar, wenn die Ministerpräsidentenkonferenz wieder zusammenkommt.
Quelle: ntv.de