Berlin Tag & Macht Ralf Stegner, der Geisterfahrer auf der Autobahn zum Frieden


Gruppenbild mit Stegner - das Foto entstand beim Editorial Shooting der neuen SPD-Bundestagsfraktion.
(Foto: picture alliance/dpa)
Nach dem FIEDVRUV-Manifest ist zu befürchten, dass Stegner und Mützenich bald mit der "Freedom Flotilla II" von Usedom nach Petersburg segeln. Oder wäre es die "Granu-Fink-Jolle"? Egal, Hauptsache Russland.
Wenn man aus der Vokabel "Manifest" nur vier Buchstaben wegstreicht, erhält man? Genau: "Mist". Das ist natürlich nur eine formallinguistische Marginalie und keinesfalls Koinzidenz. Und schon gar nicht ein finales Urteil über das von den SPD-Altinternationalen Ralf Stegner und Rolf Mützenich ausgearbeitete Manifest mit dem etwas sperrigen Titel "Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung". Ein Name, gegen den sogar "Jimi Blue" und "Wilson Gonzales" geländegängig klingen. Diese beiden Taufnamengewinner sind überraschenderweise keine Jungpolitiker der Linken, sondern Sprösslinge der Ex-Schauspieler/Ex-Model-Liaison Uwe und Natascha Ochsenknecht. Also quasi das Ochsenknecht-Manifest.
Womit bereits der vermutlich einzige positive Aspekt des Stegner/Mützenich-Pamphlets identifiziert wäre. Die beiden geopolitischen Schwergewichte aus dem sozialdemokratischen Schwerter-zu-Pflugscharen-Geschwader haben es geschafft, ihre Festschrift auf Wladimir Putin so zu taufen, dass selbst als "FIEDVRUV" keinerlei Hoffnung auf einen Quotenrenner verbleibt. Und das in so abkürzungsaffinen Zeiten, in denen jeder Diskursteilnehmer, der nicht soeben aus einem 40-jährigen popkulturellen Koma erwacht ist, sofort weiß, was etwa mit GNTM, DSDS oder IBES gemeint ist. In Anlehnung an das berühmte Fußball-Erfolgskonzept "flach spielen, hoch gewinnen", sind Mützenich und Stegner beim Verfassen ihrer pseudopazifistischen Bankrotterklärung also offenbar nach dem Grundsatz vorgegangen: "Wenig denken, viel schreiben".
Ist Julia Stegner die Tochter von Ralf Stegner?
Das Jahrhundertwerk der Kreml-Connection, neben Stegner und Mützenich auch von SPD-Veteranen wie Norbert Walter-Borjans oder Hans Eichel unterzeichnet, ist derartig putinfreundlich geraten, Alice Weidel und Tino Chrupalla erwägen bereits, den Verfassern den höchsten russischen Patriotismus-Orden zu verleihen, den "Goldenen Rubel-Laufburschen" am Band.
Ein Anagramm von "Stegner" übrigens lautet "gestern". Womit auch Stegners politische Ausrichtung recht präzise analysiert ist. Eine Einschätzung, die FDP-Senkrechtstarterin Marie-Agnes Strack-Zimmermann teilt. Stracki, wie Freunde (und ich) sie gerne rufen, nannte Stegner sowie seinen Manifest-Sozius Mützenich auf dem Kurznachrichtendienst "X" (ehemals Twitter) von Elon Musk (ehemals Genie) "die Ewiggestrigen der deutschen Sicherheits- und Außenpolitiker".
Eine Formulierung, die im ersten Moment leichte Uli-Hoeneß-Lothar-Matthäus-Vibes versprüht: "Solange ich beim FC Bayern etwas zu sagen habe, wird Lothar Matthäus nicht mal Greenkeeper." Bei genauerem Hinsehen jedoch spürt man schnell: Strack-Zimmermann und das Matrjoschka-Duo Stegner/Mützenich steckten bis vor kurzem noch gemeinsam in einer Ampelkoalition fest. Und eine gewisse Grundsympathie scheint die als "FDP-D-Day" in die Geschichtsbücher eingegangene Koalitionsbruch-Soap überdauert zu haben.
Denn mal unter uns: Wenn Ralf Stegner, die Friedenstaube im intellektuellen Sinkflug, als "Sicherheits- und Außenpolitiker" durchgeht, dann ist Jan Josef Liefers Star-Virologe. Für alle, die nicht so häufig "Tatort" gucken: Jan Josef Liefers wartet zwar aus gleichsam skandalösen wie unerfindlichen Gründen weiterhin auf einen Oscar für sein Lebenswerk "#Allesdichtmachen", ist aber dafür öfter im Fernsehen als Strack-Zimmermann, Mützenich und Stegner zusammen. Allein seine Auftritte bei "Wetten, dass..?" ergeben aneinandergereiht eine Sendezeit, in der andere locker ein Jurastudium abschließen. Damit saß Liefers akkumuliert betrachtet länger auf Thomas Gottschalks Fummel-Couch als Karl Lauterbach im Gesundheitsministerium. Und Liefers darf bei Gottschalk im Keller sogar noch Tischtennis spielen.
Das "P" in Ralf steht für Pazifismus
Dabei sollte Strack-Zimmermann es besser wissen. Weil sie kurz vor Kriegsausbruch in der Ukraine als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses antrat, wird sie von bildungsfernen Russland-Cheerleadern (und Sahra Wagenknecht) regelmäßig als "Kriegstreiberin" verunglimpft. Eine ausgewiesene Fachfrau in der Frage zu sein, mit welchen Waffen Deutschland die Ukraine unterstützen sollte und warum, das kann man ihr jedenfalls kaum absprechen.
