Politik

Streit um Brexit-Sonderregelung Paramilitärs bedrohen Nordirlands Frieden

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Radikale Gruppen aus Nordirland wollen Zölle innerhalb des Vereinigten Königreichs verhindern.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Der gewaltsame Konflikt in Nordirland konnte 1998 beendet werden. Nun, mehr als zwanzig Jahre später, droht die Gewalt wieder aufzuflammen.

In Briefen an die Premierminister von Großbritannien und Irland, Boris Johnson und Micheál Martin, haben loyalistische paramilitärische Organisationen angekündigt, dass sie ihre Unterstützung für das historische Friedensabkommen in Nordirland zurückziehen. Dass die Paramilitärs gerade jetzt ihre Unterstützung zurückziehen, gründet auf Bedenken über das Nordirland-Protokoll, das den Handel in der Irischen See nach dem Brexit regelt. Mit der Sonderregelung sollen die Auswirkungen des Brexit auf Irland abgemildert werden. Während Nordirland Teil des britischen Zollgebiets ist, gelten dort EU-Binnenmarktregeln. So sollen eine harte Grenze zur Republik Irland und ein Wiederaufflammen der Gewalt vermieden werden.

"Wir sind besorgt über die derzeitige Störung von Handel und Wirtschaft zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs, aber unser zentraler Einwand ist sehr viel grundsätzlicher", heißt es in dem Brief. Absender ist das Loyalist Communities Council, eine Dachorganisation, die Positionen der früheren Terrorgruppen UVF, UDA und des "Red Hand Commando" vertritt.

Mehr als 3000 Tote in den "Troubles"

Seit den 1960er Jahren hatte auf der Insel ein bürgerkriegsartiger Kampf geherrscht, in Irland etwas verharmlosend "Troubles", genannt. Der Konflikt bestand zwischen Protestanten, die als Unionisten oder Loyalisten Teil des Vereinigten Königreichs bleiben wollen, und den Katholiken, die als Nationalisten und Republikaner für ein vereinigtes, unabhängiges Irland stehen.

Nach Jahren voller Anschläge und Überfälle, bei denen insgesamt mehr als 3000 Menschen starben, unterschrieben am 10. April 1998 die irische und britische Regierung sowie die Parteien in Nordirland das sogenannte Karfreitagsabkommen, das den Bürgerkrieg beendete. Eigentlich sollte das Nordirland-Protokoll das Abkommen bewahren helfen. Allerdings sorgt es auch dafür, dass alles, was von Großbritannien nach Nordirland geliefert wird, unter EU-Vorschriften fällt, was Kontrollen und Bürokratie notwendig macht. Zuletzt hatten aus diesem Grund leer gebliebene Regale in nordirischen Supermärkten für Spannungen gesorgt.

Den loyalistischen Paramilitärs zufolge wurden Versprechen und Abmachungen nicht eingehalten. Während der Brexit-Verhandlungen sagten die britische Regierung und die EU, dass das Karfreitagsabkommen und Schutzmaßnahmen der Gemeinschaften in Nordirland von höchster Wichtigkeit seien. Dagegen werde jedoch wiederholt verstoßen. Ein Beispiel sei die Ankündigung der EU, Impfstofflieferungen nach Nordirland zu kontrollieren - auch wenn dies schnell wieder zurückgezogen wurde.

Weitere Hindernisse im Handelsverkehr versucht die britische Regierung nun mit der Verlängerung einer Sonderregelung zu vermeiden. Die begrenzt den bürokratischen Aufwand für Lieferungen von Agrar- und Lebensmittelgütern von Großbritannien nach Nordirland und hätte eigentlich nur als Übergang bis Anfang April gelten sollen. Nun hat Boris Johnson sie bis Oktober verlängert.

Aus irischer Sicht gibt es zum Nordirland-Protokoll keine Alternative

Dies wiederum stößt in Dublin auf Kritik. "Die einseitigen Schritte der britischen Regierung sind wenig hilfreich und untergraben das Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission zu einer Zeit, in der es am meisten gebraucht wird", sagte der irische Minister für europäische Angelegenheiten, Thomas Byrne. Das Nordirland-Protokoll sei Teil einer völkerrechtlichen Vereinbarung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich und könne nicht einseitig interpretiert oder geändert werden.

Damit scheinen sich Befürchtungen zu bewahrheiten, denen zufolge der Nordirland-Konflikt durch den Brexit wieder angefacht wird - denn die Tatsache, dass zwischen Nordirland und der Republik eine EU-Außengrenze verläuft, lässt sich durch Protokolle kaum lindern; eine Lösung, die beide Seiten der nordirischen Gesellschaft zufriedenstellt, wurde bislang nicht gefunden.

Byrne zeigte sich offen für Kritik: "Wir weisen die aufrichtigen Bedenken, die zu Aspekten der Funktionsweise des Protokolls geäußert wurden, nicht zurück", sagte er zum Brief der Paramilitärs. Allerdings biete die Abschaffung des Protokolls keine praktikable Alternative zu "den sehr realen Problemen, die durch den Brexit entstanden sind".

Dazu gehört auch, dass das Karfreitagsabkommen in Irland nun in Gefahr ist. "Der Frieden in Nordirland und der Friedensprozess sind zerbrechlich", sagte Byrne. Auch die Polizei im Norden der Insel stellt eine wachsende Unzufriedenheit in unionistischen Gemeinden fest. Polizeipräsident Simon Byrne warnte vor einer "fiebrigen" Atmosphäre und forderte die Menschen dazu auf, "vom Rande der Gewalt zurückzutreten".

Zwar schreiben die Paramilitärs in ihrem Brief, der Widerstand gegen das Protokoll solle "friedlich und demokratisch" bleiben, doch gleichzeitig heißt es in dem Schreiben, die "Stärke der Gefühle zu diesem Thema in der gesamten unionistischen Familie" sollte nicht unterschätzt werden.

Quelle: ntv.de

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