Parallelen zu Mariupol Russland kündigt Fluchtkorridor für Zivilisten an
14.06.2022, 15:47 Uhr
Die Menschen in der Azot-Chemiefabrik haben nach ukrainischen Angaben nur noch "einige Reserven" zur Verfügung.
(Foto: picture alliance/dpa/GROUPDF/APA)
Die Lage erinnert an das Asow-Stahlwerk in Mariupol: Hunderte Menschen verschanzen sich im umkämpften Sjewjerodonezk in der Azot-Chemiefabrik. Sie sitzen dort fest, die Versorgung ist abgeschnitten. Russland kündigt für morgen einen Fluchtkorridor für Zivilisten an. Die Kämpfer sollen kapitulieren.
Angesichts der erbitterten Kämpfe im ostukrainischen Sjewjerodonezk will die russische Armee nach eigenen Angaben einen Fluchtkorridor für Zivilisten einrichten, die in der dortigen Azot-Chemiefabrik Zuflucht gesucht haben. Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte, den "Prinzipien der Humanität" folgend werde am Mittwoch zwischen 7 und 19 Uhr MESZ ein "humanitärer Korridor in Richtung Norden geöffnet".
Die Zivilisten sollen den Angaben zufolge in nördliche Richtung in die Stadt Swatowe (Swatowo) im Gebiet Luhansk gebracht werden. Der Ort Swatowe liegt in der von prorussischen Separatisten kontrollierten und von Moskau als Staat anerkannten Volksrepublik Luhansk. "Es wird eine sichere Evakuierung aller friedlichen Bürger garantiert - ohne Ausnahme", sagte der Vertreter des russischen Verteidigungsministeriums, Michail Misinzew.
Das Ministerium rief die ukrainischen Truppen auf, eine weiße Flagge zu hissen, um ihr Einverständnis mit dem Vorschlag zu signalisieren. Sie sollten ihren "absurden Widerstand" im Azot-Werk aufgeben. Misinzew forderte die ukrainischen Kämpfer auf, die Waffen niederzulegen und sich zu ergeben. Dann werde ihr Leben verschont.
Einen Vorschlag der ukrainischen Seite, die Menschen auf von Kiew kontrolliertes Gebiet fliehen zu lassen, lehnte Moskau ab. Demnach schlugen die ukrainischen Behörden vor, die Menschen im benachbarten Lyssytschansk in Sicherheit zu bringen. Das von Kiew angedachte Vorgehen diene nur dazu, ukrainische Kämpfer über diesen Weg aus Sjewjerodonezk herauszuschleusen, sagte Misinzew.
Versorgung in Chemiewerk "schwierig"
Der Verwaltungschef von Sjewjerodonzek, Oleksandr Striuk, hatte zuvor erklärt, dass 540 bis 560 Menschen im Untergeschoss der großen Azot-Chemiefabrik Zuflucht gesucht hätten. Ihre Versorgung sei "schwierig", aber es gebe noch "einige Reserven" in der Fabrik. Durch die "massiven Bombardements" sei die dritte und letzte Brücke über den Fluss Siwerskyj Donez zerstört worden.
Die Kämpfe in Sjewjerodonezk werden immer heftiger. Eine Eroberung der Stadt würde der russischen Armee den Weg nach Slowjansk und nach Kramatorsk, der Hauptstadt der Nachbarregion Donezk, öffnen. Dies ist für Russland unumgänglich, um den gesamten Donbass unter seine Kontrolle zu bringen.
Die Lage in der Azot-Chemiefabrik erinnert an das wochenlang umkämpfte Asow-Stahlwerk in der südukrainischen Hafenstadt Mariupol. Die letzten ukrainischen Kämpfer in Mariupol hatten sich zwischen dem 16. und 20. Mai ergeben, nachdem sie sich wochenlang in dem Tunnelsystem auf dem Gelände des Asow-Stahlwerks verschanzt hatten. Auch ukrainische Zivilisten hatten noch lange dort ausgeharrt.
Quelle: ntv.de, chf/AFP/dpa