Ralf Stegners Expertise hingegen besteht vornehmlich aus innenpolitisch geprägten Ämtern auf Landesebene. In den Nullerjahren war er einige Zeit Finanzminister von Schleswig-Holstein. Eine Aufgabe, die er so brillant löste, dass er in Kiel anschließend das Innenministerium übernahm. Dort blieb er nicht sehr lange. Nachdem er in einem Anfall koalitionssabotierender Christian-Lindner-Attitüde wochenlang intensiv den GroKo-Partner CDU kritisiert hatte, musste er freiwillig zurücktreten.
Inwieweit der in Bordesholm lebende Vorzeigesozialdemokrat, hauptberuflich ÖRR-Talkshowgast, mit diesem Werdegang außenpolitische Sicherheitsautorität aufbauen konnte, bleibt umstritten. Wobei Schleswig-Holstein andererseits eine Grenze zu Dänemark hat. Ein Land, das als Wiege der Wikinger gilt und somit durchaus Tendenzen zu Raubzügen in fremden Gefilden aufweist. Und nach Bordesholm ist immerhin ein Autobahndreieck benannt. Ob Stegner im Frühmittelalter bei den nordischen Wikinger-Kampfmaschinen mit seinem Manifest-Ansatz "Mehr Diplomatie, weniger Waffen" für Frieden hätte sorgen können, werden wir dennoch nie erfahren.
Wo feiert man dieses Manifest und braucht man eine Einladung?
Wie unerlässlich wertvoll Ralf Stegner für den europäischen Frieden ist, zeigt sich in seiner selbstlosen und ursprünglich geheimen Vermittlungsreise nach Baku. Dort traf er Vertreter der russischen Staatsführung, die teilweise auf Sanktionslisten der EU stehen. Gemeinsam übrigens mit Matthias Platzeck, Ronald Pofalla oder Stephan Holthoff-Pförtner, in etwa also der russischen Lobbyisten-Nationalmannschaft. Dass Stegner, der als Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste natürlich Kenntnis über signifikante geheimdienstliche Informationen hat, die für russische Nachrichtendienste von unbezahlbarem Wert sind, diese Reise antrat, aber dennoch weiterhin von der SPD gedeckt wird, sollte Beweis genug für seine überragenden diplomatischen Fähigkeiten sein. So fröstelnd, wie nach diesem sicherheitspolitischen Geniestreich der kalte, mediale Ostwind durch den Otto-Wels-Saal weht, wirkt es geradezu fahrlässig, dass SPD-Chef Lars Klingbeil trotzdem seine Mützenich trägt.
Eindeutig weniger überraschend als die Minderqualität meiner Wortspiele bleibt der Inhalt von Stegners Manifest, das (hier schließt sich der Kreis) Marie-Agnes Strack-Zimmermann als "realitätsverweigerndes Pamphlet voller fataler Fehleinschätzungen" und "Kotau vor einem Kriegsverbrecher und Verhöhnung der Opfer" bezeichnet: keine Waffen mehr an die Ukraine und reden, reden, reden. Wer genau mit wem und vor allem: über was - das bleibt vage. Zumal Wolodymyr Selenskyj zuletzt sogar einer 30-Tage-Waffenruhe und im Prinzip auch allen anderen Forderungen von US-Präsident Donald Trump für einen Friedensversuch zustimmte, während Putin eine relevanzbefreite Schein-Delegation zu Verhandlungen nach Istanbul entsandte, deren Einfluss auf die geostrategische Ausrichtung Russlands ungefähr so groß ist wie der von Helene Fischer auf das Bruttoinlandsprodukt von Venezuela.
Spiel mir das Lied vom Idiot
Während die Ukraine also zu signifikanten Zugeständnissen bereit ist, hält Russland auch im Verhandlungsmodus an jedem einzelnen Kriegsziel fest. Der Hinweis, lieber viel zu reden, anstatt viele Waffen zu liefern, ist aktuell so revolutionär wie der Vorschlag, sein Haus anzuzünden, weil die Energiepreise so hoch sind. Die Sehnsucht nach Frieden teilen wir alle. Die absurde Grüner-Tisch-Utopie von Stegner und Mützenich hingegen wirkt so weltfremd, man muss beinahe befürchten, als nächstes besteigen die beiden eine oligarchenfinanzierte "Freedom Flotilla II" und segeln von Usedom nach St. Petersburg, um 100 Kilo selbstgebackene Friedenspfeifen an Putin zu übergeben. Ein kleiner Trost dabei: Wenn man die Social-Media-Fähigkeiten der Pazifismus-Matadore Stegner/Mützenich betrachtet, würde der für ihre Kreuzfahrt in den Abrüstungshorizont genutzte Aktivistenkahn wenigstens nicht unter dem Hashtag #SelfieYacht in die Annalen eingehen, sondern vermutlich als "Granu-Fink-Jolle".
So oder so. Was vom Manifest übrig bleibt, ist die Erkenntnis: Mützenich und Stegner spielen das Legendenlied des Kreml-Orchesters so virtuos, als wären sie eine von Putin persönlich frisch gestimmte Propaganda-Balalaika. Zweifelsohne ein musikalischer Achtungserfolg der zwei Friedens-Koryphäen. Abgerüstet allerdings wurde bei ihnen bislang vor allem im Bereich politische Seriosität. Und damit für heute: Do swidanija.
Quelle: ntv.de