Russischer Rockstar Zemfira Eine laute Stimme gegen den Krieg
19.06.2022, 17:05 Uhr
Im postsowjetischen Raum ist Zemfira seit Jahrzehnten ein Star.
(Foto: imago stock&people)
Die russische Rocksängerin Zemfira ist in ihrer Heimat seit mehr als 20 Jahren ein Superstar. Nun nutzt sie ihren Ruhm, um den russischen Einmarsch in der Ukraine zu verurteilen. Sie ist nicht die einzige russische Musikerin, die sich trotz aller Anfeindungen so klar positioniert.
Wie sich der Kreml die russische Popkultur vorstellt, davon konnte sich die Welt im März überzeugen, als im weiß-blau-roten Taumel der Sänger Oleg Gasmanow im Moskauer Luschniki-Stadion auftrat. "Ukraine und die Krim, Belarus und Moldawien, das ist mein Land … Kasachstan und der Kaukasus sowie die baltischen Staaten, das ist mein Land", trällerte der in Russland populäre Sänger seinen 2005 veröffentlichten Hit "Made in USSR" als Vorprogramm für den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Für die im Z-Rausch befindliche Propaganda und einen Machthaber, der durch Waffengewalt meint, Russlands imperiale Größe wiederherstellen zu können, kann es eigentlich keinen besseren musikalischen Anheizer geben als den in vielen Nachbarländern Russlands mit Einreiseverbot belegten Gasmanow.
Doch so sehr die Kreml-Propaganda sich auch bemühen mag, mit populärer Musik die Massen für den Krieg zu gewinnen, der in Russland so nicht genannt werden darf, so gibt es doch russische Musiker, die ihre Kunst dazu nutzen, sich gegen ihn zu positionieren. "Fleisch, Fleisch, wandelnde Menschen auf dem Tablett … Die Straße, die Straße, vorbei an den Leichen führt die Straße zu den Leichen … Im Kalender steht der Frühling, doch in Wirklichkeit sind es Schützengräben und hochpräzise Langstreckenraketen. Es ist Mitternacht in Mariupol", lauten einige der Textzeilen des vor vier Wochen veröffentlichten Songs "Mjasso" (Fleisch) der russischen Rocksängerin Zemfira. Dazu gibt es ein beeindruckendes, apokalyptisches Video, in dem man durch expressive schwarz-weiß-rote Zeichnungen nicht nur an die russischen Gräueltaten in Mariupol, sondern auch Butscha und anderen Orten in der Ukraine erinnert wird.
Seit über 20 Jahren ein Superstar
Zemfira ist nicht irgendeine russische Sängerin, sondern die Rocksängerin Russlands schlechthin. In den späten 1990er Jahren feierte die im baschkirischen Ufa geborene Künstlerin ihren Durchbruch und entwickelte sich durch Hits wie "Iskala" (Ich habe gesucht) oder "Do Swidanija" (Auf Wiedersehen) zu einem Superstar. Mit ihrer Musik, die in den letzten zwei Jahrzehnten im Radio allgegenwärtig war, wuchsen mittlerweile zwei Generationen auf. Nicht nur in Russland, sondern auch in den ehemaligen Republiken der früheren Sowjetunion.
"Mjasso" ist zwar der erste Song, den Zemfira aus Protest gegen die russische Invasion geschrieben und veröffentlicht hat, doch dieser ist nicht ihre erste Stellungnahme gegen den Krieg im Nachbarland. Ausgerechnet am 24. Februar, dem Tag des russischen Einmarsches, gab die 46-Jährige in Moskau ein Konzert. Ein weiterer Auftritt in der russischen Hauptstadt folgte zwei Tage später. Es waren die ersten Konzerte der Sängerin nach längerer Zeit. Was sie von dem Krieg in der Ukraine hält, machte sie schon damals deutlich. Noch am Tag des Einmarsches veröffentlichte sie auf ihren Kanälen in den sozialen Netzwerken die klare Botschaft "Nein zum Krieg". Ein Wort, für das man im heutigen Russland im Zusammenhang mit der Ukraine rechtlich belangt wird.
