Spitzenposten für Parteikollegen Personalie bringt von der Leyen in Bedrängnis
04.04.2024, 17:04 Uhr Artikel anhören
Von der Leyen werde "sich selbstverständlich der Debatte stellen", erklärte ihr Sprecher in Brüssel.
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Kurz vor der Europawahl gerät die EU-Kommissionspräsidentin unter Druck: Hat von der Leyen einem Parteifreund aus der CDU einen gut bezahlten Kommissionsposten zugeschanzt? Das zumindest werfen ihr mehrere namhafte Kommissare vor. Auch das Europaparlament begehrt auf.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gerät wegen der Ernennung ihres CDU-Parteikollegen Markus Pieper für einen gut bezahlten Kommissionsposten zusehends unter Druck. Seine Ernennung zum Mittelstandsbeauftragten habe "Fragen zur Transparenz und Unvoreingenommenheit" des Verfahrens aufgeworfen, heißt es in einem Schreiben von vier EU-Kommissaren an von der Leyen, das der Nachrichtenagentur AFP vorlag. Europaabgeordnete mehrerer Fraktionen forderten eine Neuauflage des Auswahlverfahrens.
Abgeordnete von Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken werfen von der Leyen vor, bei der Besetzung könnte "die Parteizugehörigkeit des Kandidaten eine entscheidende Rolle gespielt haben". Auf eine entsprechende Anfrage an die Kommission von Ende Februar habe er "noch immer keine Antwort" erhalten, erklärte der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund auf X.
Der bisherige CDU-Europaabgeordnete Pieper war Ende Januar zum Mittelstandsbeauftragten der EU-Kommission ernannt worden, gut einen Monat vor von der Leyens Wahl zur Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei (EVP) für die Europawahl. Nach Angaben aus Kommissionskreisen setzte sich Pieper in der engeren Auswahl gegen zwei Gegenkandidatinnen durch, obwohl er bei den Bewerbungskriterien deutlich schlechter abgeschnitten hatte.
Gegenkandidatinnen wurden bessere Chancen ausgerechnet
Die EU-Kommission muss ihre Posten zudem möglichst geschlechterparitätisch besetzen, Bewerber aus eher unterrepräsentierten Mitgliedstaaten erhalten den Vorzug. Als männlicher Bewerber aus Deutschland hätte Pieper demnach geringere Chancen als seine Gegenkandidatinnen, die Tschechin Martina Dlabajová und die Schwedin Anna Stellinger.
Zweifel an dem Verfahren kommen nun auch aus der Kommission selbst: Das Kollegium müsse "gemeinsam über eine Antwort auf die Vorwürfe und über mögliche Auswirkungen auf die nächsten Schritte im Einstellungsverfahren beraten", heißt es in einem Schreiben der Kommissare Thierry Breton, Nicolas Schmit und Paolo Gentiloni sowie des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell.
Von der Leyen werde "sich selbstverständlich der Debatte stellen", erklärte ihr Sprecher in Brüssel. Die Kommissionspräsidentin habe jedoch "vollstes Vertrauen", dass die Einstellung Piepers rechtmäßig sei. Die Besetzung sei "genau wie jedes andere Ernennungsverfahren" abgelaufen, betonte der Sprecher.
Parlament fordert, Entscheidung rückgängig zu machen
Der Streit fällt in den Wahlkampf vor den Europawahlen Anfang Juni. Die Besetzung sei möglicherweise eine "Gefälligkeit" von der Leyens an einen kritischen Parteikollegen, vermutete der grüne Abgeordnete Freund. Aus dem Umfeld von Binnenmarktkommissar Breton hieß es, er habe sich seinerseits für die Ernennung der Tschechin Dlabajová aus seiner liberalen Parteifamilie eingesetzt. Nicolas Schmit, einer der Unterzeichner des Briefs aus der Kommission, ist zugleich der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten.
Das Europaparlament befasst sich in der kommenden Woche erneut mit der Ernennung Piepers. Abgeordnete von Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken reichten einen Antrag ein, in dem sie die Kommission auffordern, die Entscheidung rückgängig zu machen. Die Behörde müsse stattdessen "ein wirklich transparentes und offenes Verfahren für die Auswahl des EU-Mittelstandsbeauftragten einleiten". Über den Antrag wird in einer Plenarsitzung am Donnerstag abgestimmt. Markus Pieper reagierte zunächst nicht auf Anfragen der Nachrichtenagentur AFP.
Quelle: ntv.de, lve/AFP