
Söldnerchef Jewgeni Prigoschin arbeitet an seinem politischen Aufstieg.
(Foto: picture alliance / Mikhail Metzel/TASS/dpa)
Seine Kämpfer sind kriminell, sein Führungsstil ist brutal - doch Moskaus Krieg gegen die Ukraine verschafft Jewgeni Prigoschin immer mehr Einfluss auf den Kreml. Präsident Putin hat Mühe, den Wagner-Chef in seine Schranken zu weisen, ohne ihn zu verprellen.
In Russlands Straflagern geht "Putins Koch" seit Monaten ein und aus. Etwa 40.000 Häftlinge soll Jewgeni Prigoschin inzwischen für seine Söldnertruppe rekrutiert haben, nun hat er einen weiteren Bewerber: Michail Popkov. Im russischen Staatsfernsehen bietet sich der 58-Jährige als Kämpfer für Prigoschin an der Front in der Ukraine an. Er möge zwar die Kälte nicht, aber seine Militärerfahrung sei "aktuell gefragt", sagt er. Popkov hat mehr als 80 Mädchen und Frauen vergewaltigt, ermordet und ihre Leichen geschändet. Die Russen nennen ihn "Werwolf". Er macht sich Hoffnungen auf eine verkürzte Strafe - von lebenslänglich auf nur sechs Monate im Militärdienst.
So lautet zumindest das Versprechen Prigoschins an seine Rekruten. Wer ein halbes Jahr gekämpft hat, ist frei. Eine Rechtsgrundlage dafür gibt es nicht. Doch der Kreml lässt den Wagner-Chef gewähren. "Putin braucht jeden Kämpfer, den er bekommen kann, und deshalb ist Wagner in diesem Krieg wichtig geworden", sagt Russland-Experte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik auf Nachfrage von ntv.de. "Prigoschin ist eigentlich ein Dienstleister, der von öffentlichen Aufträgen der russischen Armee abhängt. Mit dem Krieg hat er aber die Öffentlichkeit genutzt, um politisches Kapital aufzubauen."
Das Tempo, mit dem Prigoschin aus einer eigentlich illegalen paramilitärischen Organisation (PMC), die bislang stets im Verborgenen operierte, eine anerkannte Privatarmee gemacht hat, ist schwindelerregend. Erst im September des vergangenen Jahres hatte der 61-Jährige erstmals die bloße Existenz der von ihm gegründeten Söldner-Truppe eingeräumt, im November eröffnete er in St. Petersburg das erste Hauptquartier. Seit Ende Dezember ist Wagner ein ordentlich angemeldetes Gewerbe - im russischen Register als Unternehmensberatung geführt.
Vom Kreml legitimiert
In wenigen Wochen hat Prigoschin Wagner legalisiert, ihre Legitimation erfuhr die Truppe spätestens mit der Eroberung von Soledar. Der erste militärische Erfolg Russlands seit einem halben Jahr zwang den Kreml, öffentlich den Bückling zu machen vor Prigoschins Söldnern - eine bemerkenswerte Wendung, stritt Putin doch vor wenigen Jahren noch vehement jede Verbindung zu Wagner ab. Für die Kriminellen bedeutet dies gleichsam eine gesellschaftliche Rehabilitierung. Sie stehen plötzlich auf einer Stufe mit den "Helden, die in den Streitkräften dienen", als gewürdigte Patrioten. Prigoschin selbst flankiert die Imagekampagne für Wagner mit öffentlichen Auftritten an der Front, mit Interviews und Wasserstandsmeldungen über die Kämpfe in der Ukraine.
Selbst kleinste Erfolge, wie zuletzt die Einnahme des Ortes Klischtschijiwka nahe Bachmut, vermeldet zuerst Prigoschin. Das Verteidigungsministerium in Moskau agiert indes fast schon unbeteiligt - und bestätigt nur, was bestätigt werden muss. Auch wenn eine Konkurrenz zwischen Wagner und der russischen Armeeführung immer wieder bestritten wird, sind die Bemühungen Prigoschins, sich von den Militärs zu distanzieren, kaum zu übersehen. Den Kämpfern von Soledar und Popasna ließ er spezielle Wagner-Medaillen überreichen, die dem russischen Mutorden nachempfunden sind. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit kritisiert er die Militärführung, während er zugleich öffentlich über Verräter in Putins Umfeld raunt, denen nur mit "Wagners Vorschlaghammer" beizukommen sei.
Putin in der Zwickmühle
Je mehr Einfluss Prigoschin gewinnt, desto weiter wagt er sich auch politisch vor. Während er selbst eine Trollfabrik in Sankt Petersburg betreibt, die Falschnachrichten etwa vor der US-Präsidentschaftswahl 2016 verbreitet haben soll, forciert er im Kreml die Sperrung von Youtube und zeigt sich öffentlich überzeugt, dass Putin seinem Appell auch folgen wird. Gibt der nach, gewinnt Prigoschin politisch noch mehr an Gewicht. Zwar hat der Wagner-Chef immer wieder betont, er strebe kein Amt an. Doch glaubwürdig ist das nicht. "Er hat Ambitionen, dafür hat er sich schon zu weit vorgewagt", sagt Stefan Meister. "Aber er ist eigentlich kein Akteur, der genug Machtressourcen hat, um in der russischen Politik eine Rolle zu spielen."
Nicht nur mit den führenden Militärs, auch mit der russischen Elite steht Prigoschin inzwischen auf Kriegsfuß. Die reichen Söhne Moskaus forderte er öffentlich zum Kriegsdienst auf, wollte Oligarchen für die Kriegskasse enteignen lassen. Als politische Figur ist der 61-Jährige unberechenbar. Doch mit Prigoschin zu brechen, kann sich Putin derzeit nicht leisten. Wohl auch deshalb lässt der Präsident seinen "Mann fürs Grobe" in seinem offensiven Auftreten gewähren, während er sich zugleich im Gerangel um Macht und Einfluss im Kreml demonstrativ auf die Seite der Armeeführung stellt.
Indem Putin Anfang Januar ausgerechnet Waleri Gerassimow zum neuen Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte machte - ein langgedienter und loyaler Militär, den aber nicht nur Prigoschin für den aus russischer Sicht desaströsen Kriegsverlauf verantwortlich macht, wies er den Wagner-Chef klar in die Schranken. "Der russische Staat, die Armee und die Geheimdienste werden immer dafür sorgen, dass sie das Gewaltmonopol behalten", sagt Stefan Meister. Eine Top-Position werde Prigoschin schon allein deshalb nicht erreichen, weil er nicht unter Kontrolle ist.
Quelle: ntv.de