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Kiews Geheimdienst bezahlt sie Russin will Partner aus Gefangenschaft holen - und wird zum Star

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Irina Krynina kommt nach Kiew, um ihren Freund aus der ukrainischen Kriegsgefangenschaft zu befreien. "Wozu, verdammt?", fragt er.

Irina Krynina kommt nach Kiew, um ihren Freund aus der ukrainischen Kriegsgefangenschaft zu befreien. "Wozu, verdammt?", fragt er.

(Foto: Youtube)

Um ihren Partner aus der ukrainischen Kriegsgefangenschaft zu befreien, reist die Russin Irina Krynina nach Kiew. Sie darf einreisen und ihren Freund treffen: Die Ukraine scheint an dem Besuch der Buchhalterin aus Sibirien interessiert zu sein. Der Geheimdienst des Landes übernimmt sogar die Reise- und Unterhaltskosten.

Zahlreiche Verwandte russischer Soldaten in der Ukraine sind seit Monaten auf der Suche nach ihren Männern. Sie irren von Behörde zu Behörde. Ehefrauen und Mütter sehen sich einer völligen Gleichgültigkeit des Verteidigungsministeriums gegenüber. Auch die russischen sozialen Medien sind für Russinnen, die ihre im Kriegsgebiet in der Ukraine verschwundenen Söhne oder Männer suchen, keine Hilfe: Das Netzwerk VKontakte, eine Art russisches Facebook, löscht Beiträge, in denen Angehörige die Rückkehr von Soldaten fordern. Posts mit Hashtags wie "Wir holen uns die Jungs zurück", oder "Zeit für die Mobilisierten, nach Hause zurückzukehren" werden blockiert.

Der Russin Irina Krynina aus Sibirien gelang es dennoch laut einem russischen Medienbericht, ihren kriegsgefangenen Partner nicht nur zu finden, sondern ihn auch in Kiew zu treffen. Die Buchhalterin entschied daraufhin, in der Ukraine zu bleiben.

Der heute 34-jährige Jewgeni Kowtkow war im September 2022 in seiner Heimatstadt Krasnojarsk mobilisiert und kurze Zeit später in die Ukraine geschickt worden. Bei Kämpfen um das Dorf Klischtschijiwka bei Bachmut wurde Kowtkow im Sommer gefangen genommen. Wie Krynina dem unabhängigen russischen Medium "Ljudi Bajkala" erzählt, erkannte sie ihren Partner auf einem Video der ukrainischen Armee bei Telegram, auf dem mehrere gefangene Russen die Fragen eines ukrainischen Soldaten beantworteten. Auch wenn diese Praxis angesichts der Genfer Konventionen umstritten ist, veröffentlicht die ukrainische Seite oft solche Videos, damit Angehörige der Gefangenen erfahren, dass diese noch leben.

Flugtickets und Dreizimmerwohnung im Kiew

Um ihren Partner zu finden, setzte Irina zunächst auf den klassischen Austausch von Kriegsgefangenen. Zusammen mit zehn weiteren Angehörigen russischer Gefangener in der Ukraine nahm sie Anfang September ein Video auf, das sie auf YouTube veröffentlichten. Darin fordern sie den Austausch ihrer Angehörigen und beklagen, dass das russische Verteidigungsministerium nichts tue: "Niemand hilft uns, sie schicken nur dumme Antworten." Der Aufruf, der inzwischen gelöscht wurde, brachte nichts - auch nach dem Veröffentlichen der Videobotschaft gab es keine Reaktion seitens der Behörden.

Daraufhin stieß Krynina auf die nach dem russischen Überfall vom Militärgeheimdienst der Ukraine ins Leben gerufene Initiative "Ich will leben", eine Anlaufstelle für russische Deserteure und Angehörige von Kriegsgefangenen. Diese habe ein Projekt mit dem Namen "Wir bringen Männer ihren Frauen zurück" gestartet, heißt es in ukrainischen Medienberichten. Ziel des Programms ist es demnach, russischen Frauen eine Möglichkeit zu geben, in die Ukraine zu reisen und ihre Männer oder Söhne aus der Kriegsgefangenschaft zurück nach Russland zu holen. Irina Krynina sei die erste gewesen, die von diesem Angebot Gebrauch machen wollte, berichten ukrainische Medien. Allerdings lassen sich auf der Website der von dem Nachrichtendienst gegründeten Initiative keine Hinweise auf ein solches Programm finden.

Da sie sich in Russland mit ihrem Problem alleingelassen gefühlt habe, sei sie mit ihren beiden Töchtern aus einer früheren Beziehung schließlich nach Kiew gereist. Erst per Flugzeug in die Türkei, weiter nach Moldawien, von dort mit dem Bus in die Ukraine, wird Krynina im "Ljudi Baikala"-Bericht zitiert: "In der Nacht vor dem Flug bin ich vor Angst fast gestorben." Bezahlt wurde die Reise angeblich von "Ich will leben", behauptet die Frau in einem YouTube-Video. Auch die Kosten für ihre Unterkunft - eine Dreizimmerwohnung in Kiew - seien von der ukrainischen Seite übernommen worden, heißt es im Video.

"Wozu, verdammt?"

Das erste Treffen von Jewgeni und Irina wurde gefilmt und auf dem YouTube-Kanal des Bloggers Wolodymyr Zolkin, der für "Ich will leben" Interviews mit russischen Kriegsgefangenen führt, veröffentlicht. Darauf ist zu sehen, dass sich der russische Soldat sichtlich unwohl fühlt, auf diese Art vorgeführt zu werden, zumal er offenbar nicht darauf vorbereitet war, seine Partnerin zu treffen. "Wozu, verdammt?", wiederholt er mehrmals. In einem Gespräch mit Zolkin behauptet er nach dem Treffen, er habe Irina erst kurz vor seiner Einberufung kennengelernt. Ob er sie liebe? "Ja, wahrscheinlich", antwortet der Gefangene unsicher und nach langer Pause dem Blogger. Laut Krynina sind die beiden jedoch seit einem halben Jahr ein Paar. "Warum er im Interview gesagt hat, dass wir nur zwei Monate zusammen waren, weiß ich nicht", sagt sie im Video und runzelt die Stirn.

Vor dem zweiten Treffen muss der Kriegsgefangene entscheiden, ob er zurück nach Russland oder mit Krynina in der Ukraine bleiben will. Der Frau zufolge hat ihm die Ukraine diese Wahl gegeben. Für Krynina selbst steht fest: Sie will zunächst in der Ukraine bleiben und ihre Mitbürger als Bloggerin über den russischen Angriffskrieg aufklären. Auf ihrem YouTube-Kanal "Über die Wahrheit über den Krieg in der Ukraine" sagt sie in einem Video: "Was jetzt in der Ukraine passiert, ist für Russland ein schreckliches Verbrechen und Selbstmord." Sie wolle, dass der Krieg aufhört und "dass alle Kriegsgefangenen nach Hause zurückkehren". Das Video wurde fast 500.000 Mal aufgerufen.

Botschafterin und Vorbild

Während das eigentliche Ziel ihrer Reise, ihren Partner aus der Kriegsgefangenschaft zu befreien, in den ukrainischen und russischen Medienberichten zunehmend in den Hintergrund gerät, wird Krynina vermehrt als heldenhafte Kriegsgegnerin inszeniert. Von der Initiative "Ich will leben" bekam Krynina, die in Russland als Buchhalterin gearbeitet hat, bereits ein Jobangebot. Sollte sie Eignungstests bestehen, werde sie mit dem Projekt zusammenarbeiten, erklärte ein Sprecher der Initiative auf Telegram. Demnach werde sie dann "alles tun, um diesen Krieg zu beenden". In sozialen Medien soll sie eine Art Botschafterin für russische Frauen werden, die ihre Männer nicht an die Front lassen wollen. Dafür soll sie auch ein Gehalt bekommen.

Auch wenn der ukrainische Staat mitten im Krieg gegen Russland den Lebensunterhalt einer Russin finanziert, scheint Kryninas Engagement in der Ukraine gut angenommen zu sein. Ihre Videos werden hunderttausendfach abgerufen. In den Kommentaren wird sie als Vorbild für russische Frauen gefeiert - sowohl von Ukrainern, als auch von Russen.

Quelle: ntv.de

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