Russland in Syrien geschwächt "In Putins rauchenden Ruinen liegt eine Chance"
13.12.2024, 19:08 Uhr Artikel anhören
Innerhalb weniger Tage sind Assads Regierungstruppen in Syrien von der HTS besiegt worden. Das ist auch eine Niederlage für Russland.
(Foto: REUTERS)
Russlands jahrzehntelange Syrien-Mission liegt buchstäblich in Trümmern. Die russischen Kriegsschiffe? Wurden aus dem Marinehafen am Mittelmeer abgezogen. Die Soldaten? Werden in der Ukraine gebraucht. Für den Westen ergibt sich die Chance, den russischen Einfluss in der Region langfristig zu begrenzen.
Gut eine Woche nach dem Sturz von Baschar al-Assad ist die Zukunft von Syrien weiter unklar. Wie geht es für das Land weiter, das über Jahrzehnte von einer einzigen Herrscherfamilie unterjocht wurde? Wird Syrien ein weiteres islamistisches Land im Nahen Osten? Oder entwickelt sich ein vergleichsweise freies Land - mit freier Marktwirtschaft, wie die neuen Machthaber von der Rebellenorganisation Haiat Tahrir al-Scham (HTS) ankündigen?
Wenn, dann gibt es gerade ein kurzes Zeitfenster, um den Weg für ein möglichst freies Syrien zu ebnen. Und um dafür zu sorgen, dass Russland seinen immensen Einfluss auf das Land verliert. "Inmitten rauchender Ruinen von Wladimir Putins imperialem Vorstoß im Nahen Osten liegt eine Chance", schreibt das Zentrum für europäische Politikanalyse (CEPA).
"Der Zusammenbruch des Assad-Regimes ist ein klares Zeichen dafür, dass sich Russland mit all seinen Kräften auf die Ukraine konzentriert. Russland muss damit rechnen, dass der Verlust von Syrien aus dem russischen Einflussraum massive Folgen hat", analysiert Markus Reisner, Oberst beim Österreichischen Bundesheer, im ntv-Interview. "Es geht konkret um die wichtigen Stützpunkte der russischen Streitkräfte in Tartus und Latakia."
Militärbasen in Syrien für Russland doppelt wichtig
Der Hafen in Tartus an der syrischen Mittelmeerküste wurde schon 1971 von der Sowjetunion gepachtet und überstand auch den Zerfall der UdSSR. 2015 begann Russland, verstärkt in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen. Zeitweise waren laut russischen Medienberichten über 1700 Soldaten hier stationiert. Als Dank für die Unterstützung machte Assad einen Deal mit Wladimir Putin. Syriens langjähriger Machthaber erließ seinem russischen Amtskollegen die Pacht für den Stützpunkt in Tartus. Daraufhin ordnete Putin 2017 den Ausbau der Basis an.
Neben dem Marinestützpunkt in Tartus betreibt Russland etwa 100 Kilometer weiter nördlich den Militärflughafen Hmeimim in Latakia. Von hier aus starteten die Bomber, die Assads Armee 2016 dabei halfen, Aleppo zurückzuerobern. "Von hier aus konnte man einerseits das syrische Regime unterstützen, andererseits war Russland dadurch ein Faktor im Nahen und Mittleren Osten", sagt Reisner.
Die Militärstützpunkte sind für Russland doppelt wichtig. Nicht nur, um in Syrien weiter die Stellung zu halten. Sondern vor allem, um strategisch günstige Basen für die Afrika-Einsätze des russischen Militärs und der vielen Milizen zu haben - primär in Libyen, aber auch im Sudan und in der Zentralafrikanischen Republik.
"Umschlagplatz in alle Richtungen"
Tartus ist zudem Moskaus einziger Mittelmeer-Hafen. Ohne den Stützpunkt können russische Kriegsschiffe das Mittelmeer nur über einen deutlich längeren Seeweg erreichen. Weil die Türkei den Bosporus seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine geschlossen hält, müssen die Kriegsschiffe des Kreml die Route durch Ostsee, Nordsee und Ärmelkanal nehmen.
"Die beiden Basen sind wichtig, weil sie einen Umschlagplatz bieten, Richtung Mittelmeer nach Nordafrika und Richtung Rotes Meer in andere Richtungen", macht der Sicherheitsexperte Christian Mölling von der Bertelsmann-Stiftung im "Stern"-Podcast "Die Lage International" deutlich.
Ohne die Militärstützpunkte in Syrien ist es für Russland viel komplizierter, die vielen Afrika-Einsätze wie bisher weiterzuführen. Das "muscle-for-money"-Prinzip - Russland schickt Soldaten in die Krisenherde der Welt und bekommt Geld dafür - könne ohne Tartus und Latakia nur schwer aufrechterhalten werden, bilanziert das Zentrum für europäische Politikanalyse.
Die siegreichen Islamisten der HTS haben Russland für ihre Militärstützpunkte Sicherheitsgarantien gegeben. Trotzdem heißt es aus den USA, dass einige russische Kriegsschiffe und Soldaten das Land nach dem Sturz von Assad bereits verlassen haben. Ein US-Behördenvertreter, der anonym bleiben will, sagte sogar, es seien mittlerweile ausnahmslos alle russischen Kriegsschiffe aus dem Hafen in Tartus verschwunden. Satellitenbilder, auf denen keine Kriegsschiffe mehr zu sehen sind, stützen die Aussage.
Wird Libyen die Alternative für Russland?
Reisner kann sich vorstellen, dass Russland längst eine Alternative im Blick hat. "Aus meiner Sicht würde sich Libyen anbieten", sagt der Oberst im ntv-Interview. Das nordafrikanische Land könnte für Russland zu dem Land werden, was Syrien bis vor einer Woche war. In Libyen besteht die Sorge, dass der aktuell eingefrorene Bürgerkrieg neu aufflammt. Der Kreml unterstützt hier das Bündnis des abtrünnigen Generals Chalifa Haftar. Über den Hafen in Tobruk gelangten erst im April dieses Jahres russische Waffenlieferungen ins Land. Im Juni zeigten gleich mehrere russische Kriegsschiffe Präsenz in dem Hafen.
Für Wladimir Putin sind funktionierende Militärbasen im Mittelmeerraum so wichtig, dass er aber auch an einem Deal mit den neuen Machthabern in Syrien interessiert sein könnte. Der Kreml habe "wiederholt extreme Flexibilität" gezeigt, wenn es darum geht, mit Terroristen zu verhandeln, betont zum Beispiel Nikita Smagin, Experte für russische Außenpolitik bei der Carnegie-Stiftung. Als Beispiel nennt Smagin die Taliban in Afghanistan.
Der Westen dagegen hofft, dass Syrien eine bessere Zukunft bevorsteht. Und dass Russland hier keinen Fuß mehr auf den Boden bekommt.
Quelle: ntv.de