Abschied von Russland
Ihre erste musikalische Stellungnahme zum russischen Krieg in der Ukraine erfolgte Mitte März. Damals veröffentlichte sie eine Neuversion ihres vor zwölf Jahren erschienenen Songs "Ne Streljajte" (Schießt nicht). Der Song endet mit einem langen Gitarrensolo, das die Sängerin in dem dazugehörigen Video mit den Schreckensbildern des Krieges und von Protesten in Russland untermalen lässt. Es blieb nicht bei dem Video. In den sozialen Netzwerken löschte sie alle Einträge, bis auf die Botschaft "Nein zum Krieg" und dem Video zu "Ne Streljajte". Auf Youtube blieb zudem noch ein Mitschnitt eines Konzerts von 2008, auf dem sie den Song "Vidpusti" (Veröffentlichung) interpretiert. Das Konzert gab sie damals in Kiew und der Song ist einer der größten Hits der ukrainischen Band Okean Elzi.
Dieser Paukenschlag war für Zemfira auch ein Abschied von Russland. Wie damals bekannt wurde, ging sie mit ihrer Lebensgefährtin, der in Russland bekannten und staatlich ausgezeichneten Schauspielerin und Regisseurin Renata Litwinowa, nach Paris. Für die zwei Künstlerinnen, die in den russischen Medien immer nur als "beste Freundinnen" dargestellt werden, wohl schon aus privaten Gründen ein Akt der Freiheit. Der Preis, trotz aller Lebensumstände, von denen andere russische Exilanten nur träumen können, ist dennoch hoch. Nicht nur russische Politiker und Medien verhöhnen und beschimpfen die zwei Künstlerinnen als Verräterinnen, sondern auch viele ihrer Kollegen. Nicht selten gehen diese Angriffe unter die Gürtellinie, indem man ihnen das Talent abspricht oder gehässig ihren Kleidungsstil kommentiert.
Diffamierungskampagne gegen emigrierte Künstler
Damit ergeht es Zemfira und ihrer Partnerin Litwinowa so wie vielen anderen bekannten russischen Künstlern, die seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine ihre Heimat verlassen haben. Eines der bekanntesten Opfer dieser Kampagne ist neben Zemfira der russische Moderator und Komiker Maxim Galkin, der zusammen mit seiner Frau, der Sängerin Alla Pugatschowa, nach Israel ging und von dort aus in einem auf Instagram veröffentlichten Video den Krieg in der Ukraine verurteilte.
Wie aggressiv die Stimmung gegen diese Künstler ist, zeigt ein Kommentar des russischen Produzenten Jewgenij Fridljand. "Russland, so hoffe ich sehr, wird anders", schrieb dieser in diesen Tagen in seinem Blog, um zu ergänzen, dass unter anderem Zemfira nicht zum heutigen Russland gehöre, dafür aber "die Bewohner von Donezk und Luhansk" oder die "Artilleristen aus Dagestan, Tatarstan, dem Ural und Sibirien, aus der Wolgaregion und dem Fernen Osten".
Doch mundtot lassen sich Zemfira, Litwinowa und andere kriegskritischen russischen Künstler durch solche Aussagen nicht machen. Auch nicht jene, die in Russland geblieben sind. Egal, ob die Bands Shortparis oder IC3PEAK, es gibt einige, die sich mit ihrer Musik und klaren Statements gegen den Krieg in der Ukraine und die politische Situation in Russland positionierten.
"Scheiß Krieg"
Der bekannteste der in Russland gebliebenen Musiker ist Jurij Schewtschuk. "In der Ukraine werden Menschen umgebracht, auch unsere Jungs sterben da. Wofür? Was sind die Ziele, Freunde? Schon wieder kommt die Jugend um - Russlands Jugend und die der Ukraine. Es sterben auch alte Menschen, Frauen und Kinder. Wofür? Für irgendwelche napoleonischen Pläne des nächsten Cäsars? Ist es das?", sagte der Sänger Mitte Mai während eines Konzerts seiner legendären Band DDT. "Aber die Heimat, Freunde, ist nicht der Arsch des Präsidenten, den man ständig lecken und küssen muss. Die Heimat ist für mich die arme Oma am Bahnhof, die Kartoffeln verkauft", fuhr Schewtschuk unter Applaus fort. Und dass Zemfira, Schewtschuk und seine Band DDT sowie andere Rockstars in dem Z-trunkenen Land offenbar auch einen Nerv treffen, offenbarte Ende Mai ein Konzert der Band Kiss Kiss in St. Petersburg. Dort war es das Publikum, das laut "Scheiß Krieg" rief.
Quelle: ntv.de