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Antisemitismustalk bei Illner Reul: "Wenn Menschen andere verhetzen, dann ist Ende Gelände"

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CDU-Politiker Herbert Reul hat zu den Vorfällen an den deutschen Unis eine klare Meinung.

CDU-Politiker Herbert Reul hat zu den Vorfällen an den deutschen Unis eine klare Meinung.

(Foto: picture alliance/dpa)

Der Antisemitismus unter Studentinnen und Studenten in Deutschland scheint seit Beginn des Gaza-Kriegs deutlich präsenter geworden zu sein. In der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner" geht es um die Ursachen – und wie man ihnen begegnen kann.

Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger von der FDP hat jüngst die Universitäten aufgerufen, Hetze gegen Jüdinnen und Juden und Verherrlichung von Terror konsequent zu bekämpfen. Die Unis sollten im Notfall von ihrem Hausrecht Gebrauch machen. Auch die Exmatrikulation von Studentinnen und Studenten könnte in Einzelfällen in Betracht gezogen werden. Tatsächlich werden antisemitische Vorfälle an Unis immer präsenter. So musste am Mittwoch vergangener Woche eine Besucherin einer Ringvorlesung zum Thema Antisemitismus an der Uni Hamburg in einem Krankenhaus behandelt werden, nachdem sie angegriffen und verletzt worden war. Die Universität verurteilte die Tat "aufs Schärfste".

In der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner" haben sich die Gäste am Donnerstagabend darüber unterhalten, wie gefährlich antisemitische Tendenzen bei jungen Menschen sind und wie man ihnen begegnen kann. Laut einer Studie der Uni Konstanz, die das Bundesbildungsministerium im Dezember in Auftrag gegeben hatte, hat rund ein Drittel der befragten jüdischen Studierenden Diskriminierung erlebt. Bei acht Prozent der befragten Studierenden seien allgemeine antisemitische Einstellungen zu beobachten, heißt es in der Studie.

Extremismusforscher und Psychologe Ahmad Mansour analysiert die Vorgänge in der arabischstämmigen Bevölkerung: "Sie unterstützen den Befreiungskrieg der Hamas, weil ihre Ideologie davon ausgeht, dass es nur Schwarz und Weiß gibt: Einerseits die Unterdrücker, andererseits die Unterdrückten", sagt Mansour. In den USA habe es gar eine Diskussion gegeben über die Frage, ob Juden zur weißen Rasse gehörten oder nicht. "Das zeigt, wie man diesen Konflikt wahrnimmt: Es ist eine sehr kindliche Vorstellung, die man da hat." Hier werde ein Kulturkampf geführt, sagt der arabischstämmige Israeli. "Es geht um eine Gruppe, die nicht nur an den Universitäten und nicht erst seit dem 7. Oktober aktiv ist. Das ist eine Gruppe, die bei uns in der Mitte hofiert und weniger kritisch betrachtet wurde. Sie wurde zum Teil mit Steuergeldern gefördert. Und jetzt sehen wir die Ergebnisse, zuerst an den Universitäten. Aber ich glaube, dass das uns in den nächsten Jahren massiv begleiten wird."

Der Journalist Ronen Steinke arbeitet für die "Süddeutsche Zeitung". Der in Erlangen geborene Jude geht auf ein besonderes Phänomen ein: den Antisemitismus von links. Kein neues Phänomen, wie er feststellt. Neu sei jedoch die aktuelle Zuspitzung. So werde behauptet, Israel sei ein Kolonialgebilde, und Kolonialisten hätten in der Region nichts zu suchen. "Das ist beschämend und geht historisch an den Fakten vorbei." Die Vorfahren der Menschen, die in Israel lebten, seien dort nicht hingekommen, um Beute zu machen oder reich zu werden. "Die sind da hingekommen, um ihr Leben zu retten, um zu flüchten vor Pogromen in Osteuropa, vor der Shoah, vor den Vertreibungen aus den arabischen Ländern." Dass den Juden in der Region nun gesagt werde, sie sollen das Land wieder verlassen, habe eine neue Qualität, so Steinke. Und diese Ansichten sickerten immer mehr in die linke Bevölkerungsschicht ein, die sich für Flüchtlinge einsetzen würde. "Und dass sie diese Fluchtgeschichte ignorieren, abtun und empathielos betrachten – da verraten sie die Werte, für die sie normalerweise stehen."

Die Uni-Proteste

Doch wie geht man jetzt mit den Uni-Protesten um? Nachdem in der vergangenen Woche propalästinensische Studentinnen und Studenten an der Freien Universität in Berlin ein Protestcamp errichtet hatten, stellten sich etwa hundert Dozenten mehrerer Unis in Berlin hinter die Proteste und verteidigten in einem offenen Brief das Recht der Studierenden "auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt."

Die Menschen, die an Unis lehren, dürften nicht vergessen, dass sie im Auftrag des Staates bezahlte Aufgaben wahrnähmen und auf dem Boden des Grundgesetzes stehen müssten, so der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul von der CDU. Man dürfe nicht akzeptieren, wenn Meinungen aus dogmatischen Gründen nicht mehr gelten würden. "Wenn Menschen andere Menschen verhetzen, dann ist Ende Gelände."

Ahmad Mansour sieht das genauso. "Man kann nicht auf Freiheit pochen, und dann alle die einschüchtern, die anderer Meinung sind. Wir haben in Deutschland Studenten jüdischer Religionszugehörigkeit, die sich seit dem 7. Oktober nicht mehr trauen, in die Unis zu gehen. Und da frage ich mich: Was soll noch passieren, damit man Haltung zeigt. Da versagen vor allem die Leitungen der Unis."

Auch Grünen-Chef Omid Nouripour will die aktuelle Situation an den Unis nicht akzeptieren. "Man muss sehr aufpassen, dass die Situation erträglich bleibt, und das ist sie jetzt schon für einige Leute nicht mehr", analysiert er. Ideen, das Problem an den Unis zu lösen, kann er aber genauso wenig vorweisen wie die anderen Gäste.

Ronen Steinke ist da die Ausnahme. Er glaubt, man müsse die offensichtlichen Wissenslücken der Studierenden stopfen. "Da würde ich die Leute auf den Hosenboden setzen und ihnen erklären: Die Leute, die in Israel leben, leben da nicht zum Spaß. Deren Vorfahren sind Generationen für Generationen durch Europa gescheucht worden. Wollt Ihr die jetzt weiter verscheuchen? Das ist doch nicht eine Gerechtigkeitsvorstellung. Es muss ein Frieden her. Juden und Araber müssen gute Nachbarn werden, im Frieden. Das ist doch etwas, wofür man als Linker eintritt, und nicht dafür, dass man die nächste Vertreibungswelle beklatscht."

Quelle: ntv.de